Vettel stoppt 100 Meter zu früh
Ferrari hätte bei einem normalen Rennen einen Doppelsieg gefeiert. Doch diesmal verschenkte der WM-Zweite den Sieg. Nicht wegen des Stallkriegs der beiden Fahrer. Der Killer war Sebastian Vettels Defekt im Hybridsystem. Ferrari ließ ihn 100 Meter zu früh anhalten.
In Singapur hat Ferrari alles richtig gemacht, in Sotschi vieles falsch. 25 Runden sah alles nach einem weiteren Doppelsieg aus. Daran hätte auch die leicht verunglückte Stallregie nichts geändert. Sebastian Vettel hätte den Gefallen, den ihm Charles Leclerc beim Start gewährt hat, gleich in der Anfangsphase des Rennens retournieren sollen. Der vierfache Weltmeister weigerte sich, wollte erst einmal Land auf Leclerc und die Mercedes gewinnen. Und den Sieg nicht sofort kampflos herschenken. Ferrari musste den Platztausch später über den Boxenstopp regeln. Leclerc wurde vier Runden früher an die Boxen gerufen.
Das alles aber hatte keinen Einfluss auf die Niederlage, musste selbst Leclerc zugeben. Es sorgte nur für Unruhe im Team und für unnötige Ablenkung. Der Killer war eine VSC-Phase in Runde 26, die den Mercedes-Piloten einen halben Boxenstopp schenkte. Unter VSC-Tempo verliert man 10 Sekunden weniger Zeit in der Boxen.asse als bei normalem Renntempo. Beide Mercedes profitierten von dem Wink des Schicksals. Und von ihrer Reifen.ahl. Mit den Medium-Reifen hatten Hamilton. itemprop="name" />Lewis Hamilton./span> und Valtteri Bottas genug Zeit, auf eine SafetyCar-Phase zu warten. Mehr als alle Fahrer, die mit Soft gestartet waren.
Auslöser der Gelbphase war ausgerechnet ein Defekt im Ferrari von Vettel. Er bahnte sich bereits eine halbe Runde vorher an. Vettel verlor die MGU-K. Damit fehlten schlagartig 163 PS. Als der Ferrari Kurve 15 erreichte, hörte er am Funk den Befehl, das Auto sofort anzuhalten. Er fragte noch nach, ob das ernst gemeint sei, parkte sein Auto in der Auslaufzone der Kurve 15 und wünschte sich die guten alten Zwölfzylinder zurück. Der Ferrari mit der Startnummer 5 stand wegen einer defekten Isolation des Hybridsystems unter Strom. Eine der Steuereinheiten stand im Verdacht. Vettel musste mit beiden Beinen gleichzeitig vom Auto abspringen, und die Streckenposten durften den havarierten Ferrari erst nach gewissen Sicherheitsmaßnahmen in den Notausgang schieben.
Darum musste Vettel anhalten
Damit war klar: Rennleiter Michael Masi musste den VSC-Knopf drücken. Es würde lange genug dauern, dass die Mercedes unter VSC ihre Boxenstopps abspulen konnten. Das war der Sieg für Hamilton. Es wurde ein Doppelsieg daraus, weil Ferrari in der anschließenden SafetyCar-Phase Leclerc ein zweites Mal an die Boxen rief, um ihm Soft-Reifen auf den Schlussspurt zu geben. So rutschte auch noch Bottas durch.
Hier ist die Frage erlaubt, ob es wirklich nötig war, Vettel auf der Strecke anhalten zu lassen. Von dem Punkt, an dem er parkte, waren es noch 700 Meter bis zu den Boxen. Und laut Teamchef Mattia Binotto nur 100 Meter bis zu einem Punkt, an dem der Fahrer das Auto sicher abseits der Strecke hätte abstellen können. „Wir haben Sebastian ausschließlich aus Sicherheitsgründen anhalten lassen, nicht weil wir Angst hatten, der Antriebseinheit könnte weiterer Schaden zugeführt werden“, erklärte der Capo.
Was wäre passiert, wenn Vettel einfach weitergefahren wäre? Vielleicht ein Feuer? Der Fahrer selbst ist sicher, auch wenn das Auto unter Strom steht, weil er in einem Faradayschen Käfig sitzt. Im gegnerischen Lager wunderte man sich, warum Ferrari das Risiko einging, damit Leclercs Siegchancen zu opfern. Binotto widerspricht: „Wir kannten zu dem Zeitpunkt das Ausmaß des Schadens nicht. Es stellte sich für uns nicht die Frage, ob wir weiterfahren. Da ging die Sicherheit vor.“
Für Leclerc war das Rennen um den Sieg praktisch gelaufen. Acht Runden nach seinem ersten Boxenstopp nahm man ihm auch die Chance auf Platz 2. Diesmal versuchte Ferrari das reale SafetyCar im Anschluss an die VSC-Phase zu nutzen, um Leclerc für das Finale einen Satz Soft-Reifen zu geben. Doch 12,7 Sekunden Vorsprung auf Bottas waren trotz des 10 Sekunden-Zeitgewinns nicht genug, um vor dem zweiten Mercedes zu bleiben. Ferrari bot Leclerc an, die Entscheidung selbst zu treffen. Und er stand auch nach dem Rennen dazu: „Es war den Versuch wert.“
Leclerc entschied sich bewusst für die riskante Vasriante: weiche Reifen und dann volle Attacke. Das ist das Gen der Sieger. Wenn sie auch nur eine minimale Siegchance sehen, greifen sie zu. Mercedes bedankte sich für das Geschenk: „Wir hätten es nicht gemacht. Die Medium-Reifen von Leclerc waren eingefahren, sie bauen nur ganz wenig ab. Mit dem Topspeed-Vorteil den sie auf uns haben, hätte sich Leclerc locker gegen Valtteri verteidigen können. Auch mit härteren Reifen.“ Man muss auch bedenken. Die Soft-Reifen der ersten drei Fahrer waren bereits gebraucht, bevor sie ans Auto kamen.
