Neonschwarz: Mit Ananas und Jogginghose für die Utopie

Darauf hat der linke Teil der Hip-Hop-Szene gewartet: Neonschwarz melden sich zurück - und zwar lauter, frecher und politisch expliziter denn je. Die Rapper im ersten Interview zum neuen Album "Metropolis".
In den letzten Jahren hat sich eine neue Riege frecher und politischer Rap-Bands aus den besetzten Häusern und autonomen Zentren auf die großen Festivals gespielt. Kaum eine ist dabei so frech und politisch wie Neonschwarz, die bereits 2014 mit ihrem Debüt "Fliegende Fische" aufhorchen ließen. Zusammen mit dem Videoclip zum dritten Vorab-Track "Atmen" haben die vier Hamburger nun die Katze aus dem Sack gelassen: Das lang erwartete neue Album heißt "Metropolis" und erscheint am 6. Mai bei Audiolith. Die Nachrichtenagentur spot on news durfte sich als erstes mit Marie Curry, Johnny Mauser, Captain Gips und Spion Y über ihr neues Werk unterhalten.
"Metropolis" klingt rauer und urbaner als der Vorgänger "Fliegende Fische". Steht dahinter auch ein anderes Konzept?
Marie Curry: Nachdem "Fliegende Fische" so eine Story hatte, dass wir mit dem Floß abhauen, unsere Utopie suchen und ausbrechen wollen aus den Verhältnissen, so ein bisschen urlaubsmäßig mit der Ananas als Symbol, dachten wir, wir gehen jetzt zurück in die Stadt und machen ein urbaneres Album und nennen das "Metropolis". Wir haben aber trotzdem noch diesen Utopie-Aspekt dabei, also Metropolis als eine Stadt, die man selber gestaltet und die vielleicht nicht so ist wie die Städte, die man so kennt. Andererseits geht es aber auch um sehr reale Themen und Probleme. Metropolis ist also weder rein positiv noch rein negativ zu verstehen.
Johnny Mauser: Es ist auch nicht in dem Sinn ein Konzeptalbum, dass sich wirklich jeder Song an dem Konzept orientiert. Es gibt auch viele Songs, die nicht nur mit der Stadt zu tun haben. Das hätte ich für unser Album auch für zu begrenzt gehalten.
Der Ananas widmet ihr mit "Dies das Ananas" auch wieder einen Song. Wie wurde diese Frucht überhaupt zum Bandmaskottchen?
Marie Curry: Beim letzten Album haben wir gedacht, dass die Ananas als eine Frucht, mit der man nur Positives verbindet, ein ganz gutes Symbol ist für diesen Ausbruchswunsch, dieses "Ich hau ab übers Meer mit dem Floß".
Johnny Mauser: Das schöne Leben quasi, das wir uns wünschen. Wir behandeln ja trotzdem ernste Themen auf den Alben, aber man kann ja trotzdem immer diesen Wunschgedanken haben, dahin zu gehen, wo es halt schönes Wasser gibt und Ananas.
Spion Y: Ich habe außerdem tatsächlich bei "Unnützes Wissen" gelesen, dass eine Ananas Tryptophan enthält, das in den USA als Antidepressivum angeboten wird. Das wusste ich nicht, aber es ist natürlich ganz klar, dass eine Ananas glücklich macht.
Johnny Mauser: Unser Album macht die Leute happy und eine Ananas auch!
Habt ihr ein Lieblingsgericht mit Ananas?
Johnny Mauser: Toast Hawaii, würde ich sagen.
Marie Curry: Toast Hawaii, genau! (alle lachen)
Was ist das für ein frecher Mädchenchor bei dem Song "Kinder aus Asbest"?
Johnny Mauser: Das sind junge Fußballspielerinnen vom FC St. Pauli. Der FC St. Pauli ist ja bekannt für seine Gesangskünste (alle lachen), da haben wir gedacht, wenn wir schon Sängerinnen suchen, dann natürlich beim Fußballverein. Und die haben das sehr gut gemacht, die FC Girls!
"2015" ist bereits euer zweiter musikalischer Jahresrückblick, in dem ihr euch ordentlich über Rassismus und Fremdenhass im vergangenen Jahr auskotzt. Gleich zum Jahreswechsel ist die Lage ja direkt noch schlimmer geworden...
Marie Curry: Auf jeden Fall, das ist ja jetzt noch krasser umgeschlagen nach den Ereignissen in Köln an Silvester, das ist auf jeden Fall schockierend.
