Keine Token für McLaren
Die Token-Regelung bei der Homologation von Entwicklungsteilen sorgt für Ärger. McLaren kann wegen des Motorwechsels 2021 gar keine Token mehr nehmen. Kundenteams können sich dagegen zwei sparen.
Da hat sich die Formel 1 selbst ein Ei gelegt. Die FIA machte es wie die Politik: Sie spannte einen großen Rettungsschirm, damit alle Teams die Corona-Krise überleben. Zu den vielen Sparmaßnahmen zählt auch die Homologation von Teilen bis Ende 2021.
Insgesamt wird das Auto in 77 Bereiche eingeteilt, von denen 40 der Homologation unterliegen. Standardkomponenten wie die seitliche Crashstruktur oder die Aerodynamik sind von dieser Regelung ausgenommen.
Jedes Team hat individuell zwei Token frei. An diesen Teilen darf weiter entwickelt werden. Das kann ein großes sein wie das Getriebe oder zwei kleine wie die Reifendrucksensoren oder der Hilfs-Öltank. Die Token-Liste ist im Technischen Reglement 2020 in Artikel 22 auf den Seiten 100 bis 102 aufgeführt.
Die gut gemeinte Regel könnte jedoch zum Bumerang werden. Weil sie das Feld in drei Klassen teilt. Mercedes, Ferrari, Red Bull, Renault und Williams können sich wie von den Regularien vorgesehen zwei Token aussuchen. McLaren, Haas und möglicherweise Alfa Romeo haben ihre Token schon verspielt.
Racing Point und Alpha Tauri sind die Profiteure. Sie bekommen zwei Token geschenkt. Das ist so nicht gewollt, sondern die Quittung für ein zu komplexes Reglement und eine Formel 1, die sich immer mehr in unterschiedliche Kategorien von Teams aufsplittet.
Ferrari-Kunden müssen Ferrari-Token nehmen
Mercedes, Ferrari, Red Bull, Renault, McLaren und Williams verfolgen weiter eisern den klassischen Ansatz. Sie machen alles selbst. Eingekauft wird höchstens der Motor. McLaren wird 2021 zum Spezialfall, weil der Rennstall den Motorhersteller wechselt.
Von Renault zu Mercedes. Racing Point, Alpha Tauri, Haas und Alfa Romeo könnte man weitestgehend als Kundenteams bezeichnen. Sie beziehen über den Motor hinaus Teile von ihren Partner-Rennställen.
Diese Gruppe teilt sich noch einmal auf. Während sich Racing Point und demnächst Alpha Tauri an den Vorjahresautos von Mercedes respektive Red Bull bedienen, kaufen Haas und Alfa Romeo bei Ferrari aktuelle Teile ein. Haas praktisch alles was erlaubt ist, Alfa Romeo das Getriebe und die Hinterradaufhängung.
Diese unterschiedlichen Ansätze schaffen bei der Homologation Schlupflöcher oder Ungerechtigkeiten. Der Motorwechsel zwingt McLaren dazu, alle Token für die Installation zu verwenden. Die Antriebseinheit von Mercedes verlangt Anpassungen beim Getriebe, der Hinterradaufhängung dem Kühlsystem.
McLaren muss der FIA nachweisen, dass sämtliche Änderungen ausschließlich der Integration des Mercedes V6-Turbos dienen und nicht nebenbei noch einen Wettbewerbsvorteil abwerfen. "Die Integration läuft unter strenger Überwachung der FIA, und die stellt sicher, dass wir in der Peripherie nicht mehr anfassen als erlaubt. Das ist der Kompromiss, den wir eingehen mussten. Für uns war die Absenkung der Budgetdeckelung wichtig. Also mussten wir anderswo Zugeständnisse machen", erklärt Teamchef Andreas Seidl.
Auch den Ferrari-Kunden sind gewissermaßen die Hände gebunden. Wenn Ferrari für 2021 für Komponenten Token investiert, die auf der Einkaufsliste von Haas und Alfa Romeo stehen, dann gelten diese Token auch für die Kunden.
Da sich Ferrari das Getriebe als Ausnahme reserviert haben soll, können ihre Satellitenteams für 2021 nicht einmal mehr die Boxenstopp-Ausrüstung anfassen, die als letzter Punkt auf der Homologationsliste steht. Hier heißt es: Mitgefangen, mitgehangen.
McLaren fürchtet eine Wettbewerbsverzerrung
Racing Point umgeht diese Regelung elegant. Der Rennstall aus Silverstone kopiert das Vorjahresauto von Mercedes. Das trifft auch auf die Teile zu, die in Brackley eingekauft werden. Dazu zählen das Getriebe und die beiden Aufhängungen. In der kommenden Saison werden sich die Racing Point-Ingenieure dann am 2020er Mercedes W11 orientieren.
Das allein schreckt die Konkurrenz, weil das Original derzeit in einer anderen Liga fährt. Racing Point geht deshalb anders als Haas und Alfa Romeo auf einer Einkaufsliste shoppen, die von der Homologation gar nicht betroffen ist. Mercedes hat weder für das 2020er Getriebe noch für die 2020er Aufhängungen Token verwendet. Red Bull droht bereits, mit Alpha Tauri im nächsten Jahr das gleiche Modell anzuwenden.
Die Konkurrenz läuft jetzt Sturm gegen die unterschiedliche Behandlung. Andreas Seidl sieht in dem System, wie es jetzt ist, eine Wettbewerbsverzerrung: "Wir finden es nicht gut, dass Kundenteams den Freifahrtschein bekommen, das Getriebe und die Aufhängung von 2019 auf 2020 aufzurüsten ohne dafür Token verwenden zu müssen. Wir haben von Anfang an die FIA darauf hingewiesen, dass das ein Problem werden kann. Uns wurde versprochen, dass dies alles in einem überschaubaren Bereich stattfinden wird."
Das Problem wurde aber offenbar unterschätzt. Auch von McLaren selbst, wie Seidl zugibt. "Erst jetzt bei der Definition der Details wird deutlich, welches Schlupfloch sich da auftut. Im Vergleich zu unserer Situation ist das nicht fair. Unser Motorwechsel war schon vor der Krise vertraglich festgestanden. Genauso wie Racing Point jetzt sagt, es sei immer so geplant gewesen, das Vorjahresgetriebe und die Vorjahresaufhängung von Mercedes zu nehmen. Darüber diskutieren wir im Moment mit der FIA. Auch Renault und Ferrari sind nicht glücklich mit dieser Lösung."
Würde der Verband auf eine Gleichbehandlung aller Kundenteams umschwenken, hätten Racing Point und Alpha Tauri ein Problem. Sie müssten entweder akzeptieren, dass die Übernahme des Getriebes und der Aufhängungen der 2020er Autos ähnlich wie im Fall McLaren alle Token aufbraucht, oder sie müssten die entsprechenden Komponenten auf dem Stand von 2019 auch 2021 verwenden. Dann würde es ihnen aber schwer fallen, die 2020er Autos als Basis zu nehmen, weil das eine mit dem anderen unter Umständen nicht zusammenpasst.