Wir brauchen mediale Kontrolle!

Die Formel 1 träumt von einem Start im Juli – ohne Publikum und ohne Medien. Warum das geplante Presseverbot nach hinten losgehen wird und nicht zu akzeptieren ist, erklärt F1-Experte Michael Schmidt in seinem Blog.
Der Formel 1-Start im Juli? Und dann noch in Österreich. Das wäre für die Verantwortlichen am Red Bull-Ring eine große Nummer. Auch ohne Publikum. Und für die Formel 1 wäre es eine Art Rettungsanker.
Wenn wir dieses Jahr keine Rennen fahren, können wir uns von der Formel 1, wie wir sie kennen, für lange Zeit verabschieden. Dann haben wir wie von FIA-Präsident Jean Todt angekündigt 2021 eine Super-Formel 2 mit Budgets von 50 Millionen Dollar. Was vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Ein Neubeginn ist auch eine Chance.
Aber malen wir den Teufel nicht an die Wand. Es ist durchaus legitim, verschiedene Szenarien für einen Einstieg in die GP-Saison durchzuspielen. Ich finde, man sollte die Reißleine erst ziehen, wenn es unbedingt notwendig ist. Besser auf Sicht fahren.
Fußball testet Publikums-Verbot
Warum sagt Deutschland alle Großveranstaltungen bis Ende August ab? Es hätte vorerst auch bis Ende Juni gereicht. Was machen sie, wenn es im Juni ein Medikament gibt, das die schlimmsten Auswirkungen von Covid-19 lindert? Dann muss alles neu bewertet werden. Genauso trügerisch ist es, sich mit dem Saisonstart der Formel 1 auf Anfang Juli festzulegen. Wir wissen nicht, wie die Welt bis dahin aussieht.
Vielleicht helfen dann auch keine Geisterrennen. Ob Veranstaltungen ohne Zuschauer durchführbar sind, werden wir am Beispiel des Fußball sehen. Die Fußball-Ligen und Vereine wollen schon im Mai wieder loslegen. Sie haben, mal abgesehen von der Champions League, logistisch die einfachere Aufgabe. Alle bleiben im Land.
Die Menge an Spielern, Betreuern und Offiziellen ist überschaubar. Der GP-Tross zählt selbst in abgespeckter Form mindestens 1.000 Leute, wahrscheinlich mehr. Und die kommen aus aller Herren Länder. Wer weiß, ob die alle nach Österreich einreisen oder in ihr Land zurückkehren dürfen, ohne vorher oder nachher in Quarantäne zu müssen?
Sind Journalisten gefährlich?
Es geht denen, die jetzt an solchen Modellen basteln vornehmlich darum, die Zahl der Menschen, die bei so einem Rennen vor Ort sein dürfen, so klein wie möglich zu halten. Dazu zählt auch der Plan, die Medien auszusperren.
Dann mal viel Glück. Ein Grand Prix ist eine öffentliche Veranstaltung. Man braucht schon sehr gute Gründe, die Presse auszuladen. Es reicht eine einstweilige Verfügung, und das Rennen hätte keinen WM-Status mehr, weil es dann als private Veranstaltung laufen müsste.
Von Medienvertretern geht auch nicht mehr Gefahr aus, als von allen anderen Beteiligten im Fahrerlager oder in der Boxengasse. Wir können uns genauso testen lassen wie jeder Teamchef, Ingenieur oder Fahrer. Ich möchte daran erinnern, dass es ein Mechaniker war, der sich in Melbourne infiziert hat und kein Journalist, Fotograf oder Kameramann. Wer die Spielregeln bei Kontakten einhält, ist kein Risikofaktor.
Jetzt aber zum Hauptgrund, warum ein Grand Prix nie ohne mediale Kontrolle ablaufen darf. Die TV-Bilder liefert die Produktion des F1-Managements. Also quasi die Regierung. Wie wir alle wissen, sendet das TV-Signal zeitversetzt, um notfalls bei schweren Unfällen reagieren und Bilder ausblenden zu können.
Kontrolle über die Informationen
Stellen Sie sich vor, dass die einzige primäre Informationsquelle der Reporter in aller Welt dieses TV-Signal wäre. Die Regierung könnte uns alles unterjubeln, was ihnen in den Kram passt. Weil sie nur das zeigen, was sie zeigen wollen. Das wären Zustände wie in China und verstieße gegen jedes Presserecht der freien Welt.
Wenn ich als Reporter vor Ort bin, sehe ich zwar auch nur dieses Fernsehbild, ich bekomme aber gleichzeitig live mit, ob Wirklichkeit und TV-Bild zusammenpassen. Und ich habe die Chance, direkt an Ort und Stelle vermeintlichen Widersprüchen nachzugehen und Hintergründe aufzudecken. Wenn ich zuhause bleibe, bin ich von den Informationen abhängig, die mir die Beteiligten liefern.
Welche Qualität die haben, erlaben wir gerade in der Zeit ohne Rennen. Viele Teams und Offizielle sind in Schockstarre gefallen. Was einige von ihnen an Nachrichten liefern, ist erbärmlich. Das Höchste der Gefühle sind Telefonkonferenzen mit Fragen, die vorher eingereicht werden müssen. Und Instagram-Posts von Fahrern, die in ihrer Banalität nicht zu überbieten sind. Diese Praxis könnte sich fortsetzen, wenn die Teams Gefallen daran finden. Auch nach der Corona-Krise. Deshalb: Wehret den Anfängen.
Leute, in welche Medienschule seid ihr gegangen? In Zeiten der Krise sind Transparenz und Ehrlichkeit das beste Rezept. Das hat sogar die Politik kapiert. Deshalb haben die verantwortliche Politiker trotz unpopulärer Maßnahmen gerade Zustimmungsraten wie nie zuvor. Die Bundespressekonferenzen finden übrigens mit Pressevertretern vor Ort statt. Keiner sperrt sie wegen Angst vor Ansteckung aus.
Die Medien tun gerade ihr Bestes, um die Fans in diesen dürren Zeiten mit Informationen und Geschichten zu versorgen. Daran sollten sich alle erinnern, die davon träumen hinter verschlossenen Türen zu fahren. Andernfalls könnte es sein, dass die Tribünen auch dann leer blieben, wenn das Publikum wieder zugelassen ist.