Analyse Rennsimulationen F1-Tests Barcelona 2018
Im letzten Teil unserer Analyse der Wintertests von Barcelona kommen wir zur wichtigsten Disziplin. Die Rennsimulationen erlauben den besten Vergleich unter den Teams. Und da liegt Mercedes vor Ferrari und Red Bull. Das Delta von drei Zehnteln schmeichelt Ferrari. Die große Überraschung lieferte Force India.
Es ist die Königsdisziplin der Testfahrten. Rennsimulation interessieren mehr als die schnelle Runde für die Show. Sie gehören zum Pflichtprogramm eines jeden Teams, denn nur daran lässt sich einigermaßen abschätzen, wo man steht. Weil jeder Longrun mit einem fast vollen Tank begonnen wird. Weil man die Reifentypen genau kennt. Weil man an der Dauer der Boxenstopps im Nachhinein sieht, ob zwischendurch eventuell aufgetankt wurde, um die Ergebnisse zu verschleiern.
Natürlich gibt es immer noch eine Menge von Faktoren, die Außenstehenden im Verborgenen bleiben. Red Bull zum Beispiel brach absichtlich Daniel Ricciardos Longrun am Mittwoch vorzeitig ab. „ Wir wollen nicht zu früh zu viel zeigen“, hieß es aus dem Team. Wir wissen nicht, in welchem Motormodus die Teams unterwegs waren, wie oft und ob überhaupt DRS aktiviert wurde, wie viel Lift and Coast die Fahrer betreiben mussten, um Benzin zu sparen. Und der Spritverbrauch spielte bei den Longruns eine entscheidende Rolle. Wegen der schnelleren Rundenzeiten, der kühlen Temperaturen und dem griffigen Asphalt wurde aus Barcelona plötzlich eine verbrauchskritische Strecke.
Wir haben aus dem Fahrerlager nur so viel gehört: Mercedes musste deutlich weniger den Fuß vom Gas nehmen als Ferrari und die Renault-Teams. Wen wundert es. Das war schon im letzten Jahr so. Und es könnte ein ganz entscheidender Parameter werden, denn nach Einschätzung von Lewis Hamilton werden die Rundenzeiten auf allen Strecken im Schnitt um eine Sekunde fallen. „Barcelona war mit fast drei Sekunden wegen des neuen Asphalts wahrscheinlich eine Ausnahme.“ Der Mercedes-Vorteil beim Benzinverbrauch verfälscht deshalb möglicherweise auch den Rückschluss der Longruns auf eine Qualifikationsrunde. Da spielt Spritsparen keine Rolle. Ferrari und Red Bull dürften im Training also tendenziell etwas näher rücken. Red Bull-Motorsportchef Helmut Marko warnt jedoch: „Warten wir ab, bis Mercedes im Q3 wieder die Power hochdreht.“
Fast alle Longruns am gleichen Tag
Diesmal haben es uns die Teams mit der Analyse der Rennsimulationen leicht gemacht. Acht der zehn Teams absolvierten ihren Dauerlauf am Donnerstag, dem 7. Tag der Barcelona-Testwoche. Somit waren schon einmal gleichbleibende Bedingungen gegeben. Nur Renault war mit Nico Hülkenberg einen Tag früher dran. Und Williams hat überhaupt kein Rennen simuliert. Das Team aus Grove hatte andere Probleme. Lance Stroll und Sergey Sirotkin kämpften mit der Balance ihrer Autos. Da war Setup-Arbeit angesagt.
Bei den drei Topteams haben wir als Referenz jeweils einen zweiten Longrun ausgewertet, um ein besseres Bild zu bekommen. Sebastian Vettel, Valtteri Bottas und Max Verstappen traten am Donnerstag zum Dauerlauf an. Lewis Hamilton und Kimi Räikkönen simulierten ihr Rennen am letzten Tag. Daniel Ricciardo machte am Mittwoch den Auftakt. Die Bedingungen am Mittwoch und Freitag waren nicht so wahnsinnig unterschiedlich, so dass auch hier ein ordentlicher Vergleich möglich ist. Räikkönen hat sein fiktives Rennen um 14.44 Uhr begonnen. Hamilton fuhr um 11.18 Uhr zu einer etwas günstigeren Zeit, weil im Schnitt um vier Grad kühler.