Johnny Mauser: Es ist natürlich nicht unsere Aufgabe, jedes Jahr in so einem Jahresrückblick zu dokumentieren wie bei RTL oder so, aber es fühlte sich schon sehr verpflichtend an, das wieder so zu bringen, nachdem wir einmal angefangen haben. Der Song "2014" war ein bisschen kämpferischer: Wenn das passiert, dass sich rassistische Bürgermobs bilden, die Flüchtlinge angreifen, dann gehen wir auf die Straße und dann wird das zivilgesellschaftlich verhindert. Der Song "2015" ist jetzt ein bisschen pessimistischer, indem wir sagen: Okay, das hat nicht wirklich funktioniert.
Ein Thema, das Captain Gips und du 2015 immerhin abhaken konntet, waren die Ermittlungen wegen eures Tracks "Nazifreie Zone". Könnt ihr noch einmal kurz zusammenfassen, worum es da ging?
Johnny Mauser: In Hamburg war ein Nazi-Aufmarsch geplant, das kommt hier ja relativ selten vor. Captain Gips und ich haben einen Track dagegen gemacht und ein Video dazu. Das Ganze ist jetzt schon drei, vier Jahre her. Das Video ging gut rum, und nach drei Jahren kam dann plötzlich Post vom Landeskriminalamt, dass gegen uns ermittelt wird wegen Aufruf zu Straftaten und sogar Volksverhetzung, was relativ absurd war. Das Ganze wurde aber eingestellt, was für uns eigentlich auch total logisch war. Aber das gesamte Ding war natürlich nervig, man musste mit Anwälten sprechen, das Ganze hat uns auch Geld gekostet. Es ist eigentlich frappierend, wenn gerade die Lage in Deutschland so ist, dass ganz viele Gewalttaten von rechts passieren, und dann gegen uns ermittelt wird, nur weil wir einen Song gemacht haben.
Wie viele andere linke Bands und Crews bewegt ihr euch eher etwas außerhalb der restlichen Rap-Szene. Was haltet ihr aus dieser Perspektive heraus von den aktuellen Entwicklungen im Hip-Hop-Mainstream?
Captain Gips: Ich hab ehrlich gesagt nur sehr wenig Ahnung von den aktuellen Entwicklungen im Hip-Hop-Mainstream.
Spion Y: Es gibt auf jeden Fall ganz viele Entwicklungen und man hat das Gefühl, Rap wächst die ganze Zeit stetig weiter. Es gibt ganz viele Facetten, ich finde da auch vieles ziemlich schräg und viele Styles treffen so gar nicht meinen Geschmack. Da bin ich vielleicht auch eher so das Hip-Hop-Oldschool-Kiddie, das den klassischen Rap abfeiert. Aber grundsätzlich ist es gut, dass es so viele Facetten hat und so viel angeboten wird, aber leider kann man sich halt nicht alles davon anhören.
Marie Curry: Ich find es ganz schön, dass es tendenziell wieder mehr politischen Rap im Mainstream gibt. Also das ist vielleicht nicht der totale Mainstream, aber Teile der Rap-Szene werden politischer.
Johnny Mauser: Ich glaube, dass wir mit einer der ersten Acts waren, die explizit wieder politischeren Rap gemacht haben und dass das vielleicht auch für die Hip-Hop-Welt und die Szenemedien ein bisschen anstrengender war, weil wir auch viel kritisiert haben. Da war es bisweilen leichter, uns außen vorzulassen, obwohl wir an sich sonst alle Hip-Hop-Klischees bedienen: Wir sind Graffitisprüher, DJs, rappen seit ewig und lieben halt Hip-Hop. Deswegen machen wir nicht groß was anderes als andere Acts, die ständig auf diesen Plattformen stattfinden. Aber das ändert sich ja vielleicht mit dieser Platte, weil die ja sehr hip-hop-lastig ist.
Wie geht ihr damit um, wenn ihr für Festivals gebucht werdet und da dann Bands mit problematischen, etwa sexistischen oder homophoben, Texten spielen?
Spion Y: Da ist halt die Frage, wie weit das dann geht. Wir haben schon auch mal Sachen abgesagt, wo wir festgestellt haben, dass da Bands gespielt haben, die gar nicht cool waren. Wir könnten uns halt nicht damit anfreunden, wenn da zum Beispiel rechtsoffene Bands spielen oder auch extrem sexistische Sachen.
Marie Curry: Aber je größer das Festival ist, desto schwieriger wird es, dem aus dem Weg zu gehen. Wenn man da extrem streng ist und immer sagt: Da hat jemand mal irgendwie eine sexistische Aussage getroffen, mit dem spielen wir nicht auf einem Festival, dann könnten wir glaube ich nirgendwo mehr spielen, zumindest was größere Festivals angeht Das macht es dann ein bisschen schwierig, aber wir unterhalten uns darüber von Fall zu Fall und entscheiden, wie wir damit umgehen.
Captain Gips: Ich denke schon, dass man da irgendwo eine Grenze ziehen muss, aber andererseits ist es ja auch gut, wenn das Publikum, welches sich zum Beispiel so sexistische Scheiße reinzieht, dann auch mit uns konfrontiert wird. Man darf denen ja auch nicht einfach das Feld überlassen.
Johnny Mauser: Grundsätzlich würde ich auch sagen, dass wir nicht der Act sind, der dauernd mit dem Finger auf die anderen zeigt, weil sie dies oder das gesagt haben. Die haben vielleicht auch einen ganz anderen Sozialisationshintergrund und man kann, glaube ich, nicht erwarten, dass das jeder so umsetzt wie wir. Deswegen würde ich erstmal sagen, dass wir einen eher offenen Umgang damit haben, eher auf die Leute zugehen und auch auf Festivals spielen, wo wir nicht mit allen einer Meinung sind. Ich glaube, auch bei diesen typischen Festivals, die jetzt auch schon angekündigt sind, steht eine Absage nicht zur Debatte, selbst wenn vielleicht jemand dabei ist, wo ein paar Zeilen nicht so cool sind.
Warum habt ihr mit "Jogginghosentag" diesem Kleidungsstück eine solche Liebeserklärung gewidmet?
Johnny Mauser: Die Jogginghose steht ja sinnbildlich dafür, sich nicht zu sehr stressen zu lassen von einer 40-Stunden-Arbeitswoche und so weiter. Das ist ja auch immer ein bisschen bei uns ein Thema, auch die schönen Seiten des Lebens zu genießen. Und die Jogginghose steht natürlich ein bisschen für diese Verweigerung von diesem krassem Leistungszwang und so weiter.
Marie Curry: Das ist ja gerade gesamtgesellschaftlich nicht nur in Deutschland sondern überall so, dass es immer ums Optimieren geht, immer die Zeit nutzen und alles. Und die Jogginghose ist eher ein Symbol dafür, sich einfach zu entspannen und sich nicht um das alles zu scheren. Vielleicht einmal nicht seine Zeit zu nutzen, indem man etwas produktives macht, sondern einfach einen warmen Kakao aus der Schnabeltasse trinkt oder so. (lacht)
Spion Y: Ich denke auch, damit kann sich jeder so ein bisschen identifizieren und denkt da gleich. Ich glaube, überall auf der Welt wird die Jogginghose abgefeiert, weil sie superbequem und gemütlich ist, deswegen kann man darüber schon auch mal einen Song schreiben.
Captain Gips: Ich habe mich mit diesem Thema ja schon sehr ausführlich in mehreren Songs auseinandergesetzt. Einerseits geht es darum, mit der Lobpreisung der Faulheit zu provozieren und andererseits verständnislos zu hinterfragen, warum sich die Mehrheit einfach damit zufrieden gibt, nur in vier bis fünf Wochen im Jahr tun zu können, was sie möchte. In Anbetracht dessen, dass wir nur dieses eine Leben haben, ist das ganz schön verrückt. Für mich ist es gleichzeitig aber auch eine Art Selbstermahnung. Ich schaffe es selbst zu selten, aber die Jogginghose am Strand ist ein Lebensziel.
Johnny Mauser: Die Jogginghose war uns lieb und es war uns wichtig, dass das einmal gesagt wird!
Wie sieht es bei euch gerade mit Solo-Projekten oder Arbeiten mit anderen Bands aus?
Marie Curry: Jetzt gerade aufgrund des Albums haben wir uns natürlich sehr auf Neonschwarz fokussiert. Natürlich gibt es noch ab und zu die Zeckenrap-Galas mit unserem Zusammenschluss Ticktickboom, aber gerade ist der Fokus auf Neonschwarz.
Captain Gips: Ich schreibe eigentlich immer, aber ohne konkreteres Ziel. Momentan ist an Nebenprojekte aber auch nicht zu denken.
Johnny Mauser: Ich bin auch gerade aus meiner anderen Band Trouble Orchestra aus Zeitgründen rausgegangen, weil es einfach irgendwann nicht mehr geht. Gerade wenn die Konzerte ein bisschen größer und die Platten ein bisschen aufwändiger produziert werden, ist das irgendwann zeitlich so leider nicht mehr möglich.
Können wir in absehbarer Zeit auch wieder mit einem Ticktickboom-Album rechnen?
Johnny Mauser: Tja, 25 Leute, die sich E-Mails hin und herschicken und alles basisdemokratisch oder durch das Konsensprinzip abstimmen oder auch nicht abstimmen, das braucht seine Zeit - aber irgendwann bestimmt!
Spion Y: Aber erstmal nicht! (alle lachen)