F1-Tagebuch GP Deutschland 2018

In ihren Grand Prix-Tagebüchern liefern die auto motor und sport-Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 11 berichtet Michael Schmidt darüber, was hinter den Kulissen beim GP Deutschland los war.
Endlich mal ein entspannter Grand Prix. Andreas Haupt und ich reisen erst am Donnerstagvormittag an. Den Job mit der Fotoshow am Mittwoch erledigt Kollege Grüner. Von der Redaktion nach Hockenheim ist es ja nur eine Stunde Fahrt. Zugegeben nur nach Mitternacht. Tagsüber kann es gerne auch doppelt so lang dauern. Wir sind am Donnerstagvormittag schon fast durch, als sich bei Bruchsal mal wieder ein Stau ankündigt, bei dem man sich fragt, welcher Depp den schon wieder ausgelöst hat. Wir legen den Rest der Strecke auf der Landstraße zurück. Hockenheim hat uns wieder. Zum ersten Mal seit zwei Jahren. Und zum letzten Mal wie viele glauben. Es kommt alles ganz anders.
Im Transfermarkt rumort es
Am Donnerstag erfahren wir, dass Niki Lauda nicht nach Hockenheim kommt. Dort, wo er 1977 gewonnen und den Lauda-Hassern die lange Nase gezeigt hat. Sie wissen schon: Lauda galt als der Nürburgring-Mörder. Dabei war das Ende der Nordschleife auch ohne seinen Unfall besiegelt. Lauda hat Grippe, heißt es bei Mercedes. Noch ahnen wir nicht, dass es eine Sache auf Leben und Tod wird. Am Donnerstag erfahre ich, dass Fiat-Boss Sergio Marchionne seit vier Wochen verschwunden ist. Noch nicht einmal die engsten Vertrauten hätten Kontakt zu ihm. Die Geschichte hört sich an wie ein schlechter Mafia-Film, bis langsam durchsickert, dass der 66-jährige Italiener schwer erkrankt ist. Am Sonntag entschließt sich Ferrari, eine Pressemitteilung zu verschicken, bevor die Gerüchte zu sehr ins Kraut schießen.
Seit dem GP England hat sich noch nicht viel getan. Auf dem Transfermarkt rumort es erst, aber ohne Vertragsabschlüsse. McLaren ist an Ocon dran, heißt es. Daraus schließen wir mersserscharf: Fernando Alonso wird McLaren 2019 nicht zur Verfügung stehen. Weshalb sonst will sich Zak Brown mit Ocon eindecken. Einen Tag später läuft Renault-Sportchef Cyril Abiteboul mehrmals ganz hektisch ins Mercedes-Motorhome. Er handelt dort mit Toto Wolff eine Option auf Ocon aus, um sich abzusichern, falls Red Bull Carlos Sainz zurück haben will. McLaren teilt Stoffel Vandoorne mit, dass er sich 2019 ein neues Cockpit suchen kann. Das erfahre ich aber erst zwei Wochen später von Zak Brown am Telefon.
Hockenheim ist für uns nicht nur wegen der Nähe zu Stuttgart ein Rennen der kurzen Wege. Das Hotel liegt nur 10 Minuten von der Rennstrecke in Walldorf weg. Da es im Ortszentrum viele Kneipen und Restaurants gibt, bleibt auch noch ein bisschen Zeit für das Rahmenprogramm.
Am Freitag treffen wir uns mit dem früheren Bridgestone-Rennleiter Kees van de Grint. Wir reden ein bisschen über die aktuelle Formel 1 und ziemlich viel über die Vergangenheit. Kees ist ein absoluter Experte in Rennsportgeschichte und obendrein ein Riesen-Fan. Seine große Leidenschaft ist die Geschichte von Matra. Er hat sogar mal ein Formel 1-Auto des französischen Teams besessen, bevor es ein Feuer vernichtet hat. Im Matra-Meseum im Romarontin geht er ein und aus. Kees ist auch ein Fan von Jim Clark. Deshalb hat er extra ein Zimmer im Luxhof in Speyer gebucht. Dort verbrachte Clark seine letzte Nacht vor seinem Todessturz am 7. April 1968 in Hockenheim.
