„Meisterwerk noch nicht vollendet“

Nun fehlte Hamilton nur noch ein Titel, um nach Meisterschaften zu Michael Schumacher aufzuschließen.
Lewis Hamilton hat es mal wieder geschafft. Rang zwei in Austin reichte aus, um den sechsten WM-Titel unter Dach und Fach zu bringen. Nach der Zieldurchfahrt sprach der frischgebackene Meister vor allem über die schweren Momente der Saison.
Eigentlich müsste Lewis Hamilton./span> das Procedere langsam kennen. Von den fünf Mercedes-Titeln gewann der Brite vier ganz locker vorzeitig. Letztes Jahr stieg die Feier in Mexiko, dieses Jahr in den USA. Am Ende lautete die Frage nur, mit welchem Resultat er die Meisterschaft klarmachen würde.
Nach dem schwachen Qualifying hatten die F1-Verantwortlichen noch hastig einen eigenen Parkplatz für den neuen Weltmeister auf den Asphalt unter dem Podium gepinselt. Hätte ja sein können, dass Hamilton von Startplatz fünf nicht unter die Top-3 fahren würde.
Doch kaum erloschen die Lichter der Startampel, kannte der Vorwärtsdrang keine Grenzen. „Ich habe mir alle Starts aus den vergangenen Saisons angeschaut und mir überlegt, wie ich mein Auto positioniere“, erklärte der 34-Jährige anschließend. „Dabei habe ich mich immer nur auf den ersten Platz konzentriert. Ich habe mich gefragt: Wie komme ich schnell ganz nach vorne.“
Der Sprung an die Spitze musste etwas warten. Hamilton kam als Dritter aus der ersten Runde. „Auch da habe ich gar nicht auf das Auto vor mir geschaut. Ich wollte am Funk nur die Rundenzeiten von Valtteri hören und habe mich nur auf ihn konzentriert. Ich habe versucht, nicht daran zu zweifeln, dass die Reifen bis zum Ende halten. Aber am Ende hat Valtteri einfach einen guten Job gemacht. Gratulation an ihn.“
Mit der erfolgreichen Verteidigungsschlacht gegen Max Verstappen in den letzten Runden half Hamilton mit, den neunten Doppelsieg von Mercedes einzutüten. Klar, dass nach dem Rennen auch ein großer Dank an die Silberpfeil-Mannschaft folgte: „Es gab noch keinen F1-Weltmeister, der kein großartiges Team um sich herum hatte. Das ist ein Teil des Spiels“, erklärte Hamilton.
Doch Bottas hatte das selbe Team um sich herum. Zwei Rennen vor Saisonende liegt der Finne allerdings 67 Punkte zurück. „Es kommt darauf an, wie man die Leute und die Werkzeuge um einen herum richtig nutzt. Ich bin nur ein kleines Glied in der Kette, aber ich bin sehr zufrieden damit, wie ich zum Erfolg beitragen und das Team in die richtige Richtung lenken konnte“, so Hamilton.
