F1-Tagebuch GP Ungarn 2018
In ihren Grand Prix-Tagebüchern liefern die auto motor und sport-Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 12 berichtet Andreas Haupt darüber, was hinter den Kulissen beim GP Ungarn los war.
Budapest ist eines meiner Lieblingsziele. Eine schöne Stadt, eine alte Rennstrecke, die zwar nicht zum Überholen einlädt, mit ihrem flüssigen Layout aber irgendwie Charme versprüht. Das Pressezentrum erinnert an ein altes Klassenzimmer. Irgendwie witzig. Bevor wir von Frankfurt nach Budapest fliegen, erleben wir den langsamsten Reifenwechsel der Saison. Unser Flugzeug braucht einen neuen Reifen, weil der alte Luft verliert. Wir schauen der Boxencrew vom Bus aus zu. Es dauert etwa fünf Minuten. Die Formel 1-Teams brauchen zwischen zwei und drei Sekunden.
Die Reise nach Budapest wird von einer traurigen Nachricht überschattet. Ferrari-Präsident Sergio Marchionne ist tot. Die Gerüchte über Marchionnes Gesundheitszustand und eine schwere Erkrankung machten bereits in Hockenheim die Runde. Ferrari trauert um den Mann, der den italienischen Sportwagenbauer und das Rennteam mit strenger Hand geführt hat. Am Donnerstag hängen Teammitglieder zwei Ferrari-Flaggen auf Halbmast an das Motorhome.
Zuckerbrot und Peitsche wirkten 2017 nicht. 2018 hingegen wirkte Ferrari stabilisiert. Anführer Marchionne forderte den WM-Titel. Und selbst nach Vettels Fahrfehler in Hockenheim waren Ferraris WM-Chancen voll in Takt. Doch wie würde es weitergehen nach dem Tod des Taktgebers? Wie würde Ferrari agieren, wenn nicht ein, sondern zwei oder drei Rennen am Stück in die Hose gehen. Man sah es erst später, nach der empfindlichen Niederlage in Singapur. Ab da verlor das Team endgültig den Rhythmus, die Entwicklungsstufen verpufften.
Hamilton trumpft auf
Auch der winkelige Hungaroring ist so eine Strecke, auf der Ferrari gewinnen muss. Oder zumindest vor Mercedes ins Ziel fahren muss. Der Trainingsfreitag verspricht Gutes. Doch dann kommt der Qualifying-Samstag. Dann kommt der Regen, der die Ferraris von der Pole rutschen lässt. Lewis Hamilton führt einmal mehr vor, dass er jede Möglichkeit zu nutzen weiß. Eine Fähigkeit, die ich ansonsten nur Fernando Alonso attestieren wurde. Hamilton schwimmt zur Pole-Position. Auch weil Mercedes das beste Auto auf nasser Strecke hat.
Der W09 reagiert auf Regenreifen weniger empfindlich auf die erhöhte Bodenfreiheit als der Ferrari SF71H und der Red Bull RB14. Vettel verliert zu allem Überfluss das Qualifikations-Duell gegen Kimi Räikkönen. Red Bull geht baden. Eigentlich hatte der Rennstall mit Sitz in Milton Keynes genau auf solche Bedingungen gewartet. Eine Strecke mit vielen Kurven, dazu Regen: Unter solchen Gegebenheiten rückt die Motorleistung in den Hintergrund. Fahrverhalten und Fahrküste zählen jetzt mehr. Obwohl Verstappen ein ausgewiesener Regenspezialist ist, man erinnere sich nur an Brasilien 2016, gelingt ihm nichts. Genauso wenig wie Teamkollege Daniel Ricciardo.
