Rennanalyse GP Russland 2019
Eigentlich hätte Ferrari den vierten Sieg in Serie einstreichen müssen. Doch die Scuderia stolperte über die Technik, und wurde von einer VSC-Phase zu Fall gebracht. Mercedes profitierte von seiner Reifenwahl vom Samstag. Die Silberpfeile staubten einen Doppelsieg ab.
Mercedes wurde der Doppelsieg beim GP Russland auf dem Silbertablett serviert. Ferrari hätte eigentlich gewinnen müssen, doch eigene Fehler und das Rennglück untersagten den Triumph. Wir gehen in unserer Rennanalyse auf die dringensten Fragen ein.
Wie schlug sich Ferrari selbst?
Ferrari belegte in der 26. Runde die Positionen drei und vier. Aber nur, weil Mercedes noch keinen Boxenstopp abgewickelt hatte. Alles sprach für einen weiteren Erfolg von Ferrari. Es roch sogar nach dem zweiten Doppelsieg der Saison. Doch dann kollabierte das Hybridsystem in Sebastian Vettels Auto. Die Technikpanne löste eine Kettenreaktion aus, die Charles Leclerc um den dritten Sieg brachte, und Mercedes den elften des Jahres bescherte.
Vettel parkte sein Auto im Notausgang von Kurve 15. Eine halbe Runde zuvor war die MGU-K ausgestiegen. Das ist der Teil des Hybridsystems, der während des Bremsvorgangs Energie rekuperiert und beim Beschleunigen als Elektromotor boostet. „Es gab ein Problem auf der Hybridseite des Antriebsstrangs. Es war nicht mehr richtig isoliert“, führte Teamchef Mattia Binotto aus. Ferrari forderte seinen Fahrer auf, den SF90 umgehend abzustellen. Das Auto stand unter Strom, doch Vettel war nicht in Gefahr. Es ist wie beim Autofahren. Der Faraday‘sche Käfig schützt. Vettel musste auf sein Auto klettern und mit beiden Füßen abspringen. Der Ferrari im Notausgang zwang die Rennleitung, ein virtuelles Safety Car auszurufen. Das kam für Mercedes wie gerufen und setzte Leclerc schachmatt. Binotto musste sich die Frage gefallen lassen, ob Vettel sich nicht hätte in die Box retten können. Oder zumindest sein Auto an einer passenderen Stelle abstellen dürfen. „Ja, es hätte 100 Meter später eine Stelle gegeben. Aber in diesem Moment geht die Sicherheit vor. Wir konnten nicht mit voller Gewissheit sagen, was da genau vor sich geht.“
Mercedes holte in der einzigen VSC-Phase des Rennens seine Fahrer in die Box. Hamilton behielt die Führung. Während eines virtuellen Safety Cars spart man sich beim Reifen.echsel zehn Sekunden gegenüber einem Stopp unter Renntempo. Bottas rutschte nur für drei Runden auf den dritten Platz ab. Dann schenkte Ferrari Mercedes die Doppelführung zurück. Statt auf den Mediumreifen durchzufahren, entschieden sich Fahrer und Teamführung für einen zweiten Boxenhalt und den Wechsel zurück auf die weiche Mischung. Ferrari suchte den Angriff, um den Sieg zurückzuholen. Dafür opferte man Platz zwei. Leclerc fand keinen Weg vorbei an Bottas, der sich in den Kurven einen Puffer erarbeitete, der ihn auf den Geraden rettete. Im Windschatten des Mercedes überhitzten Reifen und Motor. Der Monegasse musste zurückstecken.
Hätte Vettel überhaupt gewinnen dürfen?
Ferrari heckte vor dem Rennstart einen Masterplan aus. Leclerc sollte den Teamkollegen nach vorne ziehen. Was auch wunderbar gelang. Vettel beschleunigte Hamilton schon vor dem ersten Rechtsknick aus, schlüpfte in den Windschatten, scherrte auf etwa der halben Zielgerade rechts aus und stürmte an Leclerc vorbei. „ Wir wollten unbedingt mit einer Doppelführung aus der ersten Runde zurückkommen“, erklärte Team-Capo Binotto. „Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass man von der Spitze Tempo, Reifen und Gegner kontrollieren kann. Unser Plan ging ja auch perfekt auf, bis zu Sebastians Ausfall.“ Die Kehrseite der Taktik: Sie schaffte Unruhe im Team und unter den Fahrern.
Es war abzusehen, dass Ferrari mit seinem Leistungsvorteil mit beiden Autos am Ende der Zielgerade vorn sein werde. Die Teamführung hätte seine Fahrer frei fahren lassen können mit dem Hinweis, eine Kollision in jedem Fall zu vermeiden.
