Mercedes unter Druck
Mercedes führt das Trainingsklassement an, doch nicht so klar wie erwartet. Max Verstappen hält die Silberpfeile in Atem. Was die Rundenzeiten am ersten Mugello-Tag wirklich wert sind, erklären wir in unserer Longrun-Analyse.
Von der Papierform sollte Mugello Mercedes-Land sein. Von den Rundenzeiten her haben die Silberpfeile aber einen echten Gegner. Max Verstappen heizte in beiden Trainingssitzungen den Silberpfeil-Piloten ordentlich ein. Auch wenn sein Rückstand auf den Tagesbesten Valtteri Bottas von der ersten Sitzung auf die zweite von 0,048 auf 0,246 Sekunden anwuchs, ist das für den Favoriten noch kein Ruhepolster. Der Holländer hat die Mercedes immerhin noch in Sichtweite. Die Longruns unterstreichen: Mit dem einen Red Bull ist auch im Rennen zu rechnen. Alexander Albon fährt dagegen nur im Mittelfeld.
Es gab noch eine Überraschung. Die Reifen scheinen den hohen Belastungen auf der Strecke standzuhalten. Die Fahrer fuhren bis zu 15 Runden-Stints auf den Soft-Reifen mit ordentlichen Rundenzeiten. Dabei sind die Fliehkräfte und Geschwindigkeiten in den schnellen Kurven wirklich atemberaubend. Mercedes war in der ersten Arrabiata-Kurve 284 km/h schnell, in der zweiten 275 km/h. In der Sequenz von Kurve 6 bis 9 ging Bottas nur in Kurve 6 kurz vom Gas. Wirklich langsame Kurven gibt es nicht auf diesem Kurs.
Die Dauerläufe korrespondierten diesmal nicht ganz mit den schnellsten Runden. Auf den Soft-Reifen entsprachen die Distanzläufe noch ungefähr dem Trainingsergebnis, doch auf den härteren Mischungen gab es dann doch einige Überraschungen. So legte Lance Stroll den schnellsten Medium-Longrun vor Valtteri Bottas, Racing Point-Teamkollege Sergio Perez und Max Verstappen auf die Bahn.
Da alle vier ihre Dauerläufe auf Pirellis mittlerer Mischung am Ende fuhren, sollte eigentlich auch der Tankinhalt und damit das Gewicht ähnlich gewesen sein. Ähnliches ließ sich auf den harten Reifen beobachten. Daniel Ricciardo war über neun Runden auf den harten Gummis im Schnitt nur ein Zehntel langsamer als Lewis Hamilton über zehn Runden.
Sechs Dinge, die Sie zum Trainingsfreitag wissen müssen:
Warum brauchte Mercedes so lange um auf Speed zu kommen?
Es war nicht von der ersten Minute an das befürchtete Mercedes-Festival. Valtteri Bottas stellte zwar am Vormittag die erste Bestzeit auf, aber nur 48 Tausendstel vor Max Verstappen. Lewis Hamilton kam nur auf die viertschnellste Zeit. Die Top-Speeds verrieten, dass Mercedes mit mehr Abtrieb in das Mugello-Abenteuer gegangen war als Red Bull. Bottas fehlten am Ende der Zielgerade 9,4 km/h auf Verstappen, Hamilton sogar 12,1 km/h. Mercedes nahm trotzdem nicht Anpressdruck zurück. Reifen schonen hatte oberstes Gebot.
Bottas verlor im direkten Vergleich zu Verstappen weiter drei Zehntel auf den Geraden, war aber in allen mittelschnellen Kurven besser als der Red Bull. Vor allem in den schnellen Richtungswechseln in den Kurven 2/3, 4/5 und 10/11. Der neue Frontflügel scheint Wirkung zu zeigen. In den Vollgaskurven lagen der Mercedes und der Red Bull auf einem Niveau.
Die Doppelführung von Bottas und Hamilton kam einem vertraut vor, aber sie war nicht so deutlich ausgefallen wie man anhand des Streckenlayouts vermutet hatte. Verstappen liegt mit 0,246 Sekunden Rückstand auf Bottas auf Sichtweite.
Zum Rest im Feld passen die Abstände wieder. Sie liegen auf einer Runde über einer Sekunde. Die Fahrer tasteten sich langsam an das Limit heran. Bottas klagte im ersten Training über starkes Untersteuern, was sich am Nachmittag aber verbesserte. Hamilton sucht noch Zeit in den Sektoren 1 und 2, stellte im letzten Streckenabschnitt aber die Bestzeit auf.
