Hamilton lässt Zukunft offen
Mercedes ist vier Rennen vor Saisonende der siebte Konstrukteurs-Pokal nicht mehr zu nehmen. Lewis Hamilton siegte in Imola und stiftete gleichzeitig Unruhe. Der Seriensieger verweigerte die Garantie, auch 2021 in der Formel 1 zu sein. Es scheint der plumpe Versuch, sich in eine bessere Position bei den Vertragsgesprächen zu bringen.
Und wieder Lewis Hamilton./span>. Zum neunten Mal in dieser Saison gewann der Seriensieger der Formel 1 einen Grand Prix. Zum ersten Mal überhaupt in Imola. Die Rennstrecke in der Emilia-Romagna fehlte ihm noch in der Liste. Jetzt hat der 35-Jährige auf der 29. Rennstrecke ein Formel 1.Rennen für sich entschieden. Selbstredend ein Rekord. Der dritte Sieg in Folge brachte den 93. Triumph der Laufbahn. Hamilton marschiert auf die 100 zu.
Dieses Mal überrumpelte der WM-Führende, dessen siebter WM-Titel praktisch in Stein gemeißelt ist bei einem Vorsprung von 85 Punkten, den Team.ollegen nicht über das bessere Reifenmanagement. In Imola brauchte Hamilton auch das Glück des Tüchtigen: Red Bulls früher Boxenstopp mit Max Verstappen, der Mercedes dazu veranlasste mit Valtteri Bottas nachzuziehen. Das angeschlagene Auto des Team.ollegen, der über einen Abtriebsverlust von 50 Punkten klagte. Das perfekte Timing des Boxenstopps.
Hamilton nicht unfehlbar
An diesem Rennwochenende war Hamilton nicht unfehlbar. Er leistete sich ungewöhnliche Schwächen. Am Samstag passte die letzte Qualifikationsrunde nicht. Am Sonntag war es der Start. "Ich hatte einfach keinen Grip. Das Auto kam nicht vom Fleck." Hamilton fiel hinter Max Verstappen auf den dritten Platz. Beinahe wären ihm sogar Pierre Gasly auf der rechten Seite und Daniel Ricciardo links durchgerutscht.
Danach war der Weltmeister auf Angriff gepolt. Doch in Imola musste man schon zwei Sekunden schneller sein, um den Vordermann tatsächlich zu überholen. Red Bull war aber ein gleichwertiger Gegner. "Ich habe mir hinter Max die Vorderreifen kaputtgefahren. Ich musste Abstand nehmen, um sie wieder zu kühlen."
Von da an lauerte Hamilton auf eine günstige Gelegenheit. Red Bull spielte ihm unfreiwillig die Trumpfkarte zu. Der WM-Zweite holte seine Speerspitze zum Reifenwechsel in Runde 18. "Von diesem frühen Zeitpunkt war ich überrascht", berichtete Hamilton. Red Bulls Schachzug zwang Mercedes ebenfalls einen Boxenstopp auf. Die Strategen wollten Bottas gegen Verstappen schützen. Red Bulls Undercut misslang um 1,1 Sekunden. Eine Runde mehr, und Verstappen wäre am Auto mit der Startnummer 77 vorbei gewesen.
Red Bull lockt Bottas an Box
Mercedes musste reagieren. Auf abgekauten Mediumreifen war Bottas nicht schnell genug, um den Red Bull im Fernkampf abzuwehren. "Anfangs haben die Reifen seine Probleme mit dem Auto kaschiert. Je länger der Stint, desto mehr Haftung hat sein Auto verloren", berichtet Teamchef Toto Wolff. Der Mercedes war einfach zu stark verwundet.
Schon in der zweiten Runde hatte Bottas einen Teil der rechten Frontflügelendplatte von Sebastian Vettels Ferrari aufgegabelt. "Ich wurde vom Team informiert, dass etwas auf der Strecke liegt. Es gab aber keine gelben Flaggen. Als ich die Teile in Tosa sah, hatte ich nur noch eine Wahl. Wie soll ich sie treffen? Ich wollte mir die Reifen nicht aufschlitzen. Deshalb bin ich mittig drübergefahren." Die Endplatte verfing sich zwischen Unterboden und Bargeboard und kostete massiv Anpressdruck. Erst beim zweiten Boxenstopp konnte sie unter dem Auto herausgezogen werden.