Red Bulls Motorsportboss Helmut Marko flucht: „Wir bekamen die Regenreifen nicht annähernd auf Temperatur. Beschämend.“ Der Doktor ist ein Mann klarer Worte. Red Bulls Problem ist, dass eine Fahrzeugseite schwerer ist als die andere. Verstappen spricht darüber erst ein paar Rennen später. Es habe noch ein zweites Problem gegeben, wird der Niederländer Wochen später beim GP Japan sagen. „Aber da gehe ich nicht auf die Details ein.“
Verstappen verflucht Renault
Am Rennsonntag bleibt es trocken. Es ist warm. Um nicht zu sagen drückend schwül. Ich kokele in der Startaufstellung. Mercedes ist nicht mehr aufzuhalten, obwohl Außenminister Niki Lauda zum zweiten Mal fehlt. Das Rennen ist mit dem Start praktisch gelaufen. Hamilton bleibt vorne, dahinter deckt ihn der Teamkollege. Valtteri Bottas hält die roten Rennwagen auf, und verschafft Hamilton Luft gegen die Ferraris. Vettel schafft es erst spät am Finnen vorbei. Zu spät. Da ist der Hamilton-Zug bereits abgefahren. Mercedes-Teamchef Toto Wolff spricht nach dem Rennen vom perfekten Wingman – eine Aussage, die Flügelmann Bottas missfällt. Räikkönen wird Dritter, Ricciardo abgeschlagener Vierter. Der Australier spannt Red Bull auf die Folter. Er will den neuen Vertrag einfach nicht unterschreiben. Doktor Marko beruhigt. „Beide Parteien wollen weitermachen. Wir werden zusammenfinden.“ Ein paar Tage später platzt die Bombe. Ricciardo schließt sich Renault für 2019 an.
Verstappens Ausfall in der Frühphase lässt den Zwist zwischen Red Bull und Motorenpartner Renault eskalieren. Der aufstrebende Youngster flucht am Funk. Er rastet aus. Es fällt ein paar Mal das „ F-Wort.“ Red Bull beklagt, für ein First-Class-Produkt zu bezahlen, jedoch nur mittelklassige Ware erhalten. Renaults Sportchef Cyril Abiteboul hält sich zurück, als Michael Schmidt und ich ihn nach dem Rennen auf dem Weg zum Auto befragen. Er verweist darauf, dass Red Bull die neue, zuverlässigere MGU-K nicht wolle. Red Bulls Argument: Der Einbau verlangt nach zu vielen Umbauten im ohnehin engen Heck des RB14.
In Ungarn führe ich Interviews mit zwei Nachwuchsfahrern. Am Donnerstag ist George Russell dran. Ich spreche etwa eine Viertelstunde mit dem Engländer. Der Mercedes-Nachwuchsfahrer ist bescheiden, aufgeräumt und konzentriert in der Sache, ohne zu verkrampfen. Russell verfolgt ein klar definiertes Ziel. Er will Formel 2-Meister werden. „Ich bin überzeugt, dass ich dann 2019 in die Formel 1 aufsteige“, umreißt der Engländer das ganz große Ziel. Er behält Recht. 2019 sehen wir Russell bei Williams.
Maximilian Günther hat es schwerer. Seine Debüt-Saison in der Formel 2 läuft ordentlich. Er gewinnt sogar ein Rennen in Silverstone. Oftmals durchkreuzen Pech und Zwischenfälle seine Pläne. Günther spricht im Gespräch an, dass in den Nachwuchsklassen der Schein trügt. Auch hier entscheiden Geld und Team, ob man vorne mitfährt, oder im Mittelfeld versinkt.
Die Testfahrten nach dem Grand Prix sparen wir uns. Ich bin froh drum. Ein Rennwochenende ist anstregend genug. Am Montag müssen Kollege Schmidt und ich gegen fünf Uhr aufstehen und eine halbe Stunde zum Flughafen fahren. Mit dem frühen Flieger schaffen wir es noch am Vormittag in die Redaktion. Noch ein paar Stunden arbeiten, dann geht es nach Hause auf die Couch.
In unserer Fotoshow blicken wir zurück auf unsere Rennwoche in Budapest.