Flügel-Ärger in Baku?
In Baku geht das heiße Titel-Duell zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton in die sechste Runde. Nach dem langsamen Stadtkurs von Monaco sind nun spektakuläre Windschatten-Schlachten bei Top-Speed angesagt. In der Vorschau haben wir die letzten Infos zum GP Aserbaidschan.
Der Klassiker in Monte Carlo war nicht der ganz große Kracher, was Spektakel und Spannung anging. Doch das sollte die Fans nicht davon abhalten, am kommenden Wochenende erneut den Fernseher einzuschalten, wenn die Piloten beim Grand Prix von Aserbaidschan ihre Runden drehen. Das Rennen in Baku besitzt quasi eine eingebaute Action-Garantie. Auf den öffentlichen Straßen am Rande des Kaspischen Meeres geht es immer drunter und drüber.
Nach Monaco erwartet die Piloten dabei schon wieder ein Stadtkurs. Das ist aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit der beiden Strecken. Das Asphaltband in Baku ist an den meisten Stellen deutlich breiter. Die Kurven sind deutlich schneller. Und mit der knapp zwei Kilometer langen Gerade gibt es eine der längsten Vollgaspassagen des ganzen Kalenders. Um den Luftwiderstand zu senken und den Top-Speed zu erhöhen müssen die Ingenieure deutlich flachere Flügel aus dem Regal holen.
Apropos Flügel: Schon in den letzten Rennen gab es jede Menge Diskussionen über die hinteren Leitwerke, die sich an einigen Autos bei hohen Geschwindigkeiten zu stark verbogen haben. Die FIA reagierte mit der Ankündigung strengerer Tests, die aber erst beim übernächsten Rennen in Le Castellet angewendet werden. Doch Mercedes-Teamchef Toto Wolff deutete bereits in Monaco an, dass man im Zweifel auch schon in Baku die FIA-Stewards anrufen könnte, wenn es die Konkurrenz zu bunt treibt.
Ob das nur zum üblichen Säbelrasseln gehört oder ob es in Aserbaidschan tatsächlich zum Protest kommt, werden wir erst am Wochenende wissen. Klar ist, dass bei der aktuellen Ausgangslage keiner etwas zu verschenken hat. Red Bull führt die WM nach dem Monaco.Sieg von Verstappen mit nur einem Punkt Vorsprung vor Mercedes an. Die beiden Titel-Rivalen sind dem Rest des Feldes bereits weit enteilt. Eigentlich müssten die beiden Top-Teams schon über das Thema Stallregie nachdenken.
Die Strecke: Baku City Circuit
Der Baku City Circuit ist mit einer Rundendistanz von 6,003 Kilometern die drittlängste Strecke im Kalender. Nur Spa-Francorchamps und der neue Kurs in Saudi Arabien haben noch ein paar Meter mehr zu bieten. Vom Layout her könnte Aserbaidschan abwechslungsreicher nicht sein. Die nicht enden wollende Gerade vor Kurve 1 ist mit 1.975 Metern die längste des Jahres. Dazu gibt es einen winkligen Abschnitt durch die Altstadt von Baku. Hier ist das Asphaltband zum Teil nur 7,5 Meter breit. Auch das ist ein Rekord.
Der Stadtkurs in der Zwei-Millionen-Metropole liegt 28 Meter unter dem Meeresspiegel. Wer nun denkt, dass es an der Küste des kaspischen Meeres nur flach daher geht, der irrt. Die größte Steigung beträgt 12 Prozent. Runter geht es mit bis zu 9 Prozent. Die 20 Kurven werden gegen den Uhrzeigersinn durchfahren. Wie bei Stadtkursen üblich sind Auslaufzonen Mangelware. Mauern und Fangzäune stehen stets nahe der Ideallinie. Bei Top-Speeds von über 330 km/h keine ungefährliche Angelegenheit. Baku ist der schnellste Stadtkurs aller Zeiten.
Fast Facts:
- Streckenlänge: 6,003 km
- Runden: 51
- Renndistanz: 306,049 km
- Länge Boxengasse: 390 Meter
- Zeitverlust: ca. 23,4 Sekunden
- Längste Gerade: 1.975 Meter (T16 – T1)
- Top-Speed: 331 km/h
- DRS-Zonen: 2 (vor T1 und T3)
- Distanz von Pole Position bis Bremspunkt T1: 137,8 Meter
- Spritverbrauch: hoch
- Bremsenverschleiß: mittel
- Reifen: C3 – C4 – C5
- Safