Gehörlosen-Tatort aus Saarbrücken: Wie schlimm wird es?

Tatort "Totenstille": Stellbrink (Devid Striesow) ermittelt unter Gehörlosen und lernt Gebärdensprache. © SR/Manuela Meyer
Hape Kerkeling ist vom Jakobsweg zurück und knattert jetzt durch Saarbrücken. Ähh, was? Seit über einem Jahr war Devid Striesow nicht mehr als Tatort-Kommissar aus dem Saarland präsent, stattdessen war er als Kerkeling-Darsteller mit großer PR-Maschine "weg". Manch einer könnte gehofft haben, der bislang völlig misslungene Saar-Tatort sei heimlich beerdigt worden, doch nun kommt er in "Totenstille" mit thematisch schwerem Marschgepäck zurück: Es geht um Gehörlose. Bang zitternd fragen wir uns: Wie schlimm wird es?
Worum geht’s?
Eigentlich ein kriminalistisches Standard-Szenario: Mann geht fremd, Frau stirbt beim wilden Hotel-Sex, Leiche wird dilettantisch in der Saar entsorgt. Stellbrink (Devid Striesow) findet schnell die Verbindung zwischen der Toten (Maike Müller) und dem etwas waschlappigen Familien-Vater Georg Weilhammer (Martin Geuer), der sich höchst verdächtig aufführt. Was der Saar-Kommissar nicht weiß: Der gehörlose Ben Lehner (Benjamin Piwko) hat Weilhammer telefonieren sehen, konnte dessen Lippen lesen und erpresst ihn nun.
Routinemäßig überprüfen Stellbrink, Lisa Marx (Elisabeth Brück) und die neue Kommissar-Anwärterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider) die Beerdigungs- Gesellschaft, die zum Zeitpunkt des Todes im gleichen Hotel war und zu der auch Ben gehörte. Er ist mit Ambra Reichert (Jessica Jaksa) zusammen, der ebenfalls gehörlosen Tochter des Verstorbenen.
Unterdessen verfolgt Weilhammer eigenmächtig seinen Erpresser Ben, um seine Familie, sein Geld und seinen Ruf zu retten. Kurz darauf wird Ambra tot in einer Ferien-Hütte gefunden. Hat Weilhammer sich gerächt? Oder steckt Bens eifersüchtige Ex (Kassandra Wedel) dahinter? Und welche Rolle spielt Ambras hörender Bruder Marc (Franz Hartwig), der sich vor langer Zeit mit seiner Familie zerstritt und prompt zur Beerdigung seines Vaters wieder auftauchte?
Worum geht es wirklich?
Lobenswerter Ansatz, einen Tatort mit gehörlosen Menschen zu machen. Damit das nicht so peinlich wird wie manch anderer edler Ansatz, ist man auf die bahnbrechende Idee gekommen, die Gehörlosen tatsächlich von Gehörlosen spielen zu lassen. Außerdem hat Julia Probst am Drehbuch mitgearbeitet, bekannt geworden durch ihre Simultan-Übersetzungen von fluchenden Fußballern und nebenbei leidenschaftliche Tatort-Twitterin. Es fallen bedeutungsschwangere Sätze wie "Gehörlose sind nicht behindert, Gehörlose werden behindert", Kommissar Stellbrink vertieft sich in einem Online-Kurs zur Gebärdensprache, schließt kitschverdächtig Freundschaften und mehr. Fehlt nur noch, dass Silbermond einen Betroffenheits-triefenden Titelsong beisteuert.
Ist die Handlung glaubwürdig?
In Bezug auf die Gehörlosen auf jeden Fall. Die eigentliche Krimi-Handlung macht auch zunächst einen simplen, aber soliden Eindruck. Liebe, Eifersucht, familiäre Probleme – alles einleuchtende Motive. In den letzten fünfzehn Minuten wird all das aber mit Afghanistan, Syrien und der Ukraine (!) in einen Topf geworfen. Selbst die Tagesschau kriegt selten so viele Krisen-Herde in einer Viertelstunde unter.
Bester Auftritt
Alle, die nicht hören können. Jessica Jaksa, Kassandra Wedel und Benjamin Piwko geben ihren Figuren viel Leidenschaft mit auf den Weg. Dass keiner von ihnen professioneller Schauspieler ist, merkt man kaum. Hut ab vor dem Mut bei der Besetzung!
Ebenfalls gut: Stellbrink und Marx haben mit der Kommissars-Anwärterin Mia Emmrich eine neue Kollegin an der Seite, die zumindest nicht ganz unpassend wirkt. Ob sie dauerhaft beim Tatort Saarbrücken bleibt, ist aber noch nicht bekannt. Hoffentlich wird die Figur nicht nur als Werkzeug für konstruierte Konflikte à la Ludwigshafen eingeführt.
Was muss man sich merken?
Bislang war der Saarbrücken-Tatort nach dem Rauswurf von Kappl und Deininger ein einziger Reinfall. Mit "Totenstille" macht man aber immerhin einen winzigen Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur wegen der einigermaßen gelungenen Inklusion, sondern auch weil die Figuren entschärft wurden: Stellbrink ist nicht mehr der entrückte Esoterik-Freak, Lisa Marx nicht mehr die knallharte Motorrad-Amazone. Und Staatsanwältin Dubois (Sandra Steinbach) ist quasi kaltgestellt. Doch immer noch wirken die Dialoge gestelzt und die eingestreuten Flapsigkeiten sind arg angestrengt.
Soll man gucken?
Naja. Man kann viel über Gehörlose lernen, als Außenstehender wirken die Figuren und der Umgang mit dem Thema einigermaßen stimmig. Ganz stringent ist man dabei allerdings nicht: Mal werden Szenen in völliger Stille gezeigt – das passt und ist durchaus eindrucksvoll. An anderen Stellen wiederum werden solche Bilder allerdings mit recht beliebiger Background-Musik zugematscht. Schade.
Kommissar Stellbrink und sein Umfeld sind im Tatort " Totenstille" nicht mehr ganz so absurd überzogen wie zu Beginn der Tatort-Laufbahn – wirklich überzeugend ist das Team aber immer noch nicht. Geschichte und Kommissare sind bestenfalls Standard-Ware aus dem Grabbeltisch. Das Einschalten lohnt sich wegen der Gehörlosen. Was stört, sind die Profi-Schauspieler und das abstruse Ende.