Darum muss Vettel gehen
Sebastian Vettel wollte mit Ferrari Weltmeister werden. Dazu hat er nur noch diese Saison Zeit. Dann geht die Ehe mit Ferrari nach sechs Jahren auseinander. Zwischen den Zeilen lässt Vettel durchblicken, was zu der Trennung führte. Es fehlte das Vertrauen, das man braucht, um so eine Mission zu Ende zu bringen.
Eigentlich musste Sebastian Vettel nichts mehr beweisen. Er war bereits vier Mal Weltmeister, als er 2015 zu Ferrari ging. Irgendwie war Ferrari die einzig logische Adresse nach seiner Erfolgsstory bei Red Bull. Er, der so viel Wert auf Historie legt, passte wie die Faust aufs Auge in einen Rennstall, der von der Historie lebt.
Viel besser als Michael Schumacher, der mit dem Mythos Ferrari zunächst gar nichts anfangen konnte. Für ihn war Ferrari ein Benetton in Rot. Für Vettel war die Scuderia das Symbol-Team dieses Sports. Er verehrte die alten Helden dieses Rennstalls, er träumte vom Sound des letzten Zwölfzylinders, der 1995 zu Grabe getragen wurde.
Es wurde für Vettel eine Art Mission, die Geschichte von Michael Schumacher zu wiederholen. Ferrari nach einer langen Durststrecke wieder zum Weltmeister zu machen. Er wusste, dass es schwer wird. 2014 gewann Ferrari keinen einzigen Grand Prix. Trotz einem Mann wie Fernando Alonso im Cockpit.
Im Team herrschten Zustände wie zu Ferrari. schlechteren Zeiten. Team.hefs kamen und gingen. Technikdirektoren gaben einander die Klinke in die Hand. Fiat-Chef Sergio Marchionne lehnte eine Rückkehr von Ross Brawn ab. Er setzte lieber seine Marionette Maurizio Arrivabene ins höchste Amt des Staates Ferrari.
Die Chance eines Neustarts
Für Vettel war es eine Chance. Eine Art Neubeginn. Er hatte es in der Hand, ein gespaltenes Team wieder zusammenzuschweißen. Anfangs klappte das ganz gut. Mit drei Siegen zauberte Vettel 2015 seinen Mitstreitern wieder ein Lachen ins Gesicht. Die Tifosi merkten: Seine Liebe zu Ferrari war echt.
Die sieglose Saison 2016 war zwar von den Ergebnissen her ein Rückschlag, doch Ferrari traf da eine richtige Entscheidung. Man stellte früh die Weichen für ein neues Aerodynamik-Reglement mit breiten Autos und breiten Reifen. Marchionne und sein neuer Technikchef Mattia Binotto sahen darin die einzige Chance, die übermächtigen Mercedes einzufangen. Und Vettel zog mit.
Der Plan schien zunächst auch aufzugehen. Die nächsten beiden Jahre fuhr der Deutsche im Ferrari ernsthaft um den Titel. 2017 scheiterte er an zu vielen Defekten zum falschen Zeitpunkt, 2018 an zu vielen Fehlern. Von ihm selbst, aber auch vom Team. Ferrari reagierte viel zu spät auf eine missratene Aerodynamikentwicklung.
Bereits da zeigte sich eine Schwäche, die 2019 noch viel gravierendere Auswirkungen hatte. Ferrari brauchte zu lange, um sich Fehlentwicklungen einzugestehen und den Schalter umzulegen. Was Mercedes nach Niederlagen innerhalb von zwei Rennen wieder gerade biegt, dauerte bei Ferrari ein halbes Jahr.
Vettel ging der Glaube verloren
Irgendwann in dieser Saison 2019 muss bei Vettel der Glaube verloren gegangen sein, dass es dieses Team mit dieser Struktur und diesen Leuten noch schafft, dauerhaft gegen die perfekte Maschinerie von Mercedes und einen wiedererstarkten Red Bull.Rennstall zu bestehen. Die Testfahrten in Barcelona deuteten an, dass Ferrari auch in diesem Jahr mit Rückstand in die Saison starten würde. Das Defizit lag hauptsächlich beim Motor.
Im letzten Jahr war Ferrari bei der Motorleistung noch Klassenprimus. Ein halbes Jahr später fehlt plötzlich Leistung. Mit den Gerüchten um mögliche Tricksereien und dem Vergleich mit der FIA im Hinterkopf musste jeder, der eins und eins zusammenzählen kann, sich fragen, ob dieses Team schnell wieder die Kurve kriegt.
