"Schlagen sich mit Hämmern ins Gesicht": ZDF-Doku deckt gefährlichen Trend unter jungen Männern auf

Wegen seines Aussehens war Finn noch vor wenigen Jahren "total deprimiert". Er war 17, als er beschloss, sich - so heißt es in der Doku "#looksmaxxing - Junge Männer im Schönheitswahn" - zu "optimieren". "Ich habe beschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen, anstatt rumzuheulen", erzählt der inzwischen 20-Jährige in dem Film, der ab Montag, 7. Juli, im Streamingportal des ZDF zu sehen ist. Die Sache in die Hand zu nehmen - das bedeutet für Finn unter anderem, mithilfe des verschreibungspflichtigen Medikaments Frusemide seinen Körper zu entwässern.
"Man sieht dann schmaler aus", erklärt er dem erstaunten Reporter. "Im Moment sind hohe Wangenknochen, ein definierter Kiefer und hohle Wangen angesagt." Fast täglich nehme er das Mittel zu sich, das eigentlich bei Bluthochdruck und Herzschwäche eingesetzt wird. Das Rezept für die Tabletten hat Finn gefälscht, die Nebenwirkungen nimmt er in Kauf: "Leider kriege ich davon Krämpfe in Fingern und Füßen, ziemlich heftig. Aber immerhin sehe ich dann besser aus."
Finn ist ein sogenannter "Looksmaxxer". Sie sind überzeugt, dass nur extrem gut aussehende Männer Erfolg im Leben und beim anderen Geschlecht hätten. "Diese starre, fatalistische Vorstellung von Attraktivität ist problematisch. Da kann aus ganz normalen Unsicherheiten toxische Besessenheit werden", zeigt sich Callum Hood vom Center for Countering Digital Hate in London besorgt. Der Forscher warnt: Gerade unter jungen Männern würden sich Looksmaxxing-Communitys im Netz immer größerer Beliebtheit erfreuen.
Looksmaxxer sind sicher: Männer unter 1,83 Meter haben keine Chance
Auch der Influencer Austin Wayne ist der Ansicht, dass vor allem die Optik zählt. "Ich glaube, dass man mehr Chancen im Leben hat, wenn man attraktiver aussieht als der Durchschnitt", sagt er. Für dieses Ziel nehmen immer mehr junge Männer so einiges auf sich - "Bone Smashing" etwa.
"Wenn man auf Knochen schlägt, entstehen Mikrofrakturen, die dann größer und symmetrischer zusammenwachsen", behauptet Austin. Auch er selbst habe sich in der Vergangenheit ins Gesicht geschlagen, um einen markanteren Kiefer zu bekommen. Heute distanziert er sich von derartigen Methoden, setze stattdessen nur noch auf Sport und die richtige Hautpflege. "Offensichtlich übertreiben es manche total. Sie schlagen sich mit Hämmern ins Gesicht", berichtet er.
Hauptsächlich, das macht die Doku deutlich, gehe es den Looksmaxxern um die Aufmerksamkeit von Frauen. "Dahinter steckt der Glaube, Frauen seien Männern gegenüber privilegiert, interessierten sich nur fürs Aussehen und seien unehrlich und nicht vertrauenswürdig", erklärt Callum Hood. Eine weit verbreitete Meinung in der Szene sei etwa, Frauen würden sich nur für Männer mit einer Körpergröße über 1,83 Meter interessieren.
"Wir brechen die beiden größten Knochen im menschlichen Körper"
"Wenn man keinen Partner findet oder es im Beruf nicht läuft, liegt das immer nur daran, dass man nicht groß genug ist", heißt es beispielsweise in einem Beitrag in einem einschlägigen Forum. Manche Männer lassen sich deswegen die Beine verlängern - mithilfe eines legalen, aber umstrittenen und kostspieligen Eingriffs. "Wir brechen die beiden größten Knochen im menschlichen Körper. Pro Knochen geht dabei ungefähr ein halber Liter Blut verloren", berichtet der polnische Chirurg Michal Deszczynski.
Durch implantierte Marknägel, die über Monate magnetisch in die Länge gezogen werden, können die Knochen tatsächlich wachsen. Die vollständige Prozedur dauert jedoch Monate - und ist äußerst qualvoll. "Wer diese Art Schmerz noch nicht erlebt hat, kann das nicht nachvollziehen. Es ist hundertmal schlimmer, als man glaubt", erzählt ein Patient, der unerkannt bleiben will. Nichtsdestotrotz bereue er den Eingriff nicht: "Wenn man Karriere machen will, helfen Charisma, gutes Aussehen und Körpergröße." Er fühle sich jetzt, da er nicht mehr 1,75 Meter, sondern 1,83 Meter misst, "viel wohler" in seiner Haut.
In Looksmaxxing-Foren heißt es: "Ich hasse Frauen"
Hinter dem Streben nach dem perfekten Äußeren stecke vor allem eines: ein "fast schon steinzeitliches Rollenbild von Mann und Frau", fasst Reporter Ben Zand seine Recherchen in der Looksmaxxer-Szene zusammen. "Männer sollen wieder mehr Männlichkeit zeigen. Sie sollten sich um die Frau kümmern", fordert etwa Content Creator Austin im Interview. Sein Kumpel Jayden pflichtet ihm bei: "Ich finde es okay, wenn Frauen arbeiten gehen, aber sie sollten auch feminine Eigenschaften haben. Manche Frauen sind sehr wettbewerbsorientiert - das ist für mich eine männliche Eigenschaft."
Eigentlich gehe es Frauen "nur um deine Ressourcen. Bei gutaussehenden Männern sind das die Gene, bei anderen beispielsweise das Geld", glaubt ein weiterer anonymer Looksmaxxer. Einen ähnlichen Ton schlagen die Beiträge an, die in entsprechenden Online-Communities zu lesen sind: "Ich hasse Frauen. Sie mögen mich nur, weil ich gut aussehe", heißt es da. Oder: "Durchschnittsfrauen haben viel mehr Chancen als Durchschnittsmänner."
Es sei "ein seltsamer Widerspruch", stellt Callum Hood fest: "Viele Männer sind besessen davon, attraktiver für Frauen zu werden. Gleichzeitig hassen sie es, sich für Frauen anstrengen zu müssen." Der Forscher mahnt: "Als Gesellschaft müssen wir jungen Männern zeigen, dass es auch anders geht. Dass man über seine Ängste sprechen kann - ohne in toxische Ideologien abzurutschen."