Ferrari geht volles Risiko
Ferrari hat auf geschichtsträchtigem Boden in Reggio Emilia den neuen Mercedes-Herausforderer präsentiert. Sebastian Vettel, Charles Leclerc und Teamchef Mattia Binotto erklären das neue Autos, das ein Jubiläum in seinem Namen trägt.
Nach SF70H, SF71H und SF90 nun also SF1000. Nachdem Ferrari 2017 und 2018 mit dem H in der Modellbezeichnung noch der Hybrid-Technik gehuldigt hat, geben jetzt die runden Geburtstage dem roten Nationalrennwagen die Namen. Der SF90 aus dem Vorjahr spielte auf 90 Jahre Ferrari an. In dieser Saison müssen wir uns an eine noch größere Zahl gewöhnen. Im 70. Jahr der Formel 1 fährt Ferrari seinen 1000. Grand Prix. Wann genau, steht noch nicht ganz fest. Es ist entweder der GP Kanada oder der GP Frankreich, je nachdem ob das Rennen in China stattfindet oder nicht.
Es war eine Vorstellung auf geschichtsträchtigem Boden. In dem 1857 erbauten Teatro Municipal Romolo Valli in Reggio Emilia wurde die italienische Nationalflagge geboren. Grund genug für Italiens Vorzeige-Firma, sein neues Formel 1-Auto zum ersten Mal außerhalb der heiligen Hallen von Maranello oder der Teststrecke von Mugello zu präsentieren. Es war wie erwartet eine Show mit viel Pathos.
Bevor der Vorhang fiel, stimmte zuerst ein Orchester und dann eine Tanzgruppe das Publikum auf den großen Moment ein. Präsident Louis Camilleri lobte seine Firma: „Nur Ferrari entfacht diese Magie, der sich keiner entziehen kann, für die es keine Worte gibt.“ Teamchef Mattia Binotto zitierte Firmengründer Enzo Ferrari: „Sag einem Kind, dass es ein Auto zeichnen soll. Es wird es rot anmalen.“
Evolution mit extremen Designlösungen
Dann stand er da, der neue Ferrari SF1000. Es ist das 66. Formel 1-Auto, das Ferrari seit seinem Debüt beim GP Monaco 1950 gebaut hat. Auf den ersten Blick ein Abziehbild seines Vorgängers. Mit etwas größeren Rot-Anteilen, wie Sebastian Vettel zufrieden notierte.
Erst auf dem zweiten Blick zeigten sich die Unterschiede. Mattia Binotto erklärte: „Der SF90 aus dem letzten Jahr war nur der Ausgangspunkt. Wir haben alle Konzepte ins Extreme geführt, auf der Suche nach noch mehr Abtrieb, noch mehr Power, noch mehr Standfestigkeit, weniger Benzinverbrauch und weniger Gewicht.“
Weil das Reglement ausnahmslos stabil blieb, bot sich laut Binotto der SF90 als Ausgangspunkt für die Ingenieure an. Als Beispiel nannte der Mann mit der Harry Potter-Frisur das extrem schlanke Heck: „Wir haben Motor und Getriebe noch besser verpackt, um in diesem Bereich so schmal wie möglich bauen zu können. Das Chassis ist extrem schmal, die Verkleidung liegt so eng wie möglich an.“
Auch die Vorderradaufhängung wurde neu konstruiert: „Um schneller mit der Fahrzeugabstimmung reagieren zu können.“ Die Kühler liegen tiefer im Auto. Rigorose Gewichtseinsparung half, mehr Ballast zu platzieren. So konnte noch einmal der Schwerpunkt des Autos gesenkt werden. Und natürlich wurde alles der Aerodynamik untergeordnet. „Wir sind auf maximalen Abtrieb gegangen“, gibt Binotto zu.
Auf diesen Punkt spielte auch Vettel an: „Wir konnten das neue Auto schon viel früher und im Detail sehen. Erst da erkennst, wie groß die Unterschiede zu dem alten Auto sind. vor allem im Heck, wo alles viel kompakter ist. Es wurde unheimlich viel Arbeit in neue Lösungen gesteckt, um das zu ermöglichen.“ Charles Leclerc ergänzte: „Wenn du vor dem Auto stehst, spürst du, wie viel Arbeit in ihm steckt.“
Auch die Motorenabteilung hat Gas gegeben. Schon im Dezember hatte Binotto verraten, dass der Ferrari V6-Turbo nicht nur in seiner Architektur verändert, sondern auch intern revidiert. Der Ferrari 065 hat neue Zylinderköpfe, einen neuen Turbolader und ein neues ERS-Konzept. Die Änderungen in den Brennräumen wurden Ferrari auch vom Reglement aufgezwungen. Binotto erinnert: „Der maximale Ölverbrauch wurde um die Hälfte reduziert. Das war eine große Änderung.“
Vettel glaubt an Schritt vorwärts
Vettel zeigte sich vor seiner sechsten Saison für Ferrari ungewöhnlich optimistisch: „Ich glaube, dieses Auto ist ein Schritt vorwärts und kann es kaum noch erwarten, dass ich das auch auf der Rennstrecke spüre.“
Der vierfache Weltmeister kennt das Team seiner Träume inzwischen in- und auswendig: „Ich weiß, was gut für mich ist und was nicht und hoffe, dass wir auf unserem gemeinsamen Weg endlich die Traktion finden, die uns auch die gewünschten Resultate bringt.“
Teamkollege Charles Leclerc sprach lieber über sich selbst. Der 22-jährige Monegasse bringt jetzt ein Jahr Erfahrung mit. „Das ist ein völlig neuer Ansatz als vor einem Jahr. Jetzt kenne ich das Team und das Auto. Es ist zwar ein neues Auto, baut aber auf der Basis des neuen auf.“
Leclerc trainierte viel in den Bergen, schwor weitgehend seiner geliebten Pasta ab und feuerte schon einen Warnschuss Richtung Teamkollege ab: „Ich will aus meinen Fehlern von 2019 lernen und ein noch besserer Rennfahrer sein.“
Präsident Camilleri schwor seine Truppe ein, das große Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Den ersten Fahrer-Titel seit 2007, den ersten Konstrukteurs-Pokal seit 2008. „Dieses Team hat die Menschen und die Talente, um das umzusetzen.“ Und damit keiner glaubt, Ferrari lebe vom Mythos allein, fügte Camilleri hinzu: „Wir verlangen von uns mehr als es jeder andere tun würde.“
Es wird für alle ein schwieriges Jahr. Der totale Neubeginn der Formel 1 im Jahr 2021 steht schon vor der Tür. Binotto spricht von der größten Herausforderung in der Geschichte der Königsklasse. Nur wer die zweigleisige Entwicklung an zwei Projekten am besten koordiniert, wird am Ende gewinnen. „Die Zeit“, so Camilleri, „ist unser größter Feind.“