Der angeschlagene Chefpilot konnte sich auch ausmalen: Mit einer reduzierten Budgetdeckelung wird es für Ferrari noch schwerer zu gewinnen. Die drei großen Team. werden am meisten unter den Restriktionen leiden. Den gleichen Job mit 300 Mitarbeitern weniger zu stemmen, steckt keiner leicht weg. Am wenigsten ein Team, das finanziell keine Limits kannte.
Ein versteckter Hinweis
Wenn Vettel in der offiziellen Presseerklärung betont, dass eine Zusammenarbeit in Harmonie für den Erfolg entscheidend sei, dann ist das keine Plattitüde, sondern ein versteckter Hinweis, dass es genau daran aus seiner Sicht gemangelt hat. Das unterstreicht auch sein nächster Satz: "Das Team und ich haben erkannt, dass der gemeinsame Wille über diese Saison hinaus zusammenzuarbeiten, nicht mehr vorhanden ist."
Finanzielle Aspekte, so Vettel, hätten dabei keine Rolle gespielt. Wer den 53-fachen GP-Sieger kennt, weiß: Für diesen fünften Titel wäre er auch umsonst gefahren, wenn er eine realistische Chance gesehen hätte. Eine Weltmeisterschaft mit Ferrari wäre ihm wichtiger gewesen als vier mit Red Bull.
Sicher hat auch sein neuer Team.ollege Charles Leclerc eine Rolle gespielt. Der 22-jährige Monegasse ist Everybodys Darling im Team, so wie es Vettel 2009 bei Red Bull war. So etwas spürt ein Fahrer. Leclerc ist Ferrari. Zukunft, Vettel schon fast ein Teil der Vergangenheit.
Ferrari wird sein Team um Leclerc herum aufbauen, so wie es Red Bull mit Max Verstappen tut und Mercedes auch irgendwie mit Lewis Hamilton. Diese Strategie wird dann deutlich werden, wenn Ferrari Vettels Nachfolger verkündet.
Man wird Leclerc nicht einen Weltmeister oder GP-Sieger an die Seite stellen, sondern einen Fahrer, der sich bei Ferrari erst seine Sporen verdienen muss. Einen, der keinen Ärger machen wird. Das Duell zwischen Charles Leclerc und Carlos Sainz ist auf jeden Fall einfacher zu kontrollieren als der Zweikampf zwischen einem Ex-Champion und einem ehrgeizigen Supertalent, der das Denkmal unbedingt stürzen will.
Ferrari hat verstanden: Interner Wettbewerb ist nur bis zu einem gewissen Grad zielführend. Wenn es im Rennen zu Stallkrieg oder gar zu einer Kollision führt, geht der Schuss nach hinten los.
Was nun, Herr Vettel?
Sebastian Vettel will sich jetzt Zeit nehmen und über seine Zukunft nachdenken. Auch hier muss man auf versteckte Andeutungen in seinen Zitaten achten. Die Erkenntnis, dass die aktuell schwierigen Zeiten die Prioritäten im Leben neu ordnen und der Moment sind, eine persönliche Bestandsaufnahme anzustellen, spricht eigentlich dafür, dass sich der 32-jährige Heppenheimer auf eine Auszeit vom Rennsport einrichtet. Oder Zeit gewinnen will, weil er im Moment keine Option hat, an der er aktiv mitwirken kann.
Wenn Lewis Hamilton bei Mercedes bleibt, ist für Vettel dort kein Platz. Mercedes hat schon genug Fahrer in Wartestellung. Valtteri Bottas hat einen Vertrag bis zum Jahresende und soll eine vierte Chance bekommen, wenn diese Saison je gestartet wird. Esteban Ocon wurde an Renault ausgeliehen, und George Russell wird bei Williams gerade für das zweite Cockpit bei den Silberpfeilen fitgemacht.
Red Bull ist keine Alternative. Vettel weiß nur zu gut, dass dort alle Uhren für Max Verstappen ticken. Die Tür bei McLaren wird wohl noch diese Woche zufallen. Und zu Renault passt Vettel nicht. Es wäre aus seiner Sicht ein Abstieg.
Eigentlich gibt es nur eine Chance. Lewis Hamilton müsste sich mit seinen Gehaltsforderungen bei Mercedes dramatisch verzocken. Kein Team, erst recht kein Automobilhersteller, kann es vor dem Hintergrund der Corona-Krise verantworten, einem Großverdiener noch mehr Geld zu zahlen.
Das wäre für einen Konzern, der eine Sparrunde nach der anderen ausruft, das falsche Signal. Vettel müsste also darauf hoffen, dass sich Hamilton aus Prinzip nicht billiger verkauft. Die Chance ist eher gering.