Köln-Tatort "Narben": Arztroman oder Flüchtlingsdrama?

Ein rassistischer Mord oder einfach nur ein Eifersuchts-Drama? Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) wissen im Kölner Tatort "Narben" nicht, woran sie sind. © WDR/Uwe Stratmann
Noch ein Flüchtlings-Tatort? Nach Norddeutschland, Stuttgart und diversen anderen jetzt also Köln. Gelingt Ballauf und Schenk ein anderer Zugang zum Thema? Oder sehen wir wenig überraschende Mitleids-Automatismen?
Worum geht’s?
Dr. Patrick Wangila war ein anerkannter und geschätzter Arzt, nun liegt er erstochen im Park vor der Klinik, in der er arbeitete. Seine Kollegin Dr. Schmuck (Julia Jäger) hatte Wangila vor fünf Jahren bei der Flucht aus dem Kongo geholfen und ihm eine Stelle verschafft, sein privates Glück fand Wangila wenig später bei seiner Frau Vivien (Anne Ratte-Polle). Doch der Mediziner wahrte zu fast allen Menschen in seiner Umgebung eine spürbare Distanz, nur sein Bruder Theo Wangila (Jerry Kwarteng), der ebenfalls in Köln lebt, schien ihm nahe zu stehen.
Ein zufälliger Akt des Rassismus? Nein, zunächst deutet alles auf ein Eifersuchtsdrama hin. Wangila hatte kurz vor seinem Tod Sex mit Krankenschwester Angelika Meyer (Laura Tonke), außerdem gaukelte er seiner Frau etwas von einem Kongress in Paris vor, zu dem er reisen wolle. Mysteriöse Telefongespräche und heimliche Zahlungen, Wangila hatte einen Haufen Geheimnisse.
Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) werden jedoch hellhörig, als die Sprache auf den Kongo kommt. Erst kurz zuvor starb eine Frau aus dem Kongo in einem Flüchtlingsheim, als die bei einer Polizei-Razzia von der Treppe stürzte. Eine weitere Kongolesin ist seither verschwunden. Den Einsatz leitete damals Reviervorsteher Martin Kaiser (Felix Voertler), der für sein hartes Vorgehen gegen Flüchtlinge berüchtigt ist. Als Notarzt vor Ort war ausgerechnet Dr. Patrick Wangila! Gibt es eine Verbindung zwischen dem Toten und den Folteropfern aus dem Kongo?
Worum geht es wirklich?
Arztroman oder Flüchtlingsdrama? So richtig kann sich der Tatort nicht entscheiden, das merkt auch Freddy Schenk. Das große Thema Flüchtlinge wird in "Narben" (mal wieder) auf Einzelschicksale heruntergebrochen. Eine Herangehensweise, die nicht schlecht, aber auch nicht neu ist. Dieses Mal ist der Kongo dran, de facto ließe sich aber fast jedes Bürgerkriegs- und Folter-geplagte Land nehmen. Und das alles mit den Betroffenheits-Profis Ballauf und Schenk – tiefgründig geht anders.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Siehe oben: Ja, der Hintergrund ist sicherlich authentisch, die Story in "Narben" eher weniger. Es wimmelt – wie in einem Arztroman - von Stereotypen und Unstimmigkeiten. Dennoch gehen einige Szenen und Dialoge unter die Haut. Da wäre mehr drin gewesen!
Bester Auftritt
Ganz am Ende der Pressemappe zum Tatort "Narben" findet sich ein kleiner Abschnitt zu den Darstellern der kongolesischen Figuren, der fast spannender ist als der ganze Tatort: "Auf der Besetzungsliste des Tatort 'Narben' finden sich viele internationale Namen. Im Einsatz ist unter anderem Thelma Buabeng (geb. in Ghana). Aufgewachsen ist sie im Rheinland, sie spricht perfekt Kölsch, und ihre erste Fernsehrolle hatte sie 2003 in der 'Lindenstraße'. [...] Als 'echten Hamburger Jung' beschreibt sich Jerry Kwarteng, auch wenn er jetzt in Berlin lebt. Er engagiert sich für die Interessenvertretung 'Schwarze Filmschaffende Community'. Im 'Tatort – Narben' spielt er Théo Wangila, den Bruder des ermordeten Arztes. Jerry Kwarteng wird auch für internationale Filmproduktionen besetzt wie 2015 für 'The Correspondance' des italienischen Oscar-Preisträgers Giuseppe Tornatore. Einen Lebenslauf wie ein Drehbuch hat Jerry Elliott. Wie in seiner Rolle im 'Tatort' – wo er den Arzt Patrick Wangila spielt – hat auch er es geschafft, in Deutschland Fuß zu fassen. Geboren im Dorf Oke Ora in Nigeria, floh er mit 14 Jahren von zu Hause vor häuslicher Gewalt. Er lebte in Lagos auf der Straße und kam über Ägypten, die Türkei, Israel und Griechenland in die Niederlande, wo er in einem Boxstudio nicht nur trainieren durfte, sondern auch ein Dach über dem Kopf fand. In Deutschland lebte er in einem Asylantenwohnheim, bevor er von einem namhaften Boxstall entdeckt wurde. Er brachte es bis zu einem Kampf um die Weltmeisterschaft im Mittelgewicht."
Was muss man sich merken?
Innerhalb des Kölner Universums kaum etwas. Max Ballauf belebt seine zarten Bande zu Psychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) neu, ansonsten geschieht seit Jahren in Köln kaum etwas, das Freddy und Max aus der Ruhr bringen kann. Und genau das ist vielleicht das Problem: Die verzweifelte Wut, mit der sich ein Thorsten Falke in "Verbrannt" in die Ermittlungen stürzt, geht dem Kölner Duo vollkommen ab. Ein paar Mal "Mensch Freddy…", ein bisschen wohlwollendes Augenzudrücken, das wars. Dennoch gibt’s am Ende aus irgendeinem Grund keine Currywurst am Rhein.
Soll man gucken?
Man kann, aber man muss nicht. Wer auf die drömelige Ermittlungsarbeit der Kölner steht und ein wenig wohldosierten Realitäts-Grusel braucht, ist mit "Narben" gut bedient. Wer allerdings hofft, neue Einblicke und spannende Figuren zu sehen, wird enttäuscht. Mittelmäßige Tatort-Routine, die erst durch die Wendung am Schluss zumindest den Hauch eines bleibenden Eindrucks hinterlässt.