Tatort über Stuttgart 21: "Högschde" Verwirrung

Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) geraten im Tatort "Der Inder" mitten in das umstrittene Bahnhofs-Projekt Stuttgart 21. © SWR/Alexander Kluge
Warum gibt es eigentlich keinen Tatort-Kommissar, der sich auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert hat? Der neue Stuttgarter Fall "Der Inder" liefert die Antwort: Weil das Feld todlangweilig und sehr komplex ist. Regisseur und Autor Niki Stein hat die schwierige Aufgabe übernommen, einen Tatort zum Thema Stuttgart 21 zu drehen. Für Spannung sorgt aber nicht das Bau-Chaos, sondern ein flüchtiger Killer.
Worum geht’s?
Morgens sagte der ehemalige Staatssekretär Dillinger (Robert Schupp) noch vor einem Untersuchungsausschuss aus, abends wird er beim Joggen im Wald erschossen. Dillinger war in einen der größten Skandale rund um Stuttgart 21 verstrickt, das sogenannten "Bombaygate". Ein indischer Hochstapler hat ein Großprojekt auf einer der freiwerdenden Flächen scheitern lassen, Architekt von Mayer (Thomas Thieme) wanderte direkt ins Gefängnis.
Petra Keller (Katja Bürkle), Vorsitzende des Ausschusses, versucht nun zu klären, wieviel Dillinger und die damalige Landesregierung um den ehemaligen Ministerpräsidenten Heinerle (Ulrich Gebauer) von den gefälschten Bürgschaften wussten. Pikant: Kurz vor seinem Tod wollte sich Dillinger offenbar mit Heinerle treffen. Dessen Bodyguard konnte noch auf den Mörder schießen, der jedoch verletzt flüchtete.
Unter großem Druck suchen Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) nach dem angeschossenen Auftrags-Killer (Stephane Lalloz). In der aufgeheizten Atmosphäre um Stuttgart 21 giert die Presse nach neuen Skandalen, die Politik setzt aber alles daran, den ehemaligen Ministerpräsidenten aus der Sache herauszuhalten. Doch irgendjemand versorgt Journalisten und den Untersuchungsausschuss anonym mit Beweisen, die Dillinger und Heinerle belasten…
Worum geht es wirklich?
Ein Tatort rund um das Reizthema Stuttgart 21 – nach dem Windkraft-Film in der letzten Woche ein weiterer Fall, der hautnah an einem aktuellen Thema dran ist. Zum Glück fällt der Mord in das Revier von Lannert und Bootz, die definitiv zu den besten Tatort-Kommissaren gehören. Der reale Hintergrund wird in "Der Inder" vermengt mit einem fiktiven Bauprojekt und einer halb-fiktiven Figurenausstattung. Es braucht nicht viel Fantasie, sich auszumalen, wer eigentlich gemeint ist.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Stuttgart 21 hält Stadt und Land seit Jahren in Atem, das wird auch noch bis zur fernen Eröffnung so weitergehen. Demos, Verkehrschaos und eine aufgekratzte Atmosphäre sind ein reizvoller Background für einen spannenden Tatort – verworrene Firmenstrukturen und juristische Spitzfindigkeiten eher weniger. Leider sind die Verstrickungen hier derart kompliziert, dass es endlose Dialoge und Verhöre braucht, um auch nur ansatzweise die Zusammenhänge rüberzubringen. Und selbst dann bleibt Vieles im Dunkeln, wenn man nicht grade Anwalt für Baurecht ist. Trotzdem bleibt die Spannung nicht ganz auf der Strecke, die Jagd nach dem Killer und die gute Vorstellung der Kommissare helfen über die eine oder andere Länge hinweg.
Bester Auftritt
Die Nebenrollen sind gut besetzt, vom selbstgerechten Ex-Landesvater, der noch nicht über seine Abwahl hinweg ist ("Der Lotse geht von Bord, wie bei Bismarck und Helmut Schmidt. Das eine führte in den Ersten Weltkrieg, das andere zu 16 Jahren Helmut Kohl.") bis hin zur aufstrebenden grünen Politikerin, die plötzlich den Machenschaften einer kaltgestellten Altherren-Riege gegenübersteht.
Heraus sticht Thomas Thieme als gescheiterter Groß-Architekt von Mayer, für den S21 nicht Spekulationsobjekt, Machtdemonstration oder Schandfleck ist, sondern vor allem ein Platz, an dem er seine Visionen verwirklichen konnte. Das eingeblendete Ibsen-Zitat zu Beginn rückt die Figur Busso von Mayer in die Nähe von "Baumeister Solneß" aus dem gleichnamigen Stück, ein alternder Bauunternehmer, den seine hohlen Versprechungen von utopischen Bauwerken schließlich umbringen. Thieme ist alleine schon durch seine Präsenz in " Der Inder" der Erklär-Bär, der die Stränge zusammenhält und versucht, einen roten Faden auszurollen.
Was muss man sich merken?
Bootz scheint über seine Scheidung endlich, endlich hinweg zu sein, jedenfalls gibt es dieses Mal keinen störenden Privat-Kram. Ansonsten kann man als Nicht-Stuttgarter noch einiges über die Hintergründe von Stuttgart 21 erfahren – auch von den rar gesäten Befürwortern.
Soll man gucken?
NEIN, weil…
… "Der Inder" uns so viele Akteure, Details und trockene
Verhöre zumutet, dass man selbst bei "högschter" Konzentration ganz
schnell den Überblick verliert. Und ganz ehrlich: Krumme Geschäfte
bei öffentlichen Bauten sind weder originell noch ansatzweise
spannend. Um die Verwirrung komplett zu machen, hat Regisseur und
Autor Niki Stein auch noch Zeitsprünge eingebaut. Ein an vielen
Stellen sehr gewollter Tatort, der sich leider in seinem Anspruch
verliert.
JA, weil…
…Lannert und Bootz mal wieder eine richtig starke Vorstellung
abliefern und selber Mühe haben, sich im Stuttgarter Sumpf zu
orientieren. Konzentrierte Ermittlungen unter hohem Druck und die
Jagd nach dem Killer, all das sind Zutaten für einen spannenden
Fall. Außerdem schafft es der
Stuttgart-Tatort, das Reizthema S21 mal
wieder ins Licht zu rücken. Auch wenn in "Der Inder" Pro- und
Contra-Seite zu Wort kommen, dürfte die Absurdität des gesamten
Vorhabens wieder einmal deutlich werden. Und ein paar nette Sprüche
gibt es obendrein.
Beim vorletzten Tatort vor der Sommerpause liegen Licht und Schatten also dicht beieinander. Wer die komplexen Zusammenhänge erträgt, kann durchaus gut unterhalten werden. Wer allerdings den Anspruch hat, gedanklich mitzukommen, ist hoffnungslos verloren.