Esther Sedlaczek trifft ehemalige Terroristen und Sektenaussteiger
Welche Anziehungskraft besitzen Totalitarismus und extremer Glaube? Esther Sedlaczek geht in der Doku "Total Control - Im Bann der Seelenfänger" dieser Frage auf den Grund und trifft dabei auf ehemalige Terroristen, Sektenaussteiger und Opfer totalitärer Regime.
Wenn es um Fußball geht, macht Esther Sedlaczek (32) so schnell niemand etwas vor. Die meisten Zuschauer kennen sie als Sportmoderatorin beim Bezahlsender Sky. Doch nun zeigt sich die Tochter von Schauspieler Sven Martinek (54) von einer ganz anderen Seite. Für die Dokumentation "Total Control - Im Bann der Seelenfänger" (19. November um 21 Uhr) auf dem TV-Sender A&E im Rahmen der Themenwoche "Twisted Faith - Macht und Manipulation" geht sie der Frage nach, wie leicht Menschen von Fanatikern, Autokraten und Populisten geblendet und verführt werden können.
Dabei trifft sie auf ein ehemaliges ranghohes Scientology-Mitglied, al-Qaida-Aussteiger, einen ehemaligen Neo-Nazi sowie die langjährige Fernsehansagerin Edda Schönherz, die in der DDR drei Jahre lang für ihren Ausreisewunsch nach West-Deutschland inhaftiert wurde. Welche Schicksale sie besonders berührt haben, wie groß ihre Angst vor einem Treffen mit ehemaligen Terroristen war und warum Scientology ausgerechnet in Hollywood so einen großen Einfluss hat, verrät sie im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Die Zuschauer kennen Sie vor allem als Sportmoderatorin, in "Total Control - Im Bann der Seelenfänger" zeigen Sie sich jetzt in einer ungewohnten Rolle. Wie kamen Sie zu dem Projekt?
Esther Sedlaczek: Mit dem Produzenten der neuen Doku, Emanuel Rotstein, und dem Sender A&E habe ich vor zwei Jahren schon einmal zusammengearbeitet, als das True-Crime-Format "Protokolle des Bösen" vorgestellt wurde. Jetzt ergab sich die Möglichkeit der noch intensiveren Zusammenarbeit zu "Total Control - Im Bann der Seelenfänger". Ich hatte schon immer den Wunsch, mich auch mit Themen abseits des Fußballs zu beschäftigen, vor allem mit Themen, die Geschichten von Menschen betreffen und in die Tiefe gehen. Da hat das Projekt jetzt wunderbar gepasst.
Wie haben Sie sich auf all die Begegnungen mit ehemaligen Sektenmitgliedern sowie Überlebenden und Opfern zerstörerischer Ideologien und Systeme vorbereitet?
Sedlaczek: Indem ich mich im Vorfeld mit den Menschen und Ihren Biographien auseinandergesetzt habe. Allerdings sollte man aufpassen, dass man sich nicht mit Informationen überfrachtet, um auch noch neugierig in das Gespräch zu gehen. Ich habe mir anfangs immer noch einen Fragebogen zusammengeschrieben und mir einen roten Faden eingebaut, wie ich es aus dem Sport nicht anders kenne. Ich habe aber schnell gemerkt, dass es keinen richtigen Sinn ergibt, weil wir viel mehr Zeit mit den Protagonisten hatten. Wir haben wirklich von morgens bis abends gedreht, sehr viel miteinander gesprochen. Da muss man auch ein Stück weit gelassener rangehen und sich auf die Situation, auf den Menschen und auf die Geschichte einlassen und schauen, wohin das Gespräch führt. Und das war am Ende auch das Spannende an diesem Thema. Du wusstest zwar, worüber du sprechen möchtest, aber wusstest nicht, wohin das Ganze dann führt. Und das war dann teilweise sehr emotional.
Gibt es etwas, was alle Opfer gemeinsam haben?
Sedlaczek: Das Stasi-Opfer Edda Schönherz muss man einzeln betrachten, da sie der DDR entkommen und frei sein wollte. Weil sie diesen Plan hatte, wurde sie festgenommen und festgehalten. Die anderen, mit denen ich sprach, haben sich "freiwillig" in Sekten begeben und sich totalitären Systemen angeschlossen. Eine Gemeinsamkeit könnte man darin sehen, dass ihnen ein gewisser Halt gefehlt hat. Sie haben eine Lücke in ihrem Leben gesehen, die sie füllen wollten. Ich würde schon sagen, das ist die große Gemeinsamkeit: der Halt, der gefehlt hat, und das Streben nach Identifikation.
Wie groß war die Angst, plötzlich etwa ehemaligen al-Quaida-Mitgliedern gegenüber zu stehen?
Sedlaczek: Angst hatte ich überhaupt nicht. Und dennoch muss ich sagen, dass ich bei dem Treffen mit den al-Qaida-Aussteigern schon ein mulmiges Gefühl hatte, da es ein aktuelles und präsentes Thema ist. Das war das erste Mal, dass ich mich so gefühlt habe. Angst hatte ich keine, da die Neugier überwogen hat und meine Gesprächspartner sehr offen mit ihrer Geschichte umgegangen sind. Sie haben einem damit das Problem ein bisschen nähergebracht: Wie gerät man in so etwas hinein? Und es macht Mut, wenn du merkst: Da kommen Leute auch wieder raus. Durch das erste Aufeinandertreffen und das Gespräch hat sich dieses mulmige Gefühl dann ganz schnell wieder gelegt. So hat mir etwa einer der beiden, Irfan, mit seiner lockeren Art einfach ein gutes Gefühl gegeben.
