Hayley Atwell: "Der Sexismus heutzutage ist ausgefeilter"
Hauptdarstellerin Hayley Atwell ließ es sich nicht nehmen, die neue Marvel-Serie "Agent Carter" höchstpersönlich in Deutschland vorzustellen. Wieso derzeit ein goldenes Zeitalter für TV-Serien und Superhelden herrscht, erzählte die Schauspielerin der Nachrichtenagentur spot on news.
Mit einer Mischung aus Stolz, Mitleid und einer Prise Schadenfreude zeigt Schauspielerin Hayley Atwell (33) auf ihrem Handy einen kurzen Clip, in dem sie einem Stuntman mit voller Wucht in die Weichteile tritt. Es ist die perfekte Antwort auf die Interview-Frage, wie sehr es ihr gefallen habe, am Set der neuen Serie "Agent Carter" männliche Hintern zu treten. Spot on news traf die charmante Darstellerin im Rahmen des Deutschland-Starts der Marvel-Show auf dem Sender Syfy am 27. Mai, in welcher sie - wie schon in der Blockbuster-Reihe "Captain America" und aktuell in "Avengers: Age of Ultron" - die toughe Agentin Peggy Carter mimt.
Frau Atwell, mit welchen Attributen würden Sie ihre Figur Agent Carter beschreiben?
Hayley Atwell: Peggy ist einfallsreich, sie nutzt alles, was sie in die Finger bekommt - ob nun einen Tacker oder Lippenstift. Sie ist zielstrebig und weiß dank eines moralischen Kompasses in ihrem Herzen genau, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Und die treibende Kraft hinter all dem ist ihr persönliches Schicksal, Steve (Captain America - Anm. d. Red.) verloren zu haben. In der gesamten ersten Staffel sucht sie nach einem Weg, endlich über ihn hinwegzukommen. Überhaupt muss sie viele Schlachten schlagen: gegen die Trauer, aber auch gegen die Isolation, die mit ihrem Doppelleben als Agentin einhergeht. Und die Bösewichte wollen ja auch noch bekämpft werden.
"Agent Carter" spielt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA der 40er Jahre. Ist das eine Zeit, in der Sie auch gerne gelebt hätten?
Atwell: Nein, auch wenn ich es lieben würde, wenn wir uns noch wie damals anziehen würden. Wir sind nicht mehr halb so elegant gekleidet, wie es die Menschen von damals waren. Aber das Leben wird immer besser, je weiter es sich entwickelt, sei es in der Technologie, der Medizin oder den generellen Lebensbedingungen - speziell für die Glücklichen in der westlichen Welt.
Das Frauenbild in den 40er Jahren war auch ein deutlich anderes. Doch Peggy nutzt das Vorurteil des hilflosen Frauchens zu ihrem Vorteil.
Atwell: Genau, das macht sie so brillant und darin liegt auch ihre Macht. Sie kann ihre Reize einsetzen, sich wie Veronica Lake rausputzen, und so durch ihren Sex-Appeal die Männer um den Finger wickeln, ohne ausschließlich darauf angewiesen zu sein. Sie bekämpft den Sexismus nicht aktiv, sondern nutzt ihn für sich aus.
Würde die Serie auch funktionieren, wenn sie in der Gegenwart angesiedelt wäre?
Atwell: Ich denke schon. Heutzutage ist der Sexismus einfach nur ausgefeilter, aber er existiert noch ganz genauso. Peggy ist eine sehr moderne Frau, die schlichtweg in der falschen Zeit lebte, und mit diesem Gefühl können sich auch heute noch viele Frauen identifizieren.
Äußert sich dieser moderne Sexismus, von dem Sie sprechen, auch in der Tatsache, dass es so wenige Serien mit weiblichen Hauptdarstellerinnen gibt?
