Braucht die Formel 1 diese Show?
In ihren Grand Prix-Tagebüchern liefern die auto motor und sport-Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 17 berichtet Andreas Haupt, was hinter den Kulissen beim GP USA 2017 passierte.
Unsere Reise beginnt mal wieder früh. Der Zug verlässt Stuttgart am Dienstag um kurz vor sechs nach Frankfurt. Unser Flieger bringt uns nach Houston. Von dort fahren wir noch dreieinhalb bis vier Stunden nach San Antonio. Also in Richtung Westen. In San Antonio verbringen wir eine Nacht. Ich muss sagen, die Stadt gefällt mir. Vor allem der River Walk, eine verspielte Gegend am San Antonio River, wo sich Bars, Restaurants und Shops abwechseln. Am nächsten Morgen zieht es uns weiter in Richtung Norden. Unser Ziel: Austin, wo der 17. Grand Prix des Jahres steigt.
An der US-amerikanischen Ost- und Westküste sorgt man sich inzwischen um den Umweltschutz. In Texas hingegen scheinen Spritverbrauch, C02-Ausstoß und Emissionen eine untergeordnete Rolle einzunehmen. Wenn überhaupt. Die Highways sind teilweise achtspurig. Wenn es kein Tempo-Limit geben würde und die Dickschiffe dazu verdonnert wären, auf den rechten Spuren zu fahren, wären sie der Traum eines jeden Autofahrers. Pickups wie Chevrolet Silverado und Tahoe, Ford F-150, Dodge Ram und Toyota Tacoma bestimmen das Straßenbild zusammen mit übergroßen Trucks. Dazwischen mischen sich Muscle Cars vom Kaliber Ford Mustang, Dodge Charger und Chevrolet Camaro.
Circuit of the Americas die beste der neuen Strecken
Ich finde, der Circuit of the Americas ist die beste der neuen Strecken. Höhenunterschiede, schnelle, mittelschnelle, langsame Kurven und eine wirklich lange Gerade: Streckenarchitekt Hermann Tilke hat an alles gedacht. Das wichtigste: In Austin kann man überholen. Der Grand Prix bestätigt es mit 44 Überholmanövern. Diese Show ist wesentlich besser als das Vorgeplänkel. Das wichtigste setzt Lewis Hamilton, der den Start gegen Sebastian Vettel verliert, ihn aber nach wenigen Runden kassiert. Der umstrittenste Überholvorgang gelingt Max Verstappen, der sich im schnellen Rechtsbogen im letzten Sektor in der letzten Runde an Kimi Räikkönen vorbei auf den dritten Platz quetscht. Allerdings nicht, ohne die Strecke abzukürzen. Die Rennkommissare entscheiden schnell: Verstappen hat sich einen Vorteil verschafft. Der Niederländer freut sich nur kurz, dann bittet ihn FIA-Pressechef Matteo Bonciani aus dem Vorraum der Siegerehrung. Räikkönen kommt herein. Verstappen muss sich an den GP Mexiko 2016 erinnert fühlen.
Red Bull tobt. Allen voran der Fahrer und Helmut Marko. Selbst Niki Lauda hält zum Gegner. Ich finde, die Sportkommissare haben richtig gehandelt. Was hätte Red Bull gesagt, hätte Räikkönen Verstappen in der letzten Runde auf die gleiche Art überholt? Am Montag nach dem Rennen sprechen wir mit Ross Brawn über den Vorfall. Und über weitere wichtige Themen, die die Formel 1 bewegen. Der Formel 1.Sportchef nimmt sich eine gute halbe Stunde für unser Formel Schmidt-Spezial. Falls Sie die Folge verpasst haben sollten, können Sie sie hier ansehen.
Michael Schmidt interviewt, ich bediene die GoPro und unsere Redaktionskamera. Vorher hatte ich die beiden mit Mikrofonen ausgerüstet, die an meine beiden Handys gekoppelt sind. Später bei der Übertragung aus Houston spinnt unser Server. Ich schaffe es nur, eines der beiden Video-Files zu übertragen. Das zweite folgt aus Mexiko.
Ross Brawn träumt vom ultimativen Vierkampf 2018: Hamilton gegen Vettel gegen Verstappen gegen Alonso. Wenn Ricciardo noch mitmischt umso besser. McLaren gibt die Vertragsverlängerung mit seinem Starpiloten am Donnerstag bekannt. Wenig überraschend. Auch wenn Alonso immer wieder philosophiert hatte, er habe viele Optionen, blieb ihm nur McLaren. Welches Topteam will den Spanier? Mercedes nicht. Ferrari nicht. Red Bull nicht. Der österreichisch-englische Rennstall bindet Verstappen überraschend langfristig an sich. Helmut Marko kommentiert Red Bulls Coup mit einer gewissen Genugtuung. Mercedes und Ferrari können sich den Wunderknaben vorerst abschminken.
Wer ist Justin Timberlake.
Brendon Hartley gibt sein Formel 1.Debüt. Der Neuseeländer ist ein nahbarer Pilot. Ich quatsche ihn am Rennsonntag vor dem Grand Prix an und stelle ihm ein paar Fragen. Zwischendrin taucht Lance Stroll auf, den ich in Mexiko interviewen werde. „Ihr Jungs seid sauschnell“, sagt Hartley zu Stroll. Die beiden kennen sich: 2016 fuhren sie in einem Team das 24-Stunden-Rennen von Daytona. Das muntere Stühlerücken bei Toro Rosso ermöglichte erst die Freigabe von Carlos Sainz, der zu Renault wechselt. Der Spanier harmoniert schnell mit dem Renault R.S.17 und setzt Nico Hülkenberg von Anfang an unter Druck. Sainz springt ins Q3 und erarbeitet sich Punkte. Während Hülkenberg unter einer Motorenstrafe leidet und zum wiederholten Mal ausfällt.
Die Show vor dem Rennen passt zu Amerika. Die Amis lieben die Inszenierung, die Show, das Gekünstelte. Hamilton steht auf den Einmarsch im Boxstil. Vettel hingegen ist und bleibt Traditionalist. Fernando Alonso trifft es für mich in Abu Dhabi auf den Punkt. „Es wurden nur zwei Fahrer groß gewürdigt. Außen herum standen 18 Bodyguards.“
Schon am Samstag gibt es ein größeres Rahmenprogramm mit Sänger Justin Timberlake. Schmidt fragt mich auf der Fahrt zur Rennstrecke: „Timberlake? Ich kenne nur Timberland. Die machen Schuhe.“ Uns beide ärgert der Stau nach dem Qualifying. Wir kommen gegen zehn von der Strecke und müssen einen Umweg nehmen, der uns zwischen 15 und 20 Minuten kostet.
Austin ist eine belebte Stadt. Die Partymeile ist die 6th Street. In den Bars und Diskotheken ist der Trubel groß. Wir bevorzugen das Einfache, gehen zum Mexikaner und in die Pizzeria. Beides ist unheimlich lecker.
HaasF1 bringt für das Heimspiel ein großes Update-Paket, das aber ins Leere läuft. Die Mechaniker sehen es nicht gern, wenn ich ihr Auto aus allen Perspektiven fotografiere. Ganz anders die Mercedes-Mechaniker. Sie schreiten sogar zurück als ich mit der Kamera auf den Heckflügel ziele. Das hat Seltenheitswert in der Formel 1.