Welche Schicksale haben Sie besonders getroffen?
Sedlaczek: Keines der Schicksale hat mich getroffen, weil meine Gesprächspartner letztendlich alle freiwillig entschieden haben. Was mich emotional berührt hat, ist der Umgang mit ihrer Vergangenheit. Insbesondere beim Neonazi-Aussteiger Oliver Riek. Als wir uns auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg trafen, merkte ich, dass er noch nicht fertig war mit dem Verarbeitungsprozess. Die Frage, die ich mir jetzt noch stelle, ist, ob der Prozess überhaupt irgendwann abgeschlossen sein wird. Oliver hat noch ganz viel mit sich auszumachen, das hat man gemerkt, und er hat einen daran teilhaben lassen. Das finde ich wahnsinnig stark. Das gleiche gilt auch für das Stasi-Opfer Edda Schönherz, die ein unglaubliches Schicksal ereilt hat. Sie war im Zuchthaus, war in Stasi-Untersuchungshaft, hatte drei Kinder draußen. Von denen hat sie nichts mitbekommen. Sie wusste nicht, wie es ihnen geht und was sie über ihre Mutter denken. Ob sie überhaupt noch da sind, wenn sie rauskommt. Wie Edda Schönherz mit dieser Situation umgegangen ist und dass es sie offensichtlich nicht gebrochen hat, hat mich total fasziniert. Sie ist so eine starke Person, die bei mir einen außergewöhnlichen Eindruck hinterlassen hat.
Neonazi-Aussteiger Oliver Riek zieht im gemeinsamen Gespräch auch Parallelen zur heutigen AFD. Werden wir auch heute noch von der Politik gezielt manipuliert?
Sedlaczek: Ich glaube, dass Manipulation grundsätzlich, wie eigentlich immer schon, ein Riesenthema ist und dass sie nicht nur in der Politik stattfindet, sondern sich auch auf die Medienlandschaft und das Miteinander von Personen beziehen lässt. Deshalb glaube ich, es ist kein alleiniges Thema der Politik, sondern grundsätzlich eins, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen: Wir sollten uns immer wieder den Auftrag erteilen, Dinge zu hinterfragen. Aber das liegt an uns.
"Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf", bringt es Stasi-Opfer Edda Schönherz auf den Punkt. Müssen wir aktiver werden und beispielsweise mehr auf die Straße gehen?
Sedlaczek: Das denke ich schon. Wie Edda Schönherz es in unserer Doku sagt: Wir müssen für Demokratie kämpfen, wir müssen wach sein und wir dürfen Demokratie nicht als etwas Selbstverständliches ansehen. Und dazu gehört auch, auf die Straße zu gehen, um für Demokratie zu kämpfen und ein Zeichen zu setzen. Ich finde es gut, dass Menschen in solchen Zeiten wie jetzt als Zeichen gegen Rechts auf die Straße gehen. Es gibt nicht nur die Leute, die ein rechtsextremes Gedankengut in sich tragen und es offensichtlich auch schaffen, es in irgendeiner Form zu verbreiten, sondern es gibt auch die Menschen, und die sind zu Hauf da, die sich gegen Rechts stellen und sagen: "Nicht mit uns!".
Auch ein früherer Scientologe kommt zu Wort. Warum hat die Sekte gerade in Hollywood so viele Anhänger, Stichwort Tom Cruise?
Sedlaczek: Ich kann mir vorstellen, dass das Leben als Schauspieler in Hollywood wirklich nicht einfach ist. Und da wären wir wieder beim Thema Halt. Irgendetwas, das dir Stärke und Selbstbewusstsein gibt, ist wichtig im Leben. Das hat auch der Scientology-Aussteiger Wilfried Handl in unserer Doku gesagt: Was Gruppen wie Sekten geben können, ist ein Gefühl von Stärke, Halt und Selbstbewusstsein. Und wenn du etwas in Hollywood brauchst, ist es bestimmt Selbstbewusstsein und Halt.
Michelle Hunziker hat in ihrem Buch über ihre Zeit in einer Sekte ausgepackt. Was war bei ihr exemplarisch und wie wichtig ist es, dass Prominente über das Thema sprechen?
Sedlaczek: Ich finde es ganz wichtig, dass auch Prominente ihre Stimme erheben. Sie erreichen natürlich viel mehr Menschen, und sie haben eine Vorbildfunktion und einen anderen Zugang zu Menschen. Ich finde es beispielhaft und sehr stark von prominenten Sektenaussteigern, weil es wohl auch eine Phase in ihrem Leben ist, auf die man vermutlich nicht sonderlich stolz ist und an die sie trotzdem mit einer Aufrichtigkeit und Haltung herangehen, um Leuten eine Warnung zu sein.
Werden die Zuschauer Sie nun öfter als Reporterin im Einsatz sehen?
Sedlaczek: Ich bin offen dafür, aber ich werde das Metier nicht komplett wechseln. Grundsätzlich bin ich immer offen für Projekte, die mich interessieren. Das war in diesem Fall so, und das wird auch in Zukunft so sein.
Heißt, Sie bleiben der Sportmoderation auch weiterhin treu?
Sedlaczek: Unbedingt! Das ist meine große Leidenschaft, und ich liebe meinen Job. Aber wenn ich beides haben kann, warum nicht.
Wo sehen Sie sich selbst in zehn Jahren?
Sedlaczek: In zehn Jahren sehe ich mich als glückliche Mama, die weiterhin ihren Beruf ausüben wird und einfach glücklich ist. Aber ich schmiede keine Pläne, die über ein, zwei Jahre hinausreichen. Ich war schon immer jemand, der Dinge gerne auf sich zukommen lässt.