„Perez-Fahrstil noch extremer“
Bei Aston Martin erlebt Sebastian Vettel diese Saison einen kompletten Neustart. Nachdem der Heppenheimer letztes Jahr regelmäßig mit den Tücken des Ferrari gekämpft hat, besteht nun berechtigte Hoffnung, dass der AMR21 deutlich besser zu seinem Fahrstil passt.
Bei der offiziellen Vorstellung des neuen Aston-Martin-Werksteams wurden viele Komplimente verteilt. Sebastian Vettel bedankte sich bei seinem neuen Team für den herzlichen Empfang und die Mühen aller Beteiligten, ihm die Eingewöhnung so einfach wie möglich zu machen. Die Ingenieure lobten zurück, dass Vettel in der kurzen Zeit schon viele interessante Denkanstöße geliefert habe.
"Seine Arbeitsweise ist ganz anders als das, was wir vorher hatten", gab Technikchef Andrew Green begeistert zu Protokoll. "Das ist genau das, was wir brauchen. Wir wollen, dass sich das ganze Wissen eines vierfachen Weltmeisters über uns ergießt."
Vettel weiß aber auch, dass ein guter Start noch keine Garantie für andauernden Erfolg ist. Auch in den Anfangszeiten bei Ferrari erschien die Beziehung wie eine Traumehe. Doch mit den Jahren der Stagnation wuchs der Frust bei allen Beteiligten. Zur Entschuldigung der schlechten Leistungen führten die Vettel-Fans gerne an, dass der Ferrari einfach nicht zum besonderen Fahrstil passe. So hieß es oft, dass der Routinier den maximalen Grip im Heck vermisse, den er für sein aggressives Einlenken brauche.
Doch Vettel selbst will sich nicht so leicht aus der Affäre stehlen. "Die ganzen Geschichten sind etwas zu weit gegangen. Ich bin diesbezüglich nicht empfindlicher als andere Piloten. Bei Red Bull und zu Beginn meiner Ferrari-Zeit kam ich auch mit einem nervösen Heck gut zurecht."
Erste Erkenntnisse beim Test in Bahrain
Beim Shakedown bekam der Neuling am Donnerstag (4.3.) die erste Chance, sich mit seinem neuen Dienstwagen anzufreunden. Doch die ersten 50 Kilometer mit wenig repräsentativen Demo-Reifen von Pirelli lieferten nur wenig Aufklärung. "Ich werde erst in Bahrain wissen, wie sich das Auto richtig anfühlt. Von der Philosophie ist es ja sehr anders als das, was ich gewohnt bin. Ich hoffe aber, dass mir das entgegenkommt."
Technikchef Green äußerte sich diesbezüglich sehr optimistisch: "Seb hat einen individuellen Fahrstil. Das ist aber nichts anderes als das, was wir hier schon von anderen Piloten gesehen haben." So sei Vorgänger Sergio Perez in Sachen Fahrstil sogar noch deutlich extremer gewesen, erinnert sich der Ingenieur: "Da war es sehr schwierig, das Setup für alle Strecken richtig hinzubekommen. Bei manchen hat es gepasst, bei anderen nicht. Sebastian ist da deutlich weniger extrem."
Bei Ferrari verrannten sich die Techniker immer wieder bei ihren Experimenten mit der Abstimmung. Bei Aston Martin sieht man solch eine Gefahr nicht. "Ich bin mir sicher, dass wir die Werkzeuge und die Fähigkeiten haben, das Auto auf seine Wünsche anzupassen. Daran haben wir schon den ganzen letzten Monat im Simulator gearbeitet. Er hat sich sehr zufrieden darüber geäußert, in welche Richtung das ganze geht. Da sehe ich also keine Probleme", winkt Green ab. "Wenn wir nicht das Beste aus Seb rausholen, dann ist das unser Fehler und nicht seiner."
