Erst einmal Platz hinter Topteams sichern
In Woking darf man zufrieden sein. McLaren hat sich hinter die Topteams und vor das Mittelfeld geschoben. 2020 will sich der zweiterfolgreichste Rennstall der Formel 1-Geschichte festigen. Die Ziele sind hoch, gleichzeitig bleibt McLaren bescheiden.
Das ist eine neue Qualität. McLaren glaubt an sich, hat aber den Übermut der Vergangenheit abgelegt. Erinnern Sie sich noch an das Ende der Partnerschaft mit Honda 2017. Damals hatte McLaren geglaubt, mit dem Wechsel zu Renault steige man automatisch wieder zu einem Siegkandidaten auf. Daraus wurde nichts Stattdessen folgte der Fall in der zweiten Saisonhälfte 2018. Die Entwicklung des Autos stagnierte.
Doch McLaren legte in dieser Zeit auch den Grundstein, 2019 aufzustehen. Da entstand die Basis des MCL34. Es war eine solide Plattform, die sich gezielt weiterentwickeln ließ. Über die Saison hat sich der zweiterfolgreichste Rennstall der Formel 1-Geschichte als Nummer vier im Feld etabliert. Die Mittelfeldkonkurrenz hängte McLaren um 54 Punkte ab.
Keine Politik mehr bei McLaren
Mit Andreas Seidl als Team.hef hat McLaren jetzt auch eine klare Führung. Der Bayer weiß, wie man aus einem Team einen Sieger formt. Seidl hat es bei Porsche in der Sportwagen-Weltmeisterschaft bewiesen. Der 43-Jährige war der Architekt des 919-Projekts zusammen LMP1-Leiter mit Fritz Enzinger. Seit Mai lenkt Seidl McLaren.
Es gibt klare Strukturen und Aufgabenverteilungen. Zak Brown ist das Oberhaupt von McLaren Racing. Darunter fallen die F1-Sparte, die Abteilung für Historie, das E-Sport-Programm und die IndyCar-Aktivitäten. Der US-Amerikaner überlässt Seidl freie Hand in der Formel 1. Seidl ist der Chef im Tagesgeschäft. Seidl dirigiert die Richtung. Der Bayer war es auch, der den Motoren-Deal mit Mercedes ab 2021 forcierte. James Key ist der Boss der Technikabteilung. Andrea Stella, Fernando Alonsos ehemaliger Renningenieur, ist als Performance-Direktor ein wichtiger Baustein.
Zak Brown sieht in der neu geschaffenen Struktur einen der Gründe für McLarens wiedergewonnene Stärke. „Viele Köche verderben den Brei. Als ich kam, hatte jeder etwas zu sagen. Da läuft jeder in seine Richtung. Jetzt haben wir klare Mandate, klare Aufgabenverteilungen. Wir laufen in dieselbe Richtung mit Andreas an der Spitze“, führt der US-Amerikaner aus. Daraus ergibt sich noch ein weiterer positiver Effekt. „Die Politik ist raus aus dem Team. Wenn einem Unternehmen die Führung fehlt, kann es schnell politisch werden. Wir ziehen an einem Strang.“
Boxenstoppausrüstung verbessern
Die Struktur, die Führung, das Management, die Fahrer, die Ressourcen: McLaren hat die Bausteine für den Erfolg zusammen. „Wir haben durch harte Arbeit und gute Entscheidungen ein Momentum in der Fabrik und an der Rennstrecke aufgebaut. Jetzt ist unser größter Gegner die Zeit“, sagt Brown. „Wir müssen wachsen, über längere Zeit miteinander arbeiten. Dann werden wir automatisch besser. Wir werden aber auch schlechte Tage und schlechte Rennwochenenden haben. Das ist normal in einem solchen Prozess.“
Die schlechten Sonntage hat McLaren 2019 minimiert. Wenn es welche gab, lag es häufig an der Technik. „Wir kennen die Bereiche, die wir verbessern müssen. Und auch die Bereiche, wo wir uns als Team steigern müssen“, erklärt Seidl. „Zuverlässigkeit, Boxenstopps, Boxenausrüstung. Das ist eine Schwachstelle von uns. Speziell die Hardware, die wir bei den Boxenstopps einsetzen. Wir haben einen klaren Plan. Wir wollen da auf das Level der Topteams. Nur braucht das Zeit.“