Noch ein kurzes Wort, wie wir die Simulationen bewertet haben. Die Runde aus der Box raus und in die Box rein wurden für die Berechnung der Durchschnittszeit abgezogen. Weil nicht alle einen Boxenstopp im Renntempo hingelegt haben, was die beiden Rundenzeiten rund um den Reifenwechsel beeinflusst. Wir haben natürlich auch alle Runden herausgerechnet, die mehr als zwei Sekunden vom Mittel entfernt lagen. Da war ganz offensichtlich Verkehr im Spiel. Die Teams selbst haben dankenswerterweise von sich aus alle Runden gestrichen, bei denen der Fahrer die Schikane abgekürzt hat.
GPS widerspricht Longruns
Es ist kein Geheimnis, dass Mercedes die Rennsimulationen beherrscht hat. Valtteri Bottas und Lewis Hamilton spulten etwas mehr als eine Renndistanz (66 Runden) ab und kamen auf eine fast identische Durchschnittszeit. Hamilton war mit 1.21,613 Minuten im Mittel leicht schneller als Bottas mit 1.21,668 Minuten. Wenn wir Bottas mit Sebastian Vettel vergleichen, dann ist die Differenz über die Gesamtdistanz gar nicht mehr so dramatisch. Vettel war mit einem Mittel von 1.21,966 Minuten nur drei Zehntel langsamer. Das wäre verschmerzbar. Vettels Teamkollege Kimi Räikkönen probierte am Tag darauf kein klassisches Zweistopp-Rennen, sondern war mit vier Stopps unterwegs. Die letzten beiden Reifensätze waren von der Marke Hypersoft. Ferrari wollte ganz offensichtlich herausfinden, wie Pirellis weichste Mischung unter Dauerbelastung hält.
Max Verstappen liegt mit 1.22,456 Minuten schon deutlicher zurück. Trotzdem wird der Red Bull von den Fahrerlager-Experten besser eigestuft als Ferrari. Wie das? Man geht anhand der GPS-Daten davon aus, dass Red Bull mehr gemauert hat. Was zeigen diese ominösen GPS-Werte? Sie geben den Teams die Geschwindigkeit aller Autos zu jedem Zeitpunkt, an dem sie auf der Strecke sind. Anhand von Topspeeds, Kurvengeschwindigkeiten und Beschleunigungswerten können die Teams im Abgleich mit anderen Runden ziemlich genau herausfiltern, wer wann mit wie viel Sprit und in welchem Motormodus unterwegs war und ob DRS geöffnet oder geschlossen war. Um eine ehrliche Meinung über die Stärke der drei Topteams zu bekommen, fragt man besten einen unbeteiligten Rennstall. Die betroffenen Teams selbst erzählen einem über sich selbst natürlich immer nur die halbe Wahrheit. Von neutraler Seite haben wir in Barcelona immer wieder gehört, dass Red Bull die Nummer 2 ist. Auch wenn es die nackten Zahlen der Longruns so nicht zeigen.
Mercedes, Ferrari und Red Bull haben ihre Proberennen unterschiedlich angelegt. Ferrari begann mit Supersoft und ließ dann zwei Garnituren Medium folgen. Mercedes und Red Bull blieben immer auf der Gummimischung Medium, was im richtigen Leben gar nicht erlaubt wäre. Das wirft die Frage auf, ob man sich da nicht selbst betrügt. Valtteri Bottas winkt ab: „Wir wollten für die Longruns eine konstante Basis. Deshalb sind wir immer mit dem gleichen Reifentyp gefahren. Im Verlauf der Testfahrten haben wir so viele Stints mit dem Soft-Reifen mit mehr oder weniger Benzin abgespult, dass wir den Reifen gut genug kennen. Wir können hochrechnen, was passiert wäre, hätten wir in der Rennsimulationen einen Soft-Reifen genommen.“
Wegen der unterschiedlichen Reifenwahl ist auch die einzelne Stint-Länge unterschiedlich, was wiederum den Mittelwert der Rundenzeit beeinflusst. Trotzdem haben wir für Vettel, Bottas und Verstappen die Durchschnittswerte der einzelnen Stints ermittelt und hier noch einmal separat zusammen mit der Stintlänge und der Gummimischung herausgelöst. Da sind die Unterschiede zwischen Mercedes und Ferrari krasser und zwischen Ferrari und Red Bull geringer.
