Den Fuß in der Tür
Sebastian Vettel ist bei Racing Point gelandet. War es eine gute Wahl? Nun, es war seine einzige. Die andere Option wäre ein Rücktritt gewesen. Doch Vettel ist mit seinen 33 Jahren noch zu jung zum Aufhören, meint Michael Schmidt.
Racing Point ist Sebastian Vettels fünfte Formel-1-Station nach BMW, Toro Rosso, Red Bull und Ferrari. Pardon, Aston Martin. So heißt das Team im nächsten Jahr. Das hört sich schon etwas vornehmer an als dieser bescheuerte Name Racing Point. Vettel wechselt quasi nur die Luxusmarke.
Doch wo 2021 Aston Martin draufsteht, ist noch Racing Point drin. Es ist nach Haas das zweitkleinste Team der Formel 1. Ein Rennstall, der vor zwei Jahren aus der Insolvenz gerettet wurde und jetzt unter der Fuchtel eines kanadischen Milliardärs steht, dessen Lebenstraum es ist, seinen Sohn einmal gewinnen zu sehen.
Ob das gut ist, wird sich noch zeigen. Die Mannschaft jedenfalls ist gut. Sie hat über ein Jahrzehnt hinweg mit wenig Geld das Unmögliche möglich gemacht. Zwei vierte Plätze in der Konstrukteurs-WM, sieben Podiumsplätze, die meisten noch unter dem Namen Force India. Vettel kann nur hoffen, dass die Truppe mit ihren Schlüsselfiguren zusammenbleibt. Sie stand vor ein paar Jahren schon mal kurz vor dem Absprung zu Williams.
Sebastian Vettel hat sich für die Formel 1 und gegen einen Rücktritt entschieden. Ich nehme ihm nicht ab, dass er nah am Rücktritt war. Er ist ein Racer, der viel zu gerne Autorennen fährt, als schon mit 33 Jahren eine Pause einzulegen. Vielleicht gab es kurze Momente des Zweifelns als alle Türen zufielen, doch spätestens als der vierfache Weltmeister merkte, dass diese Saison mit Ferrari in die Hosen geht, wird er sich gesagt haben: So will ich nicht abtreten.
Keine andere Option für Vettel
Und wenn er ehrlich zu sich selbst ist, wird er gewusst haben, dass eine Rückkehr auch für einen Ex-Champion nicht einfach ist. Fernando Alonso bekam den Platz bei Renault nur, weil ihn Daniel Ricciardo freigemacht hat. Sonst würde der Spanier auch 2021 nur zuschauen. Kimi Räikkönen fand 2012 nur bei Lotus Unterschlupf, weil der Rennstall nach dem Unfall von Robert Kubica im Jahr davor eine Galionsfigur brauchte und sonst nichts auf dem Markt war.
War es also eine gute Wahl? Es war seine einzige. Die attraktiveren Optionen Mercedes, Red Bull oder McLaren waren alle schon dicht, bevor Ferrari sich von Vettel trennte. Der 53-fache GP-Sieger träumte zwar von einer Rückkehr zu seiner alten Liebe Red Bull, doch er soll froh sein, dass es da keinen Bedarf gibt. Red Bull ist ein Verstappen-Team, so wie Ferrari heute ein Leclerc-Team ist. Das ist Psychologie, die sich nicht so einfach umkehren lässt.
Aston Martin wollte ihn unbedingt. Es wird die Besitzer geschätzte 40 Millionen Dollar gekostet haben. Die Summe setzt sich daraus zusammen Sergio Perez abzufinden, Vettel zu bezahlen und auf die Sponsoren aus Mexiko zu verzichten. Das zeigt, wie wichtig der Transfer für das Team war. Vettel bringt Erfahrung, technisches Verständnis und Aufmerksamkeit. Es ist eine echte Aufgabe, den Rennstall aus dem Mittelfeld an die Spitze heranzuführen.
Aston Martin ist nach den Top-Teams sicher die beste Alternative. Auch eine ohne großes Risiko. Das Auto wird sich 2021 am 2020er Mercedes orientieren und eher noch besser sein als in diesem Jahr. Der Motor ist der beste im Feld. Das Team wird bis zum Saisonende das neue Fahrzeug-Konzept voll und ganz verstanden und auch seine Rennstrategie auf Vordermann gebracht haben.
Kein Risiko für Vettel
Vettel wird im nächsten Jahr also mindestens dort fahren, wo Racing Point im Augenblick fährt. Hinter zwei Mercedes und einem Red Bull, mit einer guten Chance auf einen Podiumsplatz. Und er ist Teil der Mercedes-Familie. Man kann nie wissen, wozu es mal gut sein kann, den Fuß in der Tür zu haben.
Für die Zukunft spielen die Regeln Aston Martin einen Steilpass zu. Während die großen Teams unter der Budgetdeckelung schrumpfen müssen, kann Vettels neuer Arbeitgeber noch wachsen. Die Umstellung wird bei Mercedes, Red Bull und Ferrari Spuren hinterlassen und einen Teil der Lücke schließen.
Den Rest könnte der Neustart der Formel 1 in der Saison 2022 erledigen. Alle beginnen mit der Konstruktion ihrer Autos bei Null. Hier liegt aber auch eine Gefahr für Vettel. Aston Martin muss sein 2022er Auto mit Ausnahme der Teile, die man bei Mercedes einkaufen darf, ganz alleine bauen.
Alles was man jetzt durch das Nachbauen des Vorjahres-Mercedes lernt, wird 2022 nicht mehr viel wert sein. Das Aerodynamikkonzept der neuen Autos wird ein völlig anderes sein. Wer zwei Jahre lang andere Ideen nur verfeinert, könnte ein Problem bekommen, plötzlich wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Das wird Vettel aber erst wissen, wenn die Saison läuft. Doch da sitzt er mit vielen anderen im gleichen Boot.