Ist es auch eine sinnvolle Option, in Schlagschrauber zu investieren, die doch ab 2021 sowieso standardisiert werden? Der Team.hef rechnet vor. „Das Investment ist nicht zu verachten. Aber wenn wir es mit den Punkten gegenrechnen, die uns durch Pannen durch die Lappen gingen, ist es gut investiertes Geld.“
Chance ab 2022 und danach
2020, so der Plan, soll die Lücke zu den Topteams halbiert werden. Doch McLaren weiß, dass sich auch Renault diesen Schritt für 2019 vorgenommen hatte. Und scheiterte. Stattdessen ging es bei Renault rückwärts. „Der nächste Schritt hin zu den Topteams ist größer. Je näher du ihnen kommst, desto schwerer ist es, weitere Zehntel abzufeilen. Unser wichtigstes Ziel für 2020 ist es deshalb erst einmal, uns nicht zurückzuentwickeln“, sagt Brown. Das sind Töne, die man bei McLaren vor einem Jahr noch nicht hörte. Eine neue Bescheidenheit.
Das langfristige Ziel ist es, sich wieder zu einem Team zu entwickeln, das um Weltmeisterschaften fährt. McLaren glaubt nicht, dass das im ersten Jahr der Regelrevolution der Fall sein wird. Brown geht davon aus, dass die Topteams im nächsten Jahr massive Ressourcen ins 2021er Projekt stecken. Mit ihrer Größe können Mercedes, Ferrari und Red Bull leichter gleichzeitig an zwei Fronten arbeiten: am aktuellen und am Auto der Zukunft.
Mehr Geld, mehr Köpfe, mehr Ideen, die besseren Rechenmodelle im CFD: Die Topteams profitieren von ihrer Größe und ihrem großen Budget. Da ist es wahrscheinlich, dass sie auch im ersten Jahr unter dem Budgetdeckel den Ton angeben. „Die Topteams werden dann zurückfahren müssen. Sie müssen runter von ihren Jahresbudgets und Personal abbauen. Das bringt Unruhe. Wir glauben an unsere Chance ab 2022 und danach“, sagt Brown.
Voll auf 2021 stürzen?
McLaren selbst will im kommenden Jahr auf demselben Budgetniveau operieren wie 2020. Das soll aber nicht heißen, dass das Team nicht bereits früh und vermehrt Ressourcen in das 2021er Projekt steckt. „ Wir bleiben auf dem gleichen Level, wollen aber einen aggressiven Ansatz wählen“, erzählt der Amerikaner. Es gibt Stimmen, die McLaren wie Renault nahelegen, im nächsten Jahr eine schwächere Saison zu akzeptieren, und sich stattdessen mit voller Wucht auf die Revolution zu stürzen. Da könnte man eine Lücke im Technikreglement finden, wie einst BrawnGP 2009, und die Großen stürzen.
Dagegen spricht, dass McLaren damit sein Momentum aufgeben würde. Schwächere Ergebnisse erhöhen die Gefahr, dass die Stimmung ins Negative abdriftet. Und jeder weiß bekanntlich, wie sich das auf die Arbeit auswirkt. Es spricht noch etwas dagegen. McLaren ist ein Team aus Racern. Da schenkt man eine Saison nicht einfach ab.
Dass Fernando Alonso jemals zurück in den papayagelben Rennwagen kehrt, wird immer unwahrscheinlicher. Wenn es nicht sogar ausgeschlossen ist. Brown findet zwar nur lobende Worte für den Doppelweltmeister, hält aber wie Seidl enorm große Stücke auf dem aktuellen Fahrerduo Carlos Sainz und Lando Norris. „Wir sind überzeugt, dass beide das Potential haben, Weltmeister zu werden. Das wollen wir mit ihnen erreichen.“