Herausragend in seiner Generation
Nach eigener Aussage versuchte Hamilton den Gedanken an den Titel möglichst lange zu verdrängen. Nur von Rennen zu Rennen wollte er denken. Vor allem in der zweiten Saisonhälfte als Mercedes nicht immer das beste Paket hatte, war volle Konzentration gefragt: „Da mussten wir die anderen mit unserem Willen und unserer Cleverness schlagen. Das ist uns gemeinsam als Team gelungen.“
Auf die Frage, was Hamilton so besonders macht, fand Teamchef Toto Wolff eine kurze aber prägnante Antwort: „Hier trifft ein großes Talent auf den großen Ehrgeiz, sich selbst immer weiter verbessern zu wollen. Das macht ihn in seiner Generation so herausragend.“
Hamilton selbst sieht sich noch lange nicht am Ende der Entwicklung. Mit den Fortschritten dieser Saison ist er allerdings zufrieden. „Ich habe mich noch speziell darauf fokussiert, stark in die Saison zu starten. Und die gute Form habe ich dann halten können.“ Obwohl es von außen so aussieht, als komme Hamilton der Perfektion schon sehr nahe, sieht der Pilot immer noch Potenzial: „ Ich arbeite immer noch an dem großen Meisterwerk. Es ist noch nicht ganz vollendet. Es dauert eine lange Zeit, bis man ein Handwerk wirklich meisterlich beherrscht. Ich habe das Gefühl, dass immer noch ein paar Puzzleteile hinzugefügt werden können.“
Gedanken ans Aufhören
Neben seinen Talent als Fahrer war in diesem Jahr auch mentale Stärke gefragt. Nach dem Rennen in Austin gab sich Hamilton überraschend offen. Auch der erfolgreichste Fahrer im Feld ist nicht vor Selbstzweifeln gefeit: „Die dunklen Seiten versuchen einen immer runterzuziehen“, berichtet der Brite. „Ich versuche jeden Tag aufzustehen, in den Spiegel zu schauen und mir selbst zu sagen: Du kannst das. Du schaffst das. Du bist großartig. Du kannst das Rennen gewinnen, wenn Du das Richtige tust. Kein anderer kann das für Dich machen. Man muss sich immer wieder selbst aufmuntern.“
Auch den Tod von Niki Lauda zu überwinden, war laut Hamilton keine einfache Aufgabe: „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so hart treffen würde. Ich wusste nicht, wie sehr ich diesen Typen geliebt habe. Ich vermisse ihn sehr. Von dem Moment, als er mich zuhause angerufen hat um mich zu fragen, ob ich zu diesem Team kommen will. Über das Treffen in Singapur im Hotel, an dem Wochenende als an meinem McLaren das Getriebe kaputt ging. Die Momente, wo er seine Kappe gezogen hat, die gemeinsamen Verhandlungen, Gespräche über Flugzeuge – das war ein harter Moment, als wir ihn verloren haben.“
Der tödliche Unfall von Formel-2-Pilot Anthoine Hubert in Spa ging ebenfalls nicht spurlos an Hamilton vorbei: „Ich habe im Fernsehen gesehen, wie sich das Ganze abgespielt hat. Wenn so etwas passiert, dann kommen einem Zweifel. Man fragt sich, ob man aufhören oder weitermachen soll. Ich weiß natürlich, dass es auch ein Leben nach dem Sport gibt. Aber noch liebe ich diesen Sport so sehr, dass es nur wenig gibt, dass mich davon abbringen könnte. Dieser Sport hat meinem Leben einen Sinn gegeben.“
Noch ein Jahr bis zum Schumacher-Rekord?
Nach dem sechsten Titel, den Hamilton vorbei an Juan Manuel Fangio alleine auf Rang zwei der Meister-Tabelle gebracht hat, stellen sich natürlich alle die Frage, ob nun im kommenden Jahr gleich Nummer sieben folgt. Damit würde er Michel Schumacher einholen, was vor einigen Jahren wohl noch undenkbar erschien.
Darüber will Hamilton aktuell aber keinen Gedanken verschwenden: „Michael zu erreichen, war niemals ein konkretes Ziel. Ich bin nicht jemand, der über Rekorde nachdenkt. Ich habe nach dem ersten Titel ewig gebraucht, den zweiten hinterherzuschieben. Dass ich einmal nur in die Nähe von Michael komme, schien mir so unfassbar weit weg.“
Laut Toto Wolff muss man bei diesem Hamilton aber mit allem rechnen: „Der Grund warum die Schumacher-Rekorde schon so lange stehen ist einfach: Es ist sehr schwer, sie zu erreichen. Aber wenn wir den Fahrern nächstes Jahr ein gutes Auto zur Verfügung stellen und Lewis eine gute Saison erwischt, dann gibt es keinen Grund, warum er es nicht schaffen sollte.“
Hamilton will davon aber nichts wissen: „Wenn man sich die Leistungen der anderen Teams in der zweiten Saisonhälfte anschaut, dann brauchen wir nächstes Jahr wieder unglaublich viel Arbeit von mir und allen um mich herum. Deshalb möchte ich gar nicht so viel über den siebten Titel nachdenken. Außerdem möchte ich den Moment heute einfach genießen. Ich lebe im Jetzt. Wer weiß schon, was morgen passiert.“
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal die Stationen einer außergewöhnlichen Karriere.