Bottas nahm denjenigen den Wind aus den Segeln, die eine Benachteiligung des Finnen bei der Strategie witterten. "In der Strategiesitzung haben wir den Fall besprochen, falls einer von uns hinter Verstappen fällt. Wäre ich an Stelle von Lewis gewesen, wäre ich auch länger gefahren. Es war sein Glück, dass ich von Verstappen in die Box gezogen wurde. Ich war wegen der Beschädigung aber ohnehin nicht schnell genug."
Ferrari den Rekord abgenommen
Das virtuelle Safety Car in der 30. Rennrunde spielte Hamilton den letzten Joker zu. Er war gerade auf die Hinterbänkler aufgelaufen und konnte so beim Boxenstopp Zeit sparen. Der WM-Führende wäre wohl auch so vor Bottas zurück auf die Strecke gelangt. Doch es wäre enger geworden. Trotzdem: Hamilton hätte das Rennen gewonnen. Mit frischeren Reifen und einem intakten Auto hätte er wie Verstappen den Team.ollegen auf der Strecke überholt.
Der elfte Saisonsieg von Mercedes wurde mit dem vorzeitigen Titel in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft garniert. Zum siebten Mal in Serie räumte ihn Mercedes ab. Ferrari schaffte dieses Kunststück zwischen 1999 und 2004 ein Mal weniger. Hamilton lobte seine Mannschaft. "Diese Erfolge sind fast besser als Fahrertitel. Es ist die Belohnung für die unbekannten Helden in Brackley und Brixworth, die ihr Leben opfern, um ein Auto zu bauen. Sie heben die Messlatte jedes Jahr noch ein bisschen höher an."
Es ist eines der Erfolgsgeheimnisse dieses Team., dass es nie satt wird. Ingenieure, Mechaniker, Fahrer und Team.ührung streben gemeinsam nach Verbesserungen. Regeländerungen wie 2017 mit den breiteren Autos und Reifen oder die vereinfachten Frontflügel für 2019 sorgen für neue Motivation. Mercedes findet auf alles eine Antwort – und hat die besten Ideen, wie das DAS-Lenksystem in dieser Saison beweist.
Ein Leben nach der Formel 1./strong>
Vor diesem Hintergrund sollte die Vertragsverlängerung des wichtigsten Angestellten, Hamilton, und von Team.oss Wolff doch nur eine Formsache sein. Der Zusammenhalt ist eine weitere große Stärke der Weltmeister. Kaum ein leitender Ingenieur hat das Team in den letzten Jahren verlassen. Und wenn es mal der Fall war wie bei Paddy Lowe, wurde adäquat nachbesetzt. Wie mit Technikchef James Allison. Der Abgang von Chefdesigner Aldo Costa (Ruhestand) wurde aus den eigenen Reihen abgefangen.
Noch haben Hamilton und Wolff nicht über eine Vertragsverlängerung über 2020 hinaus verhandelt. Offiziell, weil man zunächst beide Weltmeisterschaften unter Dach und Fach bringen will. Teil eins ist erfüllt. In Istanbul könnte Hamilton nachziehen. Dann hätte man endlich mehr Luft und Zeit, um im dichtgedrängten Corona-Notkalender vernünftig zu verhandeln.
Die Noch-Nicht-Verlängerungen führt immer wieder zu Fragen der Presse. Nach seinem Sieg in Imola stiftete Hamilton Unruhe mit seiner Antwort auf die Frage nach 2021. Erst sagte der Titelverteidiger auf Teamchef Wolff angesprochen. "Ich weiß noch nicht einmal selbst, ob ich weitermache. Toto ist der beste Teamchef der Formel 1. Aber nicht eine Person ist für unseren Erfolg verantwortlich, sondern alle."
