Tatort Bremen: "Wann stirbst du endlich, Mama?"

Tatort Bremen: Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) in einem bedrückenden, bewegenden Fall. © Radio Bremen/Christine Schröder
Kein Blut, keine Waffen, keine Gewalt. Und trotzdem zeigt der neue Bremen-Tatort "Im toten Winkel" eine der heftigsten Todesszenen der letzten Jahre. Rentner Horst Claasen (Dieter Schaad) tötet zunächst seine demenzkranke Frau, bevor er sich selber mit einer Überdosis umbringen will. Tragischerweise wird Claasen gerettet und muss sich einer Ermittlung wegen Mordes stellen.
Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) stehen vor den Abgründen eines gesellschaftlichen Tabuthemas. Hat sich Horst Claasen die häusliche Pflege tatsächlich nicht leisten können? Die Ermittler tauchen in den anstrengenden Alltag von Pflegenden ein, die sich aufopferungsvoll um ihre Angehörigen kümmern.
Tatort als bittere Realität
Klar, dass das auch an den Kommissaren nicht spurlos vorübergeht. Wohl selten lagen die Sympathien so sehr beim Mörder, dessen Überleben irgendwie doch bedauert wird. Und Inga Lürsen beginnt, sich Gedanken über das eigene Lebensende zu machen und mit Tochter Helen (Camilla Renschke) zu besprechen. Damit spielt " Im toten Winkel" natürlich auf der jahrelang einstudierten Betroffenheits-Klaviatur, mit der relevante Themen für gewöhnlich angegangen werden. Dass dieser Tatort dennoch gelungen und mitreißend ist, liegt vor allem an den Kommissaren. Gar nicht auszumalen, was in Köln oder Ludwigshafen aus solch einer Geschichte gemacht worden wäre.
Regisseur Philip Koch hat schon im Porno-Tatort "Hardcore" aus München gezeigt, dass sich Sozialstudie, Unterhaltung und Spannung tatsächlich verbinden lassen. In alle Ecken des Tatort-Landes ist das ja noch nicht vorgedrungen. Und angesichts der Demographie wird Pflege in den nächsten Jahren sicherlich nicht weniger wichtig werden. Dieser Krimi ist auch ein Drama, das macht schon der trostlose Einstieg klar. Und es wird nicht besser, wenn schreckliche Sätze wie dieser fallen und man denjenigen, der ihn sagt, nicht mal so richtig verurteilen kann: "Wann stirbst du endlich, Mama?" Der "Tatort" ist nicht experimentell, geht aber an die Nieren, gerade weil er so realistisch ist. Von der Einstufung durch den MDK bis hin zu osteuropäischen Pflegekräften und der Pflegemafia ist alles dabei.
Überflüssiger Nebenschauplatz
Dummerweise war das nicht genug, denn zusätzlich zum Familien-Drama der Claasens gibt es noch einen Mord in einem Pflegedienst aufzuklären. Überflüssig und unglaubwürdig, weniger wäre mehr gewesen.
Kurz vor dem Tatort-Ende 2019 zeigen Lürsen und Stedefreund noch einmal ihre volle Stärke. Mitfühlend ohne anzubiedern, relevant ohne penetrant zu sein. "Im toten Winkel" ist deswegen ein Tatort-Pflichttermin, dessen kleine Schwächen man verzeihen kann.
(mit Material von Spot On News)