Was wurde vor dem Start abgemacht?
Das Thema nach dem GP Russland aber war Ferraris Strategie beim Start und dem Versuch später die Positionen wieder zu tauschen. Das Teamplay sorgte für weitere Spannungen im Team, für Misstrauen unter den Fahrern und eine zusätzliche Runde von Geschenken und Gegengeschenken. Der Ausgangspunkt war ein Plan, wie man nach dem Start mit beiden Autos in Führung geht und die Mercedes in Schach hält. „Mit zwei Autos an der Spitze hatten wir bessere Möglichkeiten das Rennen zu kontrollieren. Was ja auch passiert ist“ , warb Binotto für seine Taktik.
Die Abmachungen sah so aus: Leclerc würde Vettel Windschatten geben, um Hamilton die Chance zu nehmen, sich an die Ferrari dranzuhängen. Wenn Vettel von der Zugmaschine Leclerc so profitieren sollte, dass er in Führung geht, werden die Plätze später getauscht. Doch die Plätze wurden nicht getauscht. Vettel fühlte sich wohl in seinem Auto, zog Leclerc deutlich davon. Bis maximal 4,387 Sekunden. Damit konnte Leclerc auch einen Undercut vergessen. Eine Runde Differenz zwischen den Boxenstopps hätte nie gereicht.
Während Leclerc dem Kommandostand unter die Nase rieb, dass er sich an seinen Teil des Planes gehalten habe, bat Vettel seinen Renningenieur um Aufschub des Platztausches: „Ich ziehe ihm gerade davon.“ Als es den Ferrari.Strategen dämmerte, dass Vettel zunächst sein eigenes Rennen fahren wollte, beruhigten sie den anderen Mann im roten Auto: „Wir lösen das später.“ Binotto meinte im Rückblick: „Sebastian war sehr schnell und Charles hat auf ihn Zeit verloren. Deshalb haben wir den Plan nach hinten geschoben. Ich glaube, wir haben in jeder Phase richtig gehandelt. Auch wenn es die Fahrer es aus ihrer Cockpitperspektive immer anders sehen werden.“
Die erste Gelegenheit, die Positionen wieder geradezubiegen waren die Boxenstopps. Laut Binotto waren die vier Runden Versatz nicht geplant. Sie hätten sich durch die Situation so ergeben: „ Charles musste an die Box kommen. Links hinten war der Reifen am Ende. Seb hatte noch etwas Spielraum mit den Reifen. Deshalb wollten wir ihn so lange wie möglich auf der Strecke lassen, um uns gegen ein SafetyCar zu schützen. Erst als auch bei ihm die Reifen nachließen, mussten wir ihn reinholen.“ Eine Erklärung, mit der auch Vettel leben konnte. Auch wenn er dabei ein verdrossenes Gesicht machte.
Teufelskreis aus Geschenken und Gegengeschenken
Ferrari begibt sich mit seinen Taktikspielchen und Stallordern auf Glatteis. Weil es immer einen Gewinner und Verlierer gibt. Das zwingt das Team den Gefallen des einen Fahrers beim nächsten Rennen zu erwidern. Vettel war schon bei der Vorbesprechung des Rennens klar, dass seine Siegchancen minimal waren. Wenn er den Start gewinnen sollte, war das gleichbedeutend damit, dass der Plan wie ausgemacht funktioniert hat und er den Platz wieder hergeben muss. Wenn nicht, wäre er Zweiter oder Dritter gewesen. Er hätte auf jeden Fall seinen Teamkollegen auf der Strecke überholen müssen, was in Sotschi unter gleichwertigen Gegnern ein Kraftakt ist.
Ferrari wollte wie in Singapur einen Doppelsieg absichern. Die Historie in Sotschi zeigt, dass dies am besten dann geht, wenn man zwei Autos an der Spitze hat und das eine das andere gegen die Rivalen abschirmt. In Singapur wurde Leclerc dem Doppelsieg geopfert, in Sotschi Vettel. Es hätte für den Deutschen nur eine Chance gegeben, aus der Nummer herauszukommen. Er hätte die Qualifikation gewinnen müssen. Oder wenigstens als Zweiter neben Leclerc zu starten. Dann hätte man die Windschatten-Nummer nicht spielen müssen und einen ganz normalen Start inszenieren können, bei dem der gewinnt, der besser beschleunigt oder später bremst.
Ferrari zog aus dem Rennen in Sotschi, das mit einem dritten Platz und einem Ausfall wie eine Niederlage schmeckte, nur einen Trost. „Wir hatten das schnellste Auto im Training und im Rennen.“ Dieser Einschätzung schloss sich auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff an. Und das ist eine völlig neue Qualität. Bei den letzten drei Rennen hatte Mercedes am Sonntag das schnellere Auto. Suzuka wird jetzt zum Prüfstein für Ferrari. „Für uns ist es der ultimative Test, wie die letzten Upgrades funktionieren und um wie viel näher wir an Mercedes dran sind“, meint auch Vettel. Nach dem Schaden könnte dem Heppenheimer noch eine Motorstrafe drohen. Nicht gleich in Suzuka, beruhigte Binotto. „Sebastian hat noch eine intakte Steuereinheit im Pool.“ Wenn es wirklich nur die Leistungselektronik war.