Henriette Reker: Wie sie ihre Hinrichtung erlebte
Henriette Reker war dem Tode nahe. Im Jahr 2015 wurde sie von einem Messerstecher attackiert und kämpfte um ihr Leben. Heute schildert die Oberbürgermeisterin von Köln, wie sie die wohl heikelsten Minuten ihres Lebens erlebt hat.
Wie ist das, wenn der Tod so nahe ist wie nie zuvor und das Leben aus einem herausrinnt? "Ich lag da und fühlte mich hingerichtet", sagt die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (61). Am Vortag zu ihrer Wahl als Kölner Stadtoberhaupt hatte ihr ein rechtsradikaler Attentäter ein 30 Zentimeter langes Bowiemesser in den Hals gestoßen und dabei ihre Luftröhre fast komplett durchtrennt. Als sich einen Tag später ihr bislang größter politischer Erfolg anbahnte, lag sie im künstlichen Koma und rang mit den Tod.
"Ich habe mich hilflos gefühlt"
Jetzt hat Henriette Reker im "Süddeutsche Zeitung Magazin" über die schlimmsten Augenblicke ihres Lebens gesprochen. Die parteilose Kommunalpolitikerin befand sich am 17. Oktober 2015 auf einem Kölner Wochenmarkt an den Ständen von CDU, FDP und Grünen, die ihre OB-Kandidatur unterstützten. Sie verteilte Rosen. Da trat von hinten der arbeitslose Maler und Lackierer Frank S. (damals 44) auf sie zu und bat um eine Blume. Plötzlich stach er Reker in den Hals.
"Ich lag 14 Minuten auf dem Boden, bis man mich ins Krankenhaus fuhr. Lag da und fühlte mich hingerichtet. Abgestochen. Ich habe mich einfach hilflos gefühlt. Obwohl ich im Grunde genommen alles richtig gemacht habe. Ich hatte mich in die stabile Seitenlage gerollt und meine Blutung am Hals kompressiert. Ich wusste, wie ich reagieren muss, weil ich im Umgang mit schweren Arbeitsunfällen geschult worden war. Meine größte Sorge war, dass mir jemand Hilfe aufnötigt, der keine Ahnung hat", sagt die 61-Jährige.
Eine Notoperation hat ihr das Leben gerettet. Als sie aus dem Koma erwachte, hatte sie die OB-Wahl gewonnen. Der Glaube an die Medizin "und mein Glaube an Gott" hatten ihr die Hoffnung gegeben, dass sie trotz ihrer schweren Verletzung ihr Amt antreten könne. Fünf Wochen später war es soweit.
Reker verspührt keine Angst
Über zwei Jahre nach dem Attentat fühlt Henriette Reker "Dankbarkeit, dass es mir so gut geht." Doch sie hatte auch Probleme mit dem Erlebten. "Für einige Monate hatte ich Verarbeitungsträume, Träume, in denen ich hingerichtet werde. Aber ich habe keine Ängste entwickelt, ich fühle mich noch immer wohl unter Menschen, auch in großen Gruppen. Ich mag es nur nicht, wenn sich mir jemand von hinten nähert."
Sie sagt, ihr Ehemann, ein australischer Golflehrer, sei ängstlicher als sie. "Dem sage ich immer: Es ist noch niemand zweimal Opfer eines Anschlags geworden. Darauf antwortet er immer: Du musst nicht die Erste sein."
"Es reicht nicht, Entschuldigung zu sagen"
Der Attentäter Frank S., der vor Gericht angab, dass er eigentlich Kanzlerin Angela Merkel als Ziel hatte, wurde 2016 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Während des Prozesses kam sein Anwalt auf Reker zu und meinte, der Täter wolle sich entschuldigen. "Ich habe das während des Gerichtsverfahrens abgelehnt", sagte die Oberbürgermeisterin dem SZ-Magazin. "Außerdem reicht es nicht, Entschuldigung zu sagen. Man sollte um Verzeihung bitten. Dann könnte ich sagen: Jawohl, ich verzeihe dir, oder eben nicht."
Henriette Reker, die vehement gegen Rassismus eintritt, sagt aber auch, dass sie immer noch Drohbriefe bekomme. "Die sind zum Teil wirklich perfide, da wird meine Hinrichtung sehr detailliert beschrieben." Doch das Attentat habe sie in ihrer Haltung nicht geschwächt. "Ganz sicher, es hat mich stärker und entschlossener gemacht."