Die Ingenieure zeigten sich überrascht, dass die Reifen den Kräften so gut standhielten. Ein zweites Silverstone ist nach heutigem Stand nicht zu befürchten. Vielleicht liegt es daran, dass die Reifen im Gegensatz zu Silverstone nicht so einseitig belastet sind. Rechts- und Linkskurven wechseln sich regelmäßig ab. Hamilton warnt aber: "In den schnellen Kurven 6, 7, 8 und 9 ist es fast unmöglich, die Reifen zu managen." Vollgas ist eben Vollgas.
Ist Verstappen eine echte Gefahr für Mercedes?
Nach Stand Freitag auf jeden Fall. Max Verstappen ist sowohl auf eine Runde schnell als auch auf die Distanz. Auf den Soft-Reifen verlor der Holländer im Longrun im Schnitt zwei Zehntel auf Hamilton. Der Medium-Dauerlauf war sogar nur um wenige Tausendstel langsamer als der von Bottas. Da glänzten aber auch die Racing Point-Piloten.
Verstappen notierte zufrieden: "Wir hatten von Beginn an eine gute Balance, und es ist ein guter Start ins Wochenende so nah an den Mercedes dran zu sein." Mercedes betrachtet den WM-Dritten als ernsthaften Gegner. Vor allem auch, weil der Red Bull in den schnellen Kurven etwas schonender mit den Reifen umgeht.
Aber Red Bull ist wie immer ein Einmann-Team. Verstappen fährt den RB16 in einer anderen Liga. Alexander Albons Leistung in Monza, als er den Rückstand auf seinen Teamkollegen auf drei Zehntel verkürzte, war offenbar eine Eintagsfliege. Diesmal verlor der Thailänder 0,736 Sekunden auf die Nummer eins im Stall.
Wird Mugello zur nächsten Pleite für Ferrari?
Auf dem Papier sieht es etwas besser aus. Charles Leclerc und Sebastian Vettel landeten in ihren schnellsten Rennrunden auf den Plätzen 10 und 12. Also etwa Spielberg-Niveau. Was Ferrari zu denken geben sollte ist die Zeit von Kimi Räikkönen. Er lag vor den roten Autos. Wie schon in Spa und Monza.
Der Ferrari SF1000 ist weiter schwer zu fahren. Beide Ferrari-Fahrer drehten sich in Kurve 12. Und auch die Zuverlässigkeitsprobleme sind noch nicht ganz ausgeräumt. Vettel blieb kurz vor Schluss des zweiten Trainings mit einem Elektrikdefekt stehen. Offenbar ein Kurzschluss.
Beide Fahrer klagten über eine kritische Balance. "Ich bin noch nicht happy mit meinem Auto und muss an der Balance arbeiten, was auf dieser Strecke besonders schwierig ist. Da gibt es noch viel Raum zur Verbesserung", klagte Vettel.
Für den Deutschen lief es am Nachmittag besser als am Morgen. Er konnte den Rückstand auf Leclerc von 1,1 Sekunden auf ein knappes Zehntel verkürzen. Der letzte Platz bei den Longruns auf den Medium-Reifen ist allerdings trügerisch. Vettel fuhr Pirellis mittlere Gummimischung gleich am Anfang mit vollen Tanks, die meisten anderen am Ende mit weniger Gewicht.
Im direkten Vergleich mit Nicholas Latifi schmeichelt der Dauerlauf einem Ferrari trotzdem nicht, auch wenn der Williams auf seinem Reifensatz nur halb so lange unterwegs war. Eines lässt sich jetzt schon sagen: Das Mittelfeld ist für Ferrari auch in Mugello nicht erreichbar.
Warum ist Renault so stark und McLaren so schwach?
Renault ist wie in Spa im Moment die dritte Kraft im Team. Die Ingenieure fanden wie beim GP Belgien von Anfang an einen guten Kompromiss zwischen Top-Speed und Abtrieb. Daniel Ricciardo lobte: "Das Auto fühlt sich mit viel und wenig Sprit im Tank gut an. Ich konnte mit vollen Tanks die Arrabiata-Kurven sogar fast voll fahren."
Auch bei Racing Point macht man sich Hoffnungen. Auf den Medium-Reifen konnten Lance Stroll und Sergio Perez sogar mit den Mercedes und Red Bull mithalten. Die Plätze 7 und 11 in der Bestenliste erklärt Perez so: "Wir haben uns heute hauptsächlich auf die Rennvorbereitung konzentriert. Auf eine Runde kommt noch etwas von uns."
Kleiner Wermutstropfen für Perez. Er verliert eine Startposition. Die Sportkommissare gaben ihm die Schuld für die Kollision mit Kimi Räikkönen in der ersten Kurve. Er war von seinem Team gewarnt worden, hat aber nicht genug aufgepasst.
McLaren dagegen landete sogar hinter den Ferrari. Carlos Sainz und Lando Norris fehlt noch das Vertrauen in das Heck des Autos, speziell in den schnellen Richtungswechseln. Genau dort hat es Norris erwischt. Der Engländer streifte ausgangs Kurve 3 das Kiesbett und flog in die Mauer. Damit fiel er für die Longruns aus.
Das Mittelfeld bekommt in Mugello einen neuen Gast. Kimi Räikkönen deutete nicht nur mit der neuntschnellsten Tageszeit an, dass ihm die Strecke liegt. Auch seine Rennsimulationen des Alfa Romeo-Piloten auf den weichen und den harten Reifen können sich sehen lassen. Der Finne liegt mitten im Pulk der Punkteanwärter.
Halten die Reifen?
Pirelli war selbst ein bisschen überrascht. Die Reifen haben den Härtetest in Mugello besser überstanden als erwartet. Es gab keinerlei Klagen über Blasen oder zu starken Gripverlust über die Distanz. Selbst der Soft-Reifen sieht im Moment noch wie ein ordentlicher Rennreifen aus.
Pirelli-Sportchef Mario Isola bleibt trotzdem vorsichtig: "Die entscheidende Größe ist hier der Verschleiß der Vorderreifen. Der bestimmt am Sonntag die Strategie. Leider haben wir heute nicht alle Antworten bekommen, die wir uns erhofft hatten."
Schuld waren zwei rote Flaggen wegen des Unfalls von Lando Norris und einer Kollision zwischen Sergio Perez und Kimi Räikkönen. Sie verkürzten die Rennsimulationen und lassen deshalb keine definitiven Aussagen über die Reifen auf längeren Distanzen zu. Erfahrungen aus der Vergangenheit gibt es natürlich auch nicht.
Die Simulationen von Pirelli deuteten auf ein Zweistopp-Rennen hin, doch Isola ist nicht mehr so sicher, ob sich die Teams an die Empfehlungen halten werden. "Es wird sehr schwer sein zu überholen. Deshalb werden viele Teams versuchen, sich einen Stopp zu ersparen, um nicht zu viel Zeit in der Box zu verlieren und gezwungen zu sein, andere Autos zu überholen. Wenn der Verschleiß am Sonntag steigen sollte, könnten sie aber gezwungen sein, einen zweiten Stopp einzulegen. Das heißt für die Strategen, dass sie im Rennen flexibel sein müssen." Das Reifenproblem könnte sich vor allem im Pulk vergrößern. Da wird die Vorderachse an Abtrieb einbüßen, was automatisch den Verschleiß der Vorderreifen hochtreibt.
Interessant dürfte auch die Strategie im Q2 werden. Der Unterschied zwischen den Soft-Reifen und den Medium-Gummis ist mit neun Zehntelsekunden höher als von Pirelli vorausberechnet. Da könnte es vielleicht auch für die Mercedes-Piloten und Verstappen zu riskant sein, mit Medium-Reifen durch das Q2 zu kommen. Der erste Versuch muss auf jeden Fall klappen. Vettel bestätigt: "Die Strecke ist brutal für die Reifen. Nach der ersten schnellen Runde fühlen sie sich ganz anders an."
Was sagen die Fahrer zu Mugello?
Mugello zeigte noch nicht seine Zähne. Ein einziger Dreher im ersten Training, vier Abflüge am Nachmittag sind nicht viel für eine Strecke, die den meisten Piloten neu war und die uns als fahrerisch schwierigste Aufgabe des Jahres angepriesen wurde.
Die Aussagen der Fahrer waren fast deckungsgleich: "Es macht unglaublich Spaß, diese Strecke zu fahren. Vor allem die Vollgas-Kurven sind atemberaubend. Es ist eine Strecke, die nicht den geringsten Fehler erlaubt", sprach Sergio Perez für alle.
Lewis Hamilton machte eine Liebeserklärung an Mugello: "Das ist eine wirklich intensive Erfahrung. So schnell, so herausfordernd. Ich liebe es. Das ist keine Strecke um herumzuspielen. Es ist körperlich eine der anstrengendsten Plätze seit langem." Überholen wird wie befürchtet eine Herkulesaufgabe. Antonio Giovinazzi berichtet: "Wir konnten heute schon sehen, dass es schwierig ist anderen Autos durch die schnellen Kurven zu folgen."