"Besessen, andere Menschen zu zerstören"
Ein Arzt muss sich entscheiden, ob er den US-Präsidenten sterben lässt oder seine entführte Tochter rettet - das Hörbuch zu Juan Gómez-Jurados Thriller "Zerrissen" hat Schauspieler Heikko Deutschmann gelesen. Im Interview spricht er über das Buch und den Lieblingskrimi der Deutschen.
Dave Evans, Hauptfigur in Juan Gómez-Jurados Thriller "Zerrissen", ist Neurochirurg, kürzlich verwitwet - und in einer furchtbaren Lage: Seine Haushälterin wurde ermordet und seine kleine Tochter Julia entführt. Nur wenn Daves nächster Patient die anstehende OP nicht überlebt, hat er eine Chance, sie wiederzusehen. Dieser Patient aber ist der mächtigste Mann der Vereinigten Staaten... Das Hörbuch zu "Zerrissen" (Der Audio Verlag, 15,99 Euro) hat Schauspieler Heikko Deutschmann (53) gelesen. Im Interview spricht er über das Buch und den "Tatort".
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In "Zerrissen" muss sich ein Arzt entscheiden, ob er den US-Präsidenten bei einer OP sterben lässt oder seine entführte Tochter rettet. Was hat Sie an dieser Geschichte fasziniert?
Heikko Deutschmann: Das ist diese Grundprämisse, das moralische Dilemma: Darf man, um den einen zu retten, den anderen Menschen sterben lassen. Das ist eine sehr spannende Frage und davon lebt das Ganze. Dazu kommt, dass Dr. Evans nur 63 Stunden Zeit bleiben. Interessant finde ich zudem, dass diese Erpressung rein über digitale Medien läuft, hauptsächlich über das Smartphone, das gehackt ist. Jeder Schritt, den Dr. Evans macht, jeder Ton, den er sagt, wird dadurch überwacht. Eine packende Geschichte, die übrigens in der Todeszelle beginnt...
Es gibt auch viele tiefe Einblicke in die Figuren: Nicht nur in Dave Evans - sein Gegner, Mr. White, ist ein gerissener Psychopath. Was ist das Besondere an den Figuren im Buch?
Deutschmann: Sie müssen sich mit diesem moralischen Dilemma auseinandersetzen und dadurch bekommt man einen tiefen Einblick in die Seelen dieser beiden Figuren. Das ist ein kluger Schachzug. Warum dieser Psychopath das macht, wird aber am Ende nicht wirklich aufgeklärt. Er ist vollkommen davon besessen, andere Menschen kontrollieren zu können, zu Maschinen zu machen, die sich selbst zerstören.
Ist so ein Buch voll rasanter Spannung anstrengender für Sie zu lesen als Hörbuchsprecher?
Deutschmann: Nein. Anstrengend zu lesen sind eigentlich nur Bücher, die schlecht geschrieben sind und von denen man nichts zurückkriegt. Bei einem Buch wie diesem, das sehr spannend ist, begibt man sich in eine Welt, die einen mitreißt. Und das gibt einem mindestens so viel zurück, wie man beim Lesen investiert.
Warum sind Thriller und Krimis bei Lesern und auch im Fernsehen so beliebt?
Deutschmann: Ich selbst lese nicht besonders viele Krimis. Ich glaube aber im Fernsehen zu beobachten, dass es das Genre ist, das am meisten mit der Gesellschaft zu tun hat. Es gibt nun mal keine Kriminalfälle, ohne dass man die soziale und die psychische, emotionale Ebene der Beteiligten beleuchtet. Deshalb lesen die Leute das wohl auch gerne. Und sicherlich ist es entspannend, sich dieser Spannung hinzugeben.
Wen würden Sie als Schauspieler lieber spielen: Dave oder den Psychopathen Mr. White?
Deutschmann: Meistens ist es ja so, dass der Böse die interessantere Rolle ist. In dem Fall würde ich aber tatsächlich lieber Dave spielen wollen, weil auch bei ihm Widersprüche da sind und weil dieses Dilemma schon sehr groß ist.
Sie hatten schon viele Auftritte im "Tatort" und "Polizeiruf 110".
Deutschmann: Ich spiele prinzipiell sehr gerne Rollen, die gebrochen und vielschichtig sind. Selbst bei Bösewichten ist es, wenn das Script gut geschrieben ist, interessant zu sehen, warum jemand aus diesem fest gefügten System fällt, das wir haben. Einen Kommissar zu spielen, ist auch interessant, aber wenn man von den Rollenprofilen ausgeht, dann sind gerade im "Tatort" die negativen oder vermeintlich negativen Figuren die interessanteren.
Sie sind lange und erfolgreich im Geschäft. Was hat sich in der deutschen TV-Landschaft in den vergangenen Jahren verändert?
Deutschmann: Im öffentlich-rechtlichen Sektor hat meiner Meinung nach das pure Schielen auf die Quote und vor allem die Behauptung, dass diese etwas mit unbestechlicher Qualität zu tun hat, das Fernsehen verändert. Der Bildungs- und Informationsauftrag wird immer weniger. Die Sachen müssen schnell und auf den ersten Blick zu verstehen sein. Das Hinterfragen überlässt man den Zuschauern, wenn der Fernseher aus ist. Diese Entwicklung finde ich nicht besonders gut.
Was steht bei Ihnen in nächster Zeit an Projekten an?
Deutschmann: Ich mache als nächstes ein tolles Hörbuch, das ich selbst initiiert habe: ein Zukunftsroman, der von Jewgenij Samjatin 1919 geschrieben wurde. "Wir" diente für alle großen Romane dieses Genres wie "Schöne neue Welt" oder "1984" als Vorlage. Merkwürdigerweise kennt den aber kaum jemand. Und das würde ich gerne ändern.