FahrerØStint 1Rdn ReifenØStint 2Rdn ReifenØStint 3RdnReifen
Bottas1.22,68130 Medium1.21,24518 Medium1.20,03819 Medium
Vettel1.23,49513 Superso.1.22,09327 Medium1.21,13926 Medium
Verst.1.23,44221 Medium1.22,36522 Medium1.21,13018 Medium
Natürlich liefert der Medium-Reifen zu Beginn des Rennens, wenn das vollgetankte Auto noch die Reifen belastet, bessere Ergebnisse als der Supersoft-Gummi, den Ferrari gewählt hat. Doch Bottas hatte mit den Mediums eine längere Anlaufphase und fuhr mit dem ersten Satz fast drei Mal so lang. Das Delta zu Vettel lag über alle drei Stints bei jeweils acht Zehntel, auch dann als beide mit den gleichen Reifen unterwegs waren. Da sich die Stints stark überschnitten und Vettel zu Beginn des zweiten Turns eine ganze Zeitlang schneller unterwegs war als der Mercedes mit langsam alternden Reifen, kommt es in der Gesamtabrechnung zu einer etwas freundlicheren Zeitdifferenz.
Der beste Vergleich lässt sich demzufolge im letzten Abschnitt des Rennens anstellen, wenn alle Autos mit relativ wenig Benzin an Bord unterwegs sind und alle mit gleichen Reifen fahren. Und genau da ist der Vorsprung von Mercedes auf Ferrari und Red Bull ziemlich krass. Einen kleinen Hoffnungsschimmer ziehen wir aus der allerletzten Runde der Longruns. Da nehmen Bottas und Verstappen mit 1.21,351 Minuten respektive 1.23,189 Minuten noch einmal kräftig Fahrt raus. Das riecht nach Sprit sparen. Vettel dagegen bläst mit 1.19,964 Minuten noch einmal zur Attacke. Das zeigt, was möglich gewesen wäre. Der Ferrari.Pilot hat vermutlich schon vorher über mehrere Runden den Benzinverbrauch gedrosselt und Zeit hergeschenkt.
Force India fährt den viertschnellsten Longrun
Im großen Mittelfeld gibt es genauso wie bei der Analyse der jeweils schnellsten Runde eine faustdicke Überraschung. Auf eine Runde war HaasF1 die vierte Kraft, bei den Longruns der bislang eher belächelte Force India. Sergio Perez war mit einem Durchschnitt von 1.22,724 Minuten pro Runde schneller als Daniel Ricciardo am Tag zuvor. Der Mexikaner legte zwar nur 56 Runden zurück und das auch nur wie Mercedes auf Medium-Reifen, doch Force India ist nicht gerade dafür bekannt, sich in die Tasche zu lügen. Selbst wenn Perez mit 15 Kilogramm weniger Benzin in sein Rennen gestartet wäre, ist der Longrun gut. Die Wahrheit sieht eher anders aus. Perez musste dem Spritkonsum zuliebe deutlich weniger den Fuß vom Gas nehmen als Kevin Magnussen, der ab dem zweiten Stint viele Runden mit Lift and Coast einbaute, um über die Distanz zu kommen.
Die relativ schwache Vorstellung des Force India auf eine Runde ist auch erklärbar. Dem Auto fehlt es noch an Abtrieb. Das Aero-Paket wird erst für Melbourne fertig. Das Beispiel des WM-Vierten zeigt, dass man aus den Dauerläufen nicht direkt Rückschlüsse auf die Performance des Autos über eine Runde in der Qualifikation ziehen kann.
Das Renault-Werksteam und Renault-Kunde McLaren liegen in den Longruns ungefähr gleichauf. Das spiegelt die Aussage der Piloten wider. Stoffel Vandoorne lobte die Balance seines Autos. Nico Hülkenberg war noch nicht so zufrieden mit der Abstimmung seines R.S.18. Was über eine Renndistanz viel ausmacht. Hier bestätigt auch der Vergleich der schnellsten Runden den Eindruck. Fernando Alonso war unter gleichen Voraussetzungen drei Zehntel schneller als Carlos Sainz. Ein Renault-Ingenieur gab zu: „Die Zeit von Alonso hätten wir nicht geschafft.“
Toro Rosso war auf einzelne Runden bei der Musik, verlor aber bei den Rennsimulationen noch eine halbe Sekunde auf die beiden Renault-Teams. Allerdings fuhr Red Bulls-Juniorteam das Rennen in zwei Portionen, während Renault und McLaren sich jeweils drei Boxenstopps gönnten. Das ist für den Mittelwert der Rennsimulation ein Vorteil, weil hier ja nicht die Zeit eingerechnet wird, die man bei einem richtigen Rennen durch einen zusätzlichen Stopp in der Boxengasse verlieren würde. Sauber muss sich im Longrun noch anstrengen. Da fehlt eine Sekunde pro Runde auf Toro Rosso. Doch Hondas neues Werksteam ist auch nicht die Zielscheibe der Eidgenossen. Deren Gegner heißt im Moment Williams.