Mit einer weiteren Aussage scheuchte Hamilton vor allem die britische Presse auf. "Es ist schon November, und Weihnachten steht vor der Tür. Es fühlt sich seltsam an. Ich hätte noch die Kraft, um ein paar Monate länger in dieser Saison zu fahren. Ich wäre gerne weiter in der Formel 1. Darauf besteht aber keine Garantie. Es gibt auch Bereiche außerhalb, die mein Interesse wecken und etwas für das Leben nach der Formel 1 sind." Da wittert manch einer bereits die große Sensation.
Wolff kurz vor Unterschrift
Der Teamchef relativiert die Aussagen. "Ich denke nicht, dass Lewis 2021 nicht dabei ist. Wenn doch wäre es aber ein aufgeheizter Fahrermarkt. Im Moment sind wir einfach alle glücklich über den Titel, gleichzeitig aber auch müde. Die Saison zerrt. Wenn man dann noch den Fernseher anschaltet, und all das Leid sieht, lässt einen das nachdenken. Das geht an keinem spurlos vorbei. Aber die Reise von Lewis und mir mit dem Team ist noch nicht vorbei. Sobald er wieder Weltmeister ist, sitzen wir zusammen."
Man könnte Hamilton. Verhalten auch als plumpen Versuch werten, sich in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen. In der ersten Phase der Corona-Krise musste auch dem Weltmeister klar sein, dass Mercedes ihm nicht noch mehr Gehalt geben kann, wenn gleichzeitig schmerzhafte Sparmaßnahmen im Konzern eingeleitet und tausende Arbeitsplätze abgebaut werden. Zwar erfasst die Welt die zweite Corona-Welle, doch die Autokonzerne haben sich in der Zwischenzeit erholt. Das dritte Quartal war ein gutes für die Finanzen.
Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Hamilton nicht verlängert. Offenbar haben er und Wolff auch Spaß daran, alle an der Nase herumzuführen. "Wer weiß. Niki ist eines Tages aufgewacht und hatte keine Lust mehr. Dann hat er das Handtuch geschmissen", sagt der Österreicher, der sich auf Laudas plötzlichen Rücktritt in Montreal 1979 bezieht.
Er selbst sei kurz vor der Unterschrift. "Wir sind uns praktisch einig. Es muss nur noch der passende Moment gefunden werden, um den Vertrag zu besiegeln", sagt Wolff. "Der große Boss und ich sind auf einer Wellenlänge." Gemeint ist Daimler-Chef Ola Källenius. Natürlich hat auch Wolff in den letzten Monaten um seine Verhandlungsposition gefeilscht. Er selbst hält 30 Prozent der Anteile am Team. Wer weiß, ob nicht um mehr gefeilt wird, oder um eine vorzeitige Vergoldung der Anteile.
Noch ist unklar, ob Wolff alleiniger Teamchef bleibt oder ob er seine Rolle innerhalb des Rennstalls verändert. Amtsmüde ist der Wiener nicht. Daran hat auch die Corona-Krise ihren Anteil. "Ich weiß, dass dieser Job ein Verfallsdatum hat. Du reist pausenlos an Rennstrecken und bist von montags bis freitags ansonsten im Büro. Ich will nicht einfach herumhängen, sondern brauche Energie, um das Team voranzutreiben. Ich fühle mich nach dem ersten Lockdown und durch die letzten Monate stark verjüngt. Plötzlich liebe ich es auch wieder, zu den Rennen zu fahren."
Den Staffelstab will Wolff noch nicht aus der Hand geben. "Ich kann mir eine ähnliche Rolle wie Niki damals bei uns vorstellen. Aber in einer ausführenden Position. Irgendwann in den nächsten Jahren werde ich nicht mehr Teamchef sein. Dafür muss ich einen Nachfolger aufbauen. Wer das sein soll, ist noch nicht festgelegt." Technikchef Allison oder Strategie-Guru James Vowles wären Kandidaten. Hamilton macht sich keine Sorgen. "Toto wird den richtigen finden." Ein starkes Zeichen, dass auch er bleibt. Es sind ja noch mehr Titel zu holen mit diesem Team.