Karl Markovics: "Verbrecher sind keine Aliens"
Im "Polizeiruf 110: Und vergib uns unsere Schuld" spielte Karl Markovics den Frauenmörder Jens Baumann. Was den Wiener Schauspieler an dem Krimi fasziniert hat, erklärt er im Interview.
Bekannt geworden ist der Wiener Schauspieler Karl Markovics (52), zusammen mit Tobias Moretti (56), in den 1990er-Jahren als Kommissar Stockinger in der TV-Serie "Kommissar Rex". International kennt man Markovics ebenfalls längst, denn er war in zwei oscarprämierten Streifen zu sehen: "Grand Budapest Hotel" (2014) und "Die Fälscher" - Letzterer wurde 2008 als Bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet, mit Markovics in der Hauptrolle. Die Episoden-Hauptrolle spielte er auch im "Polizeiruf 110: Und vergib uns unsere Schuld": ein Frauenmörder, der seine Schuld erst beweisen muss, bis Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt, 54) ihm glaubt... Schwere Kost! Was er über den Krimi denkt, hat Markovics im Interview mit spot on news erklärt.
"Nanga Parbat" mit Karl Markovics - hier können Sie den Trailer zum Film ansehen
Wie lange haben Sie überlegt, ob Sie die Rolle des Frauenmörders Jens Baumann annehmen?
Karl Markovics: Ich habe nicht lange darüber nachgedacht, weil das Buch stimmig ist. Die Autoren sind mit der größtmöglichen Ernsthaftigkeit an das Thema herangegangen ist. Es war ihnen ein Anliegen, die Grenzen auszuloten. Das aber offensichtlich nicht um des Effektes willen, sondern weil es sie selbst interessiert hat.
Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, ob etwas von dieser extremen Rolle an Ihnen als Schauspieler haften bleiben könnte?
Markovics: Mit diesen Gedanken spiele ich eigentlich nie. Andernfalls hätte ich sonst wohl auch einen Gutteil meiner bisherigen Rollen nicht angenommen. Vielleicht wäre es etwas anderes, wenn das meine erste große Fernsehrolle gewesen wäre. Da kann es schon passieren, dass einen das breite Publikum oder Produzenten dann nur mit dieser Rolle verbinden.
Ein "Polizeiruf"/"Tatort" sollte eine gesellschaftliche Relevanz haben. Welche ist es für Sie in diesem Fall? Worüber kann man nachdenken?
Markovics: Was mich daran fasziniert hat, ist der Mut der Filmemacher und auch der BR-Redaktion, das Thema, wie sehr ein Mensch in einen Abgrund fallen kann, in dieser absoluten und konsequenten Form zu erzählen. Damit mutet man den Zuschauern und der Gesellschaft viel zu. Denn eigentlich ist es das Verabscheuungswürdigste, was man sich nur vorstellen kann, und trotzdem empfindet man phasenweise Mitleid, weil dieser Mensch ja auch so extrem darunter leidet.
Auch wenn man gar nicht darüber nachdenken mag, kommt man fast nicht umhin, zu überlegen: Was wäre, wenn es mir passieren würde?
Markovics: Genau darum geht es: Es gibt nichts menschliches, das es nicht gibt. Menschen, die schlimmste vorstellbare Verbrechen direkt oder indirekt machen wie Hitler, ein Serienmörder, Pädophile oder Leichenschänder, sind allesamt keine Aliens. Alle sind im Bauch ihrer Mutter herangewachsen, geboren worden, unter uns aufgewachsen und dann aufgrund gewisser Umstände in einen Abgrund geraten. Aber sie sind Teil unserer Art. Und ein Teil von uns könnte theoretisch, unter gewissen Umständen auch so etwas begehen.
Das bringt uns an die Grenze unserer Moralvorstellungen und Werte, mit denen wir uns so sicher fühlen...
Markovics: Die Grenzen sind aber offensichtlich sowohl in Richtung Gut als auch in Richtung Böse offen. Menschen sind zu erstaunlichen Leistungen der Selbstlosigkeit und Güte fähig, genauso wie auf der anderen Seite zu abscheulichen Verbrechen. Im Film geht es um den ewigen Kampf in uns und in der Gesellschaft um die Wertvorstellungen: Was ist gut und was ist böse?
Fast alle anderen im Film halten sich eigentlich für gut, viele haben aber doch eine Teilschuld. Was ist mit dem Kommissar?
Markovics: Innerhalb dieser konkreten Geschichte betrifft das ganz extrem den Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt). Wie oft kommt es schon vor, dass Krimi-Hauptkommissare so viel Schuld auf sich geladen haben. Gleichzeitig ist er der einzige, der empathisch noch in Baumanns Nähe kommt, weil er sagt: Ich bin mit Sicherheit nicht dein Richter. Ich werfe nicht den ersten Stein. Ich kann dich überführen, würde dich auch festnehmen und einsperren, aber ich werde dich nicht aus der Gesellschaft ausstoßen. Nicht zuletzt auch weil er merkt, wie fehlbar er selbst ist.
Regie führte bei diesem "Polizeiruf" Filmemacher Marco Kreuzpaintner (38, "Krabat"). Was zeichnet ihn als Regisseur aus?
Markovics: Marco Kreuzpaintner und sein Kameramann Philipp Haberlandt (36) waren extrem gut vorbereitet. Die richtigen Motive und die richtige Besetzung zu finden, war Kreuzpaintner sehr wichtig. Das habe ich auch an den Kollegen gemerkt. Diese penible Vorbereitung hat auf der anderen Seite aber nie eingeengt. Beispiel: die Wohnung Baumann. Alles war wunderbar vorbereitet und trotzdem mussten wir uns nicht an vorgegebenen Stellen bewegen, wir durften spielen. Diese Freiheit innerhalb eines sehr gut präparierten Sets zu arbeiten, habe ich schon sehr geschätzt.
Marco Kreuzpaintner ist etwas jünger als Sie und Matthias Brandt. Welche Rolle spielte das?
Markovics: Keine. Wenn jemand eine innere Autorität und etwas zu erzählen hat, ist egal wie alt er ist, welchen Namen er hat, welchen Rang. Dann zollt man ihm Respekt. Das gilt für den Anfang 20-jährigen Filmhochschulabsolventen genauso wie für einen erfahrenen Regisseur wie beispielsweise Wes Anderson (46), mit dem ich für "Grand Budapest Hotel" ein paar Drehtage hatte.
Was steht als nächstes an?
Markovics: Ein Kinofilm, in dem es um die tschechische Schauspielerin Lida Baarová geht. Sie war die Geliebte von Joseph Goebbels, für die er seine Frau verlassen wollte. Auf Intervention von Hitler hin hat er die Affäre beendet. Ich spiele den Goebbels. Der Film wird bei der Berlinale präsentiert. Einen anderen internationalen Film habe ich 2015 in Norwegen gedreht. In "Das Nein des Königs" spiele ich einen deutschen Botschafter in Oslo während der Okkupation von Norwegen durch Nazi-Deutschland. Bei beiden Filmen weiß ich allerdings noch nicht genau, wann sie in Deutschland zu sehen sein werden.