Atwell: Ich denke das hat sich in der letzten Zeit verbessert. Inzwischen haben wir Serien wie "How To Get Away With Murder", "Veep" , oder "The Good Wife" - die Zuschauer haben begonnen, solche Formate zu fordern und die Sender geben ihnen endlich, was sie wollen. Männer beziehungsweise männliche Protagonisten haben die Fernsehlandschaft ebenso dominiert, wie alle anderen Bereiche. Die Fernsehindustrie ist das Sinnbild für den Wandel, der sich in der gesamten Gesellschaft vollzieht.
Wussten Sie bereits von der "Agent Carter"-Serie, als Sie die Rolle erstmals in "Captain America: The First Avenger" übernahmen?
Atwell: Überhaupt nicht, ich dachte tatsächlich, es würde sich auf den einen Film beschränken. Als ich für die Rolle vorsprach, wusste ich nicht im Geringsten, worauf ich mich da eigentlich eingelassen habe. Wir haben dann einen Kurzfilm über Agent Carter gemacht, der als Extra auf der DVD zu "Iron Man 3" zu sehen war. Dieser 12-minütige Film hatte derart positive Resonanz, dass daraus die Idee für eine eigenständige Serie entstand.
So erfolgreich, dass es inzwischen auch konkrete Pläne einer zweiten Staffel gibt...
Atwell: Ja, die Gespräche darüber sind derzeit in vollem Gange. In den USA hatte die Serie einen immensen Erfolg, Anhänger auf Twitter haben förmlich um eine zweite Staffel gefleht. Aber ob es tatsächlich eine Fortsetzung geben wird, erfahre ich selbst auch erst kurz zuvor. Aber ich würde die Gelegenheit lieben, den Charakter weiter erkunden zu können.
Die TV-Serie als Format ist aktuell auch sehr beliebt bei den Stars von Hollywood. Ob Matthew McConaughey, Kevin Spacey oder Clive Owen, sie alle sind ins TV-Fach gewechselt. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Atwell: Zum einen hat sich die Qualität der Drehbücher in den vergangenen Jahren stark verbessert. Mit einer TV-Serie bietet sich aber auch die Gelegenheit, die Tiefen einer Figur viel detaillierter zu ergründen, als es in einem zweistündigen Film der Fall ist. Das hat zuletzt tolle Drehbuchautoren hervorgebracht, die tolle Regisseure anlocken konnten. Die Reihenfolge, vom Theater zum Fernsehen und dann zum Kino aufzusteigen, gibt es so nicht mehr.
Eine zweistündige Film-Version von "Breaking Bad" hätte sich als schwierig herausgestellt, das stimmt.
Atwell: Unmöglich in so kurzer Zeit. Wir wollen mehr von solchen Figuren sehen, denn wir sind eine Fernseh-Kultur. Wir wollen auf eine lange Reise geschickt werden, das aber gerne in den eigenen vier Wänden und zu einem von uns bestimmbaren Zeitpunkt. Die TV-Serie erlebt derzeit ihr zweites, goldenes Zeitalter.
Wo sehen Sie denn das Erste?
Atwell: Bei den frühen Screwball-Komödien der 50er und 60er Jahre, als das Medium langsam begann zu begreifen, was es ist und welche Anziehungskraft es auf die Massen auswirkt.
Auch das Superhelden-Genre erlebt derzeit eine wahre Renaissance. Warum schauen Menschen so gerne zu, wie die "Avengers" und Co. in engen Hosen die Welt retten?
Atwell: Ich denke es ist archetypisch. Wir alle haben den Gedanken tief in uns, dass wir der Held unseres eigenen Lebens sein können. Das Gute an den Marvel-Helden ist, dass jeder von ihnen Fehler und Unzulänglichkeiten hat. Die meisten Comic-Helden haben eine tragische Vergangenheit oder Schwierigkeiten, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Ein Outsider zu sein und dennoch eines Tages zum Helden aufzusteigen, diese Vorstellung spricht uns universell an.