Ingenieure optimistisch für 2021
Was das Konzept des Autos angeht, müssen die Techniker aber selbst noch lernen. Erst vor zwei Jahren fiel in Silverstone die Entscheidung, die Anstellung des Chassis dramatisch zu reduzieren und ein Auto zu bauen, bei dem der Unterboden relativ waagerecht über dem Asphalt schwebt. Dass die neue Philosophie schon im ersten Jahr so reife Früchte trug, überraschte selbst ihre Schöpfer.
"Wir haben unglaublich viel gelernt. Das war eine große Herausforderung für das ganze Team", blickt Green zurück. "Wir haben einige gute Fortschritte erzielt, aber wir haben letztes Jahr auch ein paar Fehler gemacht. Für das 2021er Auto wollten wir diese unbedingt abstellen. Deshalb sind wir auch so optimistisch, was die Performance-Aussichten angeht."
Während man Probleme im Vorjahr noch relativ einfach ausmerzen konnte, sind die Möglichkeiten für die Weiterentwicklung in den nächsten Monaten allerdings begrenzt: "Das Projekt für 2022 ist so eine krasse Veränderung, dass wir dafür einen Großteil der Ressourcen abstellen müssen. Leider befürchte ich, dass wir wegen der begrenzten Entwicklungszeit auch nicht das ganze Potenzial aus dem 2021er Auto rausholen können."
Keine Probleme durch neue Regeln
Dazu kommen noch Fragezeichen wegen der Last-Minute-Regeländerungen dazu. Erst im September hatten die Verantwortlichen in den technischen Arbeitsgruppen beschlossen, die Aerodynamik im Heck künstlich zu beschneiden und neue Reifen einzuführen. Beide Maßnahmen gehen mit Einbußen beim Grip einher, die Experten mit fast einer Sekunde Zeitverlust pro Runde beziffern.
"Die späten Entscheidungen haben uns das Leben nicht gerade einfach gemacht", kritisiert Green. "Wir standen vor der großen Herausforderung, die verlorene Performance über den Winter wieder zurückzugewinnen. Diesbezüglich sind wir leider noch nicht ganz da, wo wir gerne sein würden. Aber wir haben eine solide Basis geschaffen, auf der man aufbauen kann."
Immerhin scheint das Fahrzeugkonzept mit der niedrigen Anstellung gut auf die aufgezwungenen Veränderung zu reagieren: "Wir hatten große Sorge, dass wir darunter leiden würden", gibt Green zu. "Aber das war unbegründet. Wir hatten uns früh auf das 2020er Getriebe und die Aufhängungen festgelegt, noch bevor die Änderungen im Reglement verkündet wurden. Das hätte auch in die falsche Richtung gehen können. Am Ende hat es aber gut gepasst. Es hat uns vor keine großen Probleme gestellt."
Angriff auf Mercedes und Red Bull
So startet das ganze Aston-Martin-Team mit viel Vorfreude in die neue Saison. Nach Platz vier im Vorjahr will man mindestens den dritten Rang in der Teamwertung einfahren. Die längerfristigen Ziele sehen sogar einen Angriff nach ganz vorne vor. Doch Teamchef Otmar Szafnauer warnt davor, die Konkurrenz im Mittelfeld frühzeitig abzuschreiben.
"Es wäre bescheuert, wenn wir nur nach vorne schauen und die Verfolger ignorieren würden. Das Niveau im Mittelfeld ist stark angestiegen. Ferrari wird nicht für immer Sechster bleiben, sie werden dieses Jahr und darüber hinaus schwer zu schlagen sein. McLaren ist schon letztes Jahr vor uns gelandet. Alpine kommt mit der Wucht eines Werksteams und sie haben mit Alonso einen zweifachen Weltmeister verpflichtet. Es wird also nicht einfach, das Mittelfeld anzuführen."
Mit der Ankunft von Sebastian Vettel und der Vergrößerung des Entwicklungsteams steigen aber auch die Erwartungen – sowohl von außen als auch von innen. Szafnauer gibt die Richtung vor: "Natürlich blicken wir auch auf die beiden Teams ganz vorne. Wir wollen auf jeden Fall näher an Mercedes und Red Bull rankommen. Die Aufgabe ist groß, aber wir sind auf jeden Fall bereit dafür."