Vettels Crash in der Sachskurve
Zurück in die Realität. Nach dem Sieg in Silverstone ist Sebastian Vettel Favorit. Der Heppenheimer will endlich mal sein Heimspiel gewinnen. Nach der Pole Position für ihn und dem 14. Startplatz für Lewis Hamilton zweifelt auch keiner mehr daran. Hamilton kniet wie ein Häufchen Elend neben seinem Mercedes, als ihn im Q2 die Hydraulik im Stich lässt. Es ist ein ähnlicher Defekt wie schon am Red Bull-Ring. Wieder bricht eine Hydraulikleitung in der Lenksäule.
Viel alarmierender aber für Mercedes ist, dass die Ferrari den Silberpfeilen auf den Geraden vier Zehntel davonfahren. Das war früher einmal anders herum. Mercedes erkennt seit dem GP Österreich, dass bei Ferrari in einem bestimmten Segment der Geraden, dort wo nur noch Power zählt, die Leistung um knapp 40 PS ansteigt. Zuerst vermutet man im Lager der Titelverteidiger böses Spiel, wärmt die alte Batteriegeschichte wieder auf, doch so langsam dämmert es den Ingenieuren in Brackley und Brixworth, dass da offenbar ein schlauer Trick dahinter steckt. FIA-Rennleiter Charlie Whiting versichert mir: „Wir wissen, was Ferrari macht, und es ist legal.“
Hockenheim freut sich über ein volles Haus. Schon die Trainingstage sind viel besser besucht als 2016. Im Hintergrund beginnen erste Gespräche von Liberty mit Hockenheim, den Grand Prix vielleicht doch nocht fortzusetzen. Hockenheim.Geschäftsführer Georg Seiler meint vielsagend: „Wir sind für alles offen.“ Sechs Wochen später in Monza bekommen wir die Bestätigung. Es gibt auch 2018 einen Grand Prix von Deutschland in Hockenheim. Damit erhält Vettel eine siebte Chance, sein Heimspiel zu gewinnen. Eigentlich hat er den Sieg schon diesmal in der Tasche.
Doch dann kommt ihm einsetzender Regen dazwischen. Sein Vorsprung auf die Verfolger schrumpft. Vor allem auf Hamilton, dessen Ultrasoft-Reifen 17 Runden frischer sind. Trotzdem liegen noch 12,1 Sekunden zwischen den WM-Kandidaten, als in der 52. Runde in der Sachskurve das Unfassbare passiert. Vettel bremst auf nasser Piste zu spät. Erst blockieren vorne die Räder, dann hinten. Der Ferrari rutscht durch das Kiesbett in den Reifenstapel. Vettel kann es nicht fassen und trommelt mit den Fäusten auf das Lenkrad ein. Die Rennleitung schickt das SafetyCar auf die Strecke. Jetzt führt Bottas.
Wolkenbruch biblischen Ausmaßes
Der Finne biegt sofort an die Boxen ab. Doch es liegen die falschen Reifen bereit. Teammanager Ron Meadows ordert Intermediates, Stratege James Vowles Ultrasoft-Gummis. Bis die richtigen Reifen am Auto sind, vergehen 17 Sekunden. Hamilton wird ebenfalls an die Box gerufen, doch mitten in der Einfahrt, biegt er noch über das Gras links ab zurück auf die Zielgerade.
Er sieht, dass auch Räikkönen auf der Strecke bleibt. „Kimi stays out“, funkt Hamilton an die Box. Renningenieur Pete Bonington versteht ihn nicht und fragt nach: „Stays out?“ Der Fahrer interpretiert das als Befehl. Teamchef Toto Wolff sieht im Chaos das Gute: „Mit der gesplitteten Strategie haben wir uns auf alle Seiten hin abgesichert.“ Die Szene hat noch ein Nachspiel. Hamilton muss zwei Stunden lang zittern. Dann lassen es die Sportkommissare bei einer Verwarnung bewenden.
Wir hängen nach der Zieldurchfahrt eine halbe Stunde lang fest. Ein Wolkenbruch biblischen Ausmaßes fegt über Hockenheim hinweg. Als Hamilton, Bottas und Räikkönen ihre Pokale in Empfang nehmen blitzt und donnert es. Alle werden bis auf die Knochen nass. Das Fahrerlager ist überschwemmt. Mercedes baut eine provisorische Brücke, damit man überhaupt das Motorhome erreicht. Wer schnell weg will, hat Pech. Auch die Tunnel der Fahrerlagerzufahrt ist geflutet. Da geht eine Stunde lang gar nichts. Wir bleiben gelassen. Erst kurz vor Mitternacht bauen wir unsere Zelte ab. Zum Glück ist die Heimfahrt kurz. Um ein Uhr morgens schlagen wir in Stuttgart auf.