„Leider noch keine Kontakte in die Formel 1“

Lirim Zendeli steigt 2021 in die Formel 2 auf. Der deutsche Nachwuchspilot blickt auf seine Formel 3-Saison zurück, spricht über die Suche nach Geldgebern und seine Erwartungen im neuen Team MP Motorsport.
Wie war Ihr erster Formel 2-Kontakt?
Zendeli: Ich bin zum zweiten Wochenende nach Bahrain geflogen, um beim Rennen meinem neuen Team MP Motorsport schon mal über die Schulter zu schauen. Danach standen gleich die Testfahrten an. Insgesamt drei sehr intensive Tage, in denen ich ein gutes Gefühl für das neue Auto und die Zusammenarbeit mit dem Team entwickeln konnte. Im Februar wird es dann mit den Vorsaison-Tests weitergehen.
Wie zufrieden waren Sie mit der abgelaufenen Formel 3-Saison?
Zendeli: Nicht unzufrieden, aber auch nicht mega happy. Die Saison ist eigentlich gut gestartet, aber dann hatten wir einen Hänger mittendrin. Wir haben zu viel am Auto gemacht und nie so die richtig perfekte Balance gefunden. In der Theorie klang es gut, was der Ingenieur vorgeschlagen hat. Da kann man ihm nichts vorwerfen. Aber in der Praxis hat es nicht funktioniert. Da hätte ich mich vielleicht mehr auf mein Gefühl verlassen und auf einem Setup bestehen sollen, das mir persönlich mehr gefällt, statt nur auf die Theorie zu hören. Zu dem Entschluss sind wir leider etwas zu spät gekommen. Erst die letzten drei Wochenenden liefen wieder richtig gut.
Wie kritisch ist so ein Formel 3-Auto gegenüber dem Setup?
Zendeli: Da gibt es zwischen Regen und Trocken Riesenunterschiede. Im Regen bin ich nur auf Platz 25 gelandet und war drei Sekunden zu langsam, als das Setup komplett daneben war. Im Trockenen fällt der Unterschied nicht ganz so dramatisch aus. Die Abstimmung kann von einem Zehntel bis zu einer halben Sekunde, vielleicht sogar mehr ausmachen, aber weil zwischen Platz 1 und 10 nur eineinhalb Zehntel liegen, drückt es sich natürlich stark in der Position aus. Wenn da das Setup nicht perfekt ist, fährt man nicht unter die Top 5.
Was hat in den letzten drei Rennen so viel besser funktioniert?
Zendeli: Wir haben das Experimentieren zurückgenommen und eine Linie für mich gefunden. Zwischendurch waren wir eventuell manchmal ein bisschen zu nachlässig, haben u.a. auch mit dem Reifendruck Fehler gemacht. Zum Ende hin hat dann aber vieles gepasst. Es lief auf einmal super.
Warum war dieses Formel 3-Feld so ausgeglichen? Ist das ein so guter Jahrgang?
Zendeli: Das Niveau der Rennfahrer ist heute extrem hoch. Du gehst ab einem Alter von 10 bis 12 Jahren einfach durch eine sehr gute Schule. Die arbeiten da schon im Kartsport mit Daten, eigenen Ingenieuren und Mechanikern. Das habe ich persönlich erst in der Formel 4 und Formel 3 gelernt. Da wird aus jedem das Beste rausgeholt. Und das nehmen die jungen Fahrer dann mit in den Formelsport. Da derzeit viel Geld vorhanden ist, ob bei den Fahrern selbst oder den Sponsoren, haben viele halt auch die Möglichkeit, die bestmögliche Ausbildung zu genießen, viele Testfahrten abzuspulen und sich weiterzuentwickeln. So ein Formel 3-Auto hat sein Limit, und es sind viele Fahrer in der Lage gewesen, dieses Limit auszuschöpfen. Deshalb sind alle so nah beieinander.
Wo stand da Ihr Trident-Team im Vergleich zu ART oder Prema?
Zendeli: Uns hat es ein bisschen am Renntempo gefehlt. In der Qualifikation waren wir gut dabei, zum Schluss sogar das Maß der Dinge. In neun Qualifikationen stand ich vier Mal in der ersten Reihe, davon drei Mal am Ende der Saison. Es gibt da so eine Statistik. Da bin ich alle Trainings- und Qualifikationsrunden zusammen gerechnet Schnellster vom ganzen Feld und mein Teamkollege Beckmann auf Platz zwei. Im Renntempo lagen wir im Durchschnitt nur auf den Plätzen 6 und 10. Da waren uns Prema und ART einen Schritt voraus. Die konnten genauso schnell fahren wie wir, aber einfach über eine längere Distanz.
Liegt das am Budget vom Team?
Zendeli: Ich kann es nicht hundertprozentig beantworten, woran das lag. Da spielen viele Faktoren mit hinein, bis hin zum Fahrer. Ich habe ja auch nicht alles perfekt gemacht. Den genauen Grund, warum bei uns die Reifen früher nachgelassen haben, weiß ich leider auch nicht.
Sind die Reifen in der Formel 3 genauso eine Wissenschaft für sich wie in der Formel 1?
Zendeli: Die Reifen in der F3 sind auf jeden Fall der Schlüssel. Wenn du den Reifen nicht in sein Arbeitsfenster bringst, kannst du schnell mal eine halbe Sekunde zu langsam sein, selbst wenn die Fahrzeugabstimmung passt.
Braucht man heute in den Nachwuchsklassen zwei Saisons oder gibt es den Durchmarsch noch?
