Erstlingswerk von Kultautorin Harper Lee: Das erwartet die Leser

1960 wurde Harper Lee mit ihrem Werk "Wer die Nachtigall stört" zum Star. Jetzt erscheint mit "Gehe hin, stelle einen Wächter" ihr zweiter Roman.
Einen Roman hat Harper Lee bisher veröffentlicht - der reichte aber aus, um sie über Nacht zum Star zu machen: 1960 erschien "Wer die Nachtigall stört" , für den Harper Lee den Pulitzer-Preis erhielt. Und jetzt - die Autorin ist inzwischen 89 Jahre alt - könnte sie erneut einen großen Erfolg feiern...
Mit "Gehe hin, stelle einen Wächter" - zeitlich vor "Wer die Nachtigall stört" entstanden - erscheint nun das Erstlingswerk von Harper Lee am 14. Juli in den USA ("Go Set a Watchman"), drei Tage später auf Deutsch. Das Manuskript galt als verschollen - bis es laut Verlag eine Freundin der Autorin im September 2014 fand. Es soll sich um die 1957 ursprünglich beim Verlag J. B. Lippincott eingereichte frühe Fassung von "Wer die Nachtigall stört" handeln. Der "Guardian" schreibt, dass die "Texte weitestgehend unabhängig voneinander sind". Neben einer unterschiedlichen Erzählperspektive seien die beiden Werke auch anders aufgebaut. Einige Passagen, wie beispielsweise Ortsbeschreibungen, überschnitten sich aber auch.
Dramatische Wandlung bei Atticus
Die Charaktere aus "Wer die Nachtigall stört" sind auch in "Gehe hin, stelle einen Wächter" wieder dabei, nur 20 Jahre älter: Eine inzwischen erwachsene Jean Louise Finch ("Scout") kehrt zurück nach Maycomb und sieht sich in der kleinen Stadt in Alabama, die sie so geprägt hat, mit gesellschaftspolitischen Problemen konfrontiert, die nicht zuletzt auch ihr Verhältnis zu ihrem Vater Atticus infrage stellen. Der "Guardian" urteilt: Wäre dieses Werk 1960 erschienen, hätte es ziemlich sicher nicht den gleichen Erfolg gehabt. Es sei weniger liebenswert und gehöre zu dem Genre, in dem Menschen zurückkämen, um herauszufinden, dass sich ihr Zuhause schmerzlich verändert habe. Scout habe ihre kecke Prahlerei verloren, die ihre kindliche Ich-Erzählung in der "Nachtigall" so unwiderstehlich machte.
Am meisten aber scheint die Kritiker bisher die dramatische Wandlung von Atticus Finch zu verwundern, der nun offenbar als Rassist dargestellt wird: Seine Beschreibung sei für Fans des 1960 erschienenen Werkes sehr verwirrend, heißt es bei der "New York Times". Beide Bücher seien einfühlsam. Aber während "Wer die Nachtigall stört" nahelege, Mitgefühl mit Außenseitern wie Boo und Tom Robinson zu haben, wolle "Watchmen", dass "wir Verständnis für einen Fanatiker namens Atticus aufbringen". Die Käufer scheinen bisher nicht abgeschreckt, bei "amazon.com" steht das Buch schon vor der Veröffentlichung auf Platz eins der Bestsellerliste.
"Wer die Nachtigall stört" wurde zur Weltliteratur
In "Wer die Nachtigall stört" geht es um die Geschwister Scout und Jem, die im Alabama der 1930er Jahre aufwachsen. Die Wirklichkeit des Rassenhasses bekommen sie zu spüren, als ihr Vater, der Anwalt Atticus Finch, einen wegen Vergewaltigung angeklagten Schwarzen verteidigt. Finch lehrt seine Kinder Verständnis und Toleranz, allen Anfeindungen und Angriffen ihrer "ehrbaren" Mitbürger zum Trotz. Schon 1962 wurde das preisgekrönte Werk von Robert Mulligan mit Gregory Peck als Atticus Finch verfilmt , der dafür einen Oscar erhielt. Insgesamt holte der Film drei Goldjungen. Das Buch ist mit 40 Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen eines der meistgelesenen Bücher weltweit und gehört zu den bedeutendsten US-amerikanischen Romanen des 20. Jahrhunderts.