Neue Gegner, andere Strategien
Ferrari und Racing Point fahren in diesem Jahr in neuer Umgebung. Ferrari weiter hinten, Racing Point weiter vorne. Das hat auch Auswirkungen auf die Strategie. Und das ist der Grund, warum bei den beiden Teams nicht immer alles nach Plan verläuft.
Ferrari fühlt sich zu Unrecht kritisiert. Beim GP Spanien sorgte der Dialog zwischen Sebastian Vettel und seinem Renningenieur Ricardo Adami für Verwunderung. Einmal sollte Vettel Gas geben, dann wieder auf seine Reifen aufpassen, damit sie bis zur Zielflagge halten. Das alles spielte sich innerhalb von nur fünf Runden ab. Tatsächlich hat Ferrari unter dem Strich alles richtig gemacht. Der Weg dorthin wirkte aus Sicht der TV-Zuschauer allerdings reichlich unkoordiniert. Teamchef Mattia Binotto wehrte sich: "Wir sprechen offen am Funk, da sieht man manchmal unglücklich aus. Doch über die Kommunikation kamen wir zur besten Strategie."
Das Herantasten an die beste Strategie vor einem Millionenpublikum hat einen Grund. Ferrari lernt gerade, dass Rennen im Verfolgerfeld anders ablaufen als an der Spitze. Das gleiche passiert Racing Point, nur andersherum. Der englische Rennstall fuhr traditionell im hinteren Teil des Mittelfeldes. Jetzt aber kommen mit den beiden Ferrari und dem zweiten Red Bull neue Gegner dazu, und es geht nicht mehr nur um die Plätze 5 bis 10. Insgeheim schielt Racing Point auch auf den dritten Podiumsplatz, sollte einer aus dem Spitzentrio in Schwierigkeiten kommen. Teamchef Otmar Szafnauer erklärt: "Dort, wo wir jetzt fahren, gelten andere Gesetze als dort, wo wir bisher gefahren sind."
Racing Point verschenkt Plätze
Gerade in den ersten Rennen verschenkte Racing Point den ein oder anderen Platz. Sergio Perez verzichtete beim Saisonauftakt in der zweiten Safety Car-Phase auf einen zweiten Reifen.echsel, nur um eine Position gegen Alexander Albon zu gewinnen. Der Mexikaner wurde nach dem Re-Start von seinen Gegnern schnell wieder aufgeschnupft. Sie hatten die besseren Reifen. Beim zweiten Grand Prix in Spielberg ließ Racing Point ein Duell seiner beiden Fahrer zu, was Lando Norris zum Aufschließen und zum Überholen einlud. Der McLaren hatte auch noch die frischeren Reifen, weil er später an die Boxen gegangen war als seine Gegner.
Beim GP Ungarn ließ Racing Point einen Undercut von Valtteri Bottas gegen Lance Stroll zu. Vielleicht ging man am Kommandostand des Mercedes-Kunden davon aus, dass man Bottas sowieso nicht halten kann. Im ersten Silverstone-Rennen überlegten die Strategen von Racing Point eine ganze Runde lang, ob es sinnvoll sei, Lance Stroll während des Safety Cars zum Reifen.echsel an die Boxen zu holen. Man entschied sich mit einer Runde Verspätung dafür. Was einen Platz an Norris kostete.
Für den Großteil der Fahrer war der "Gratis-Stopp" die richtige Entscheidung. Doch in diesem Fall wäre pokern vielleicht besser gewesen. Stroll hätte endlich freie Bahn gehabt, wenn er auf der Strecke geblieben wäre. Er hätte dann befreit Tempo machen und seine direkten Gegner mit dem späteren Boxenstopp überholen können.
Mehr Gegner für Ferrari als früher
Ferrari-Chefstratege Iñaki Rueda macht Wochenende für Wochenende eine neue Erfahrung. Bis zum letzten Jahr musste er ausschließlich die zwei Mercedes und Max Verstappen im Auge behalten. Jetzt kann er die drei Autos vergessen. Dafür sind ein Red Bull, zwei Racing Point, zwei McLaren, zwei Renault und zwei Alpha Tauri mit im Spiel. "Die Strategie ist komplizierter geworden", gibt der Spanier zu. "In den letzten Jahren bestand unsere Aufgabe darin, vor dem ersten Stopp eine ausreichend große Lücke aufzufahren. Dann waren wir unter uns mit sehr ähnlichen Rechenmodellen und wenigen Parametern. Jetzt kämpfen wir in einer Gruppe von Fahrern und Teams, die sehr eng zusammenliegen. Das zwingt uns, die Taktik oft Runde für Runde anzupassen."
In diesem Feld aus elf Autos ist viel Dynamik im Spiel. Unterschiedliche Anzahl von Boxenstopps, unterschiedliche Reifen.ahl, unterschiedliches Boxenstopp-Timing. Während die Ferrari-Ingenieure im letzten Jahr zwei Schachpartien parallel spielten, sind es jetzt fünf. Die Gegner sind dieses Multi-Tasking aus der Vergangenheit gewohnt. Ferrari muss es erst lernen. Rueda: "Verkehr war in der Vergangenheit kaum ein Faktor in unseren Strategieprogrammen. Jetzt ist er entscheidend."
Bestes Beispiel Barcelona. Ein zweiter Boxenstopp von Sebastian Vettel wäre fatal gewesen. Er wäre an das Ende eines Pulks aus sieben Autos gefallen und wäre wahrscheinlich punktelos geblieben. Durchhalten bis zum bitteren Ende war die einzige Option. Eine Strategie, die erst während des Rennens geboren wurde und Ferrari in Runde 47 noch nicht für möglich hielt, in Runde 51 aber schon. "Deshalb gibt es bei uns auch mehr Kommunikation am Funk als früher", entschuldigt sich Rueda.
Zwei Ferrari-Fehler
Bis jetzt muss sich der Ferrari-Kommandostand nur zwei Fehler ankreiden lassen. Charles Leclerc bekam beim GP Ungarn beim ersten Boxenstopp den Soft-Reifen mit auf die Reise. Es war schon am Freitag klar, dass diese Gummimischung als Rennreifen nichts taugte. Leclerc bezahlte dafür, weil er viel zu früh seinen zweiten Stopp einlegen musste und dann eine umso längere Restdistanz vor der Brust hatte. Vettel verweigerte sich diesem Reifen.yp. Ferrari hörte auf ihn. So sprang am Ende noch ein sechster Platz heraus.
Im zweiten Silverstone-Rennen holte man Vettel zu früh an die Box. Davor war Vettel konstante Rundenzeiten gefahren. Kein Zeichen von kritischer Abnutzung. "Ich hätte noch zehn Runden weiterfahren können. Dann wäre ich auch nicht in den Verkehr gefallen. Wir haben exakt das gemacht, was wir vermeiden wollten", beschwerte sich der Deutsche hinterher.
Hier hätte er vielleicht auch selbst etwas bestimmter auftreten müssen, um die Ingenieure davon zu überzeugen, dass es besser gewesen wäre, zu warten. Vettel vermutete, dass sich Ferrari eine Stallregie ersparen wollte. Leclerc lag nur noch 1,6 Sekunden hinter ihm. Dabei wäre es für Vettel kein Problem gewesen, zur Seite zu rücken. Der Teamkollege war auf einer anderen Strategie unterwegs und gar nicht Vettels direkter Gegner.