Zendeli: Ich bin mir sicher, dass ich keine zweite oder dritte Saison gebraucht hätte, wenn ich von Anfang an im besten Team gewesen wäre. Aber ich hatte nie die finanziellen Möglichkeiten, mich mit vielen Testtagen vorzubereiten und dann bei Prema zu fahren. Ich musste mich immer mit minimalen Testtagen und nicht unbedingt dem Top-Material durchschlagen. Ich will da ehrlich sein. Wenn du im besten Team fährst, musst du nicht das Supertalent sein, um den Durchmarsch zu machen. Wenn man das entsprechende Umfeld hat und ein bisschen fahren kann, kommt man schon echt weit.
Wie viel Geld braucht man um in das beste Formel 3-Team zu kommen?
Zendeli: Viel. Da kommen wir der Million schon nahe.
Und in der Formel 2?
Zendeli: Das Doppelte.
Wie bekommt man dieses Geld zusammen? Ist das auch Teil des Jobs?
Zendeli: Das ist der größte Teil des Jobs. Das macht dir mehr Kopfschmerzen als das Fahren. Wenn ich den Winter hinter mir habe, bin ich echt froh, dass ich wieder ins Auto steigen kann.
Beneiden Sie Leute, die in einem Förderprogramm von Red Bull, Ferrari oder Mercedes sitzen?
Zendeli: Da habe ich mir nie so Gedanken drüber gemacht. Es frustriert natürlich schon, wenn Leute, die absolut keine Ahnung haben, wo Gaspedal und Bremse sind, dann Formel 1-Tests fahren dürfen. Das ist Teil der Motorsportwelt. Damit muss man sich abfinden. Mich spornt das noch mehr an, Gas zu geben und zu zeigen, dass die aufsteigen sollten, die es verdienen und nicht die, die einfach nur in die Tasche greifen müssen.
Wäre der Kopf freier, wenn man Teil eines Förderprogramms wäre?
Zendeli: In meiner Situation wäre so etwas natürlich extrem hilfreich, weil es die Anspannung wegnehmen würde, Geld zu finden. Aber es geht auch ohne. Ich glaube nicht mal, dass man relaxter fahren kann, wenn man in so einem Programm ist. Da kann man heute drin und morgen raus sein. Einen freien Kopf hat man nur, wenn man mit viel Geld gesegnet ist.
Warum Formel 2 und kein drittes Jahr Formel 3?
Zendeli: Es ist generell schwer, das Geld zusammenzubekommen. Wenn ich das schaffe, dann möchte ich meine Chance in der Formel 2 nutzen. Eine dritte Saison in der Formel 3 würde mir auch bei einem Meistertitel nicht viel weiterhelfen. Dann wäre ich in keiner besseren Situation als jetzt. Ich wäre ein Jahr älter und hätte erneut viel Geld in einer Serie ausgegeben, in der ich mich bewiesen habe. Man muss den Mut haben, den nächsten Schritt zu machen. Ich habe mit Trident extrem viel Erfahrung gesammelt, vor allem wie man herangeht, wenn die Dinge nicht so gut gelaufen. Das kann ich nächste Saison in der Formel 2 bei MP Motorsport gut nutzen. Dann schauen wir mal, wo wir stehen. Ich habe das Gefühl, dass es gut werden wird.
Haben Sie schon eine Vorstellung davon, was Sie erwartet. Wir reden da ja von 230 PS mehr.
Zendeli: Ich glaube nicht, dass die Motorleistung der große Faktor ist. Man wird merken, dass es auf den Geraden schneller vorwärts geht. Der große Unterschied wird das Beschleunigen und noch mehr das Bremsen sein. Wir werden dort Karbonbremsen und mehr Abtrieb haben. Die Kurvenspeeds werden zwar höher als in der Formel 3 sein, aber dafür sind die Autos auch ein bisschen schwerer. Wenn man da zehn km/h schneller durchfährt, wird das keine andere Welt sein. Ich glaube nicht, dass man sich krass umgewöhnen muss. Da erwarte ich den Sprung von der Formel 2 in die Formel 1 viel dramatischer, so wie von der Formel 4 in die GP3. Das war schon heftig, von 160 auf 400 PS und viel mehr Abtrieb.
Haben Sie sich bei Kollegen schon mal erkundigt, wie deren Erfahrungen waren?
Zendeli: Ich weiß nicht, wie gut andere Fahrer untereinander befreundet sind. Ich habe das Gefühl, dass im Motorsport jeder mehr für sich arbeitet. Ich werde bei keinem nachfragen. Höchstens bei einem, der nicht mehr aktiv in der Formel 2 fährt. Du kannst heute schon viel anhand von den Aufnahmen der Bordkameras ableiten und lernen. Da sieht man schon ganz gut, was auf einen zukommt.
Wie sieht Ihr Ziel für die erste Formel 2-Saison aus?
Zendeli: Mich selber weiterentwickeln. Ich würde gerne immer um die Punkte fahren können und beim Sprintrennen mal ein Podium mitnehmen.
Gibt es schon lose Kontakte zu einem Formel 1-Team?
Zendeli: Leider noch nicht.
Wie hart war die Corona-Saison eigentlich aus Sicht eines Formel 3-Fahrers?
Zendeli: Das war schon heftig. Bis Mai war ich noch relativ frei zuhause. Wenn ich mir etwas eingefangen hätte, wäre kein Rennen oder Test betroffen gewesen. Danach war ich die ganze Zeit isoliert. Ich habe mich drei Monate lang mit fast keinem getroffen, höchstens einem Freund, der aber getestet wurde. Unterm Strich eine extrem kompakte Saison.