„Ich war wieder der Chef im Auto“

Die meisten WM-Punkte ohne einen Sieg und ohne ein Podest in der bisherigen Geschichte hamstert Nico Hülkenberg. Der Le Mans-Sieger von 2015 bringt es auf 521 Zähler.
Nico Hülkenberg hat am zweiten Silverstone-Wochenende seine Qualitäten aufblitzen lassen. Wir haben mit dem Kurzzeit-Heimkehrer über sein erstes Rennen nach acht Monaten gesprochen, über das Problem mit den Reifen und über die Zukunftsaussichten.
Ihr Fazit?
Hülkenberg: Ich bin happy, dass ich für das Team Punkte holen konnte. Platz sieben ist nicht so schlecht, vor allem wenn du vorher so lange nicht gefahren bist.
Wieso der dritte Boxenstopp?
Hülkenberg: Der zweite Satz von den harten Reifen war komplett anders. Der hatte auf einmal krasse Blasenbildung. Die Vibrationen sind so stark geworden, dass ich stoppen musste. Entweder hätte es mich zerrissen oder den Reifen.
Wie lief es sonst?
Hülkenberg: Die erste Hälfte des Rennens war alles unter Kontrolle. Ich habe die Reifen gut gemanagt. Wir hätten den zweiten Stopp schon ein bisschen später setzen können. Dadurch hätten wir uns später mehr Luft gekauft und weniger Runden auf dem letzten Satz an die Backe geholt. Das Team wollte mich aber früher reinholen. Ich weiß nicht, was mit diesem zweiten Satz der harten Reifen los war. Der war irgendwie faul.
Und zum Schluss sind Sie sogar noch einmal den Soft-Reifen gefahren?
Hülkenberg: Wir hatten keine anderen Reifen mehr übrig. Den Medium hatte ich im Q2 versägt, weil ich da abgeflogen bin. Der war nicht mehr brauchbar für das Rennen.
Wie hat der Hals mitgespielt?
Hülkenberg: In den modernen Autos kann man den Kopf gut ablegen. Außerdem wisst Ihr doch, dass ich eine Maschine bin. Ich habe einfach auf die Zähne gebissen.
Haben Sie vom Gefühl her den teaminternen Vergleich gegen Stroll gewonnen?
Hülkenberg: Da müsst Ihr drüber debattieren. Das ist für mich nicht so wichtig. Ich habe einfach alles gegeben und immer versucht, das Maximum aus mir und den gegebenen Möglichkeiten zu holen. Dieses Wochenende ist mir das viel besser als letztes gelungen. Da war alles so krass frisch und richtig fremd. Diese Woche bin ich zufrieden mit mir.
Kennen Sie den Racing Point jetzt schon gut genug, um in Barcelona noch mal einen draufzulegen, sollten Sie dort fahren?
Hülkenberg: Das ist eine wachsende Geschichte, diese Verbindung zwischen Fahrer und Auto. Jetzt bin ich mal ein Rennen gefahren und habe auch ein paar Tage, das alles zu verdauen und Revue passieren zu lassen. Dieser Prozess ist ja noch lange nicht beendet. Der dauert oftmals ein paar Rennen. Barcelona wäre natürlich eine andere Strecke, andere Bedingungen. Es hat mir sicher geholfen, dass wir zwei Mal hintereinander in Silverstone gefahren sind.
Wo hat es beim zweiten Mal besser funktioniert?
Hülkenberg: Letzte Woche ist das Auto über große Strecken mit mir gefahren, und diese Woche bin ich das Auto gefahren. Ich habe mich stark verbessert in Kurve 6 und 15. Da bremst du richtig spät rein, das ist ein echtes Feuerwerk. Das waren so letzte Woche die Stellen, wo ich gegen Lance verloren hatte. Die habe ich das zweite Wochenende ausgebügelt. Generell war ich mehr der Chef im Auto. So muss es auch sein.
Der Racing Point ist ja eigentlich der Weltmeister-Mercedes aus dem letzten Jahr. Ist er vom Potenzial her das beste Formel 1-Auto, das Sie je gefahren sind?
Hülkenberg: Das ist schwer zu vergleichen. Die Autos in den letzten zehn Jahren waren schon stark unterschiedlich. Diese Generation ist ganz anders als die von 2010 oder 2014. Jedes Auto gibt dir ein anderes Gefühl, eine andere Wahrnehmung. Das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen. Aber so auf eine Runde ist der Racing Point schon das schnellste, was ich je gefahren bin. Ich habe letzte Woche mal so aus Spaß die Rundenzeiten mit dem letztem Jahr verglichen. Da waren die Qualifikationszeiten im Renault relativ ähnlich zu denen jetzt. Es spielt für die Wahrnehmung natürlich auch eine Rolle, dass ich vorher acht Monate nicht in einem Formel 1-Auto gesessen war und diese Geschwindigkeiten nicht erlebt habe. Da kommt einem alles erst einmal schneller vor. Aber der Racing Point geht schon richtig vorwärts. Speziell in schnellen Kurven geht ordentlich was. Das ist auch der stärkste Punkt des Autos.
Das große Thema im Rennen war wieder mal Reifen.anagement. Wie viel fahren Sie dabei unter ihrem eigenen Limit.
Hülkenberg: So um die 90 Prozent.
Und das ist dann langweilig?
Hülkenberg: Du hast schon zu tun, weil du aktiv den Zustand der Reifen beeinflussen kannst. Das macht dann am Ende den Unterschied aus. Das macht sich nicht von alleine. Auch wenn es vielleicht nicht so cool ist, ist es deine Aufgabe im Rennen.
Wie groß ist die Versuchung, doch mal aufs Gas zu gehen?
Hülkenberg: Die ist natürlich schon da. Ich bin im Rennen aber meistens ziemlich alleine unterwegs gewesen. Das hat geholfen. Nach dem zweiten Stopp lag ich hinter Leclerc und habe versucht ihn einzuholen. Da habe ich zwei, drei Runden mehr angegast, aber dann haben die Reifen direkt wieder überhitzt. Da kriegst du die nächste Runde automatisch die Quittung, verlierst Grip und fährst wieder langsamer. Das ist wie so ein natürliches Limit. Dann kamen die Blasen.
Wie geht es jetzt weiter?
Hülkenberg: Ich fahre am Montag für den Fall der Fälle im Simulator als Barcelona-Vorbereitung. Dann fliege ich nach Malle und warte dann dort bis Mittwoch oder Donnerstag auf Checos Resultat. Und je nachdem fliege ich nach Barcelona oder nicht.
Haben sich nach dem Wochenende Ihre Chancen auf einen Formel 1-Platz 2021 verbessert?
Hülkenberg: Gesteigerte Hoffnungen wäre übertrieben. Ich führe schon seit geraumer Zeit Gespräche mit den zwei Teams, wo noch was gehen könnte. Ich weiß nicht, ob da dieses Wochenende etwas verändert hat. Gefühlt nein. Die Leute dort kennen mich und lassen sich nicht durch ein Rennwochenende beeinflussen. Es gibt eine Chance, aber es wird noch ein bisschen dauern.