ZDF-Reporter legt am VW-Standort den Finger in die Wunde: "Manche sagen, man verdient zu gut"

Der Tag der Arbeit ist der Sendeplatz der neuen "Am Puls"-Doku von und mit ZDF-Wirtschaftsjournalist Florian Neuhann. Das passt auf fatale Weise. Denn es geht um "die Autokrise" im Land. Und die könnte die deutsche Arbeitswelt in den kommenden Jahren förmlich aus den Angeln heben.
Im Jahr 2024 arbeiteten 744.000 Menschen in der deutschen Autoindustrie. Nimmt man Handel und Zulieferindustrie hinzu, kommt man sogar auf 4,6 Millionen Menschen. Es ist noch immer der bedeutendste Industriezweig Deutschlands. Ganz aktuell aber machen neue Hiobsbotschaften die Runde. Bei VW und Mercedes brach der Gewinn im ersten Jahresquartal um jeweils über 40 Prozent ein. Die daraus resultierende Existenzfrage trägt der ZDF-Film im Untertitel: "War's das mit Wohlstand?"
Das fragen sich unter anderem am VW-Standort Zwickau die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Florian Neuhann trifft hier die junge Angestellte Stephanie Haferkorn. Seit 16 Jahren ist sie bei VW. Als der ZDF-Reporter im sächsischen Werk eintrifft, mobilisiert sie für den Arbeitskampf: "Es geht einfach um alles gerade."
"Deshalb ist es für andere auch gut, dass wir gut verdienen"
Das einstige Vorzeigewerk, bei dem nur Elektroautos produziert werden, stand lange auf der Kippe, wurde nun auf Zeit und unter Schmerzen gerettet. "Man merkt trotzdem, dass ziemlich viel kaputtgeht, es ist nicht nur VW, denen es schlecht geht, sondern allen anderen, und das macht Angst", sagt Stephanie Haferkorn, die gerade für ihre Familie ein Haus gebaut hat.
In den Werkshallen legt Reporter Neuhann den Finger in die Wunde: "Man verdient gut hier", behauptet er. "Ja, das kann man sagen", kommt die ehrliche Antwort. "Manche sagen, man verdient zu gut", hakt der ZDF-Mann nach. Die VW-Angestellte rechtfertigt sich: "Ja, aber wir bringen ja auch das Geld in die Gesellschaft. Deshalb ist es für andere auch gut, dass wir gut verdienen."
Die Gewerkschaft IG Metall forderte zum Zeitpunkt des Drehs 7 Prozent mehr Gehalt. Der Konzern aber wollte die Gehälter aller Beschäftigten um 10 Prozent kürzen. "Wäre das vorstellbar, alle verzichten, damit die Jobs erhalten bleiben?", will Neuhann von seiner Gesprächspartnerin wissen. "Man könnte darüber reden, wenn die Vorstände einen Zukunftsplan offenlegen würden", kommt die skeptische Replik. "Es ist nicht okay zu sagen, ihr kriegt 10 Prozent weniger, aber wie es weitergeht, wissen wir gar nicht." Zumal sich das Konzernmanagement "das Geld trotzdem weiter in die Tasche" packe.
"Man sollte weiter auf Verbrenner setzen, das ist das, was wir können"
In Wolfsburg, beim VW-Stammsitz, hört der ZDF-Journalist Ähnliches. Viel Abstiegsangst. Und eine deutliche Warnung vor einem verheerenden Dominoeffekt. "Das verstehen immer viele nicht", sagt Michael Speracio, seit 35 Jahren bei VW und Vertrauensmann der Gewerkschaft: "Ein Volkswagen-Arbeitsplatz sind draußen sieben andere. Angefangen von der Bäckereifachverkäuferin bis zur Erzieherin. Wenn bei Volkswagen keiner mehr arbeitet, bleiben die Kinder zu Hause und keiner kauft mehr seine Brötchen, keiner fährt auf dem Weg zur Arbeit tanken. Das ist ein Riesen-Rattenschwanz."
Am Esstisch der Familie Speracio hört der Gast vom ZDF viel Wut auf Managementfehler, falsche Preispolitik sowie das Credo: "Man sollte weiter auf Verbrenner setzen, das ist das, was wir können." Das sieht Herbert Diess, 2022 als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG ausgeschieden, anders. "Wir müssen uns auf die Zukunft konzentrieren und nicht am Verbrenner festhalten", bekräftigt er im Interview vor der Kamera.
Politische Debatten ums Verbrenner-Aus nennt er "belanglos": "Ob der Verbrenner 2035 stirbt oder 2038 oder 2040 - was bedeutet das?" Der österreichische Top-Manager blickt nach Norwegen und in die Niederlande: "Dort, wo die Politik das Elektroauto unterstützt, setzt es sich durch."
Chinesischer E-Auto-Manager: "Ich hatte drei BMWs"
So auch in China, wo das autoritäre Regime den Verkauf von Verbrennern ohne gesellschaftliche Debatten eingeschränkt hat. Dazu gab und gibt es massive Subventionen für Elektrobauer. Manche Marken schreiben noch heute Verluste, die der Staat ausgleicht. Trotzdem platzt der "Chef für Kundenbeziehungen" des Premiumherstellers Nio im ZDF-Interview vor Selbstbewusstsein: "Ich hatte drei BMWs, bin ein großer BMW-Fan. Aber seit es Nio gibt, bin ich auf ein Elektroauto umgestiegen." So hielten es gerade viele Menschen in China.
In der Tat gehen die lange Zeit segensreichen Umsatzzahlen deutscher Autohersteller auf dem chinesischen Riesenmarkt zurück. Bei einer Straßenumfrage in China spricht Neuhann einen Passanten auf Mercedes, BMW und Volkswagen an: "Die sind berühmt, aber für mich zu teuer", winkt er ab.
"Offen gesagt, viele Autohersteller sind auch aus Arroganz in diese Lage geraten"
Ebenfalls in Shanghai lebt der US-YouTuber Ethan Robertson. Er verdient sein Geld damit, E-Autos zu testen - ohne von den Firmen bezahlt zu werden, wie er beteuert. Die Frage, ob die Zukunft der Autoindustrie in China entschieden werde, bejaht der Experte energisch: "Weltweit geht der Trend in Richtung E-Autos, und China hat gerade einen so großen Vorsprung, dass sie den Takt vorgeben."
Zwar hätten auch die deutschen Autobauer "das Know-how, die Erfahrung und die Fähigkeit, richtig starke Autos zu bauen". Aber: "Sie müssen sich verändern. Sie müssen schlanker werden, und das wird für die Firmen und die Leute nicht einfach." Kritik an deutschen Firmenlenkern kommt auch von ihm: "Offen gesagt, viele Autohersteller sind auch aus Arroganz in diese Lage geraten. Sie dachten, sie könnten den chinesischen Automarkt für immer beherrschen. Jetzt verlieren Menschen ihre Jobs, und das ist ernst. Darüber sollte man sich Sorgen machen."
"Am Puls mit Florian Neuhann: Die Autokrise - War's das mit Wohlstand?" läuft am Donnerstag, 1. Mai, 19.20 Uhr, im ZDF und schon vorab in der ZDF-Mediathek.