Die Strategie sah vor, dass der vierfache Weltmeister in den ersten Runden die Führung wieder abtritt. Doch Vettel weigerte sich. Stattdessen floh er vor dem Teamkollegen. Vettel löste sich um über vier Sekunden. „Sebastian arbeitete sich einen Vorsprung heraus. Deshalb haben wir von einem Tausch abgesehen. Es hätte später noch ausreichend Möglichkeiten dazu gegeben“, erklärte Binotto.
Zum Beispiel elegant über einen kürzeren ersten Stint. Leclerc bekam vier Runden vor Vettel neue Reifen. Binotto widersprach. „Bei Charles knickte der linke Hinterreifen ein. Sebastian blieb länger draußen, damit wir uns vor einem Safety Car schützen. Wir holten ihn erst rein, als seine Hinterreifen hinüber waren.“
Im Prinzip bestimmte Ferrari den Sieger vor dem Rennen. Vettel hätte Leclerc vorbeilassen müssen. Und er wäre vermutlich niemals am Teamkollegen vorbeigekommen. Dafür war die Differenz auf der Strecke zu gering. Leclerc wäre auch mit der besseren Taktik bedient worden. Vettels einzige Möglichkeit war die Flucht. Er musste hoffen, dass ihm das Schicksal wie in Singapur wieder alle Trümpfe zuspielt. „Es ist das Beste für mich, wenn ich gar nichts sage. Mattia hat eine plausible Erklärung abgegeben.“ Sein Gesichtsausdruck sagte alles.
Hätte Mercedes auch ohne VSC gewonnen?
Ferrari bewies eine neue Qualität. Dieses Mal war der SF90 nicht nur schnell auf eine Runde, sondern auch über die Distanz. Das Tempo war hoch, der Reifen.erschleiß trotzdem gering. „Wenn wir das Glas halbleer sehen, hatte Ferrari das schnellere Rennauto“, befand Mercedes-Teamchef Toto Wolff.
In dem Wissen, gegen die roten Raketen weder in der Qualifikation noch am Start eine Chance zu haben, richtete Mercedes alles auf die Taktik aus. Die Weltmeister schwammen entgegen des Stroms und setzten ihre Fahrer auf den Medium-Reifen. Es sollte der goldene Griff werden. Pirellis mittelharte Reifen.ischung erlaubte es den Fahrern, den ersten Rennteil auszudehnen. Mit dem Hintergedanken, im Schlusssprint auf die weichen Reifen zu wechseln, und darauf die Ferrari niederzustrecken. Und in der Hoffnung auf eine Neutralisation nach Ferraris Boxenstopps. Genau die spülte Mercedes vorbei. „Bei einem normalen Rennverlauf hätte es nicht gereicht. Wir wären den Ferrari zwar hinten heraus im Getriebe gesteckt, aber mit ihrer Motorleistung hätten sie sich erfolgreich gegen uns gewehrt“, glaubt Wolff.
Wer profitierte noch von VSC und Safety Car?
Für Max Verstappen, Kevin Magnussen, Alexander Albon, Lance Stroll und Nico Hülkenberg kamen die Neutralisationen wie gerufen. Sie sparten sich wie die Mercedes Zeit beim Boxenstopp. Verstappen war plötzlich dran an der Spitzengruppe, hatte aber die härteren Reifen und nicht die Geschwindigkeit der Spitze.
Teamkollege Albon rutschte vom achten auf den neunten Platz zurück, überrannte mit neuen Softreifen aber hinten heraus Sergio Perez, Lando Norris, Kevin Magnussen und Carlos Sainz. McLaren hätte ohne VSC und Safety Car mehr als 12 Punkte ergattern können. Hülkenberg eröffnete das Safety Car die Gelegenheit, wieder auf die weichen Reifen zu tauschen. Es reichte, um wenigstens Stroll den letzten Punkt abzuluchsen.
Wieso wurde Magnussen bestraft?
Magnussen verlor Platz acht wegen eine Zeitstrafe. Der Däne war nach einem Zweikampf mit Perez in Runde 44 in der Auslaufzone zwischen die weißen Styropor-Poller gefahren, statt wie im Bericht des Rennleiters festgehalten links vorbei. Haas fühlte sich verschaukelt. Weil man erstens einen Platz und zweitens 1,7 Sekunden verlor. „Es ist ungerecht. Ich habe mich zweimal selbst bestraft, und bekomme noch eine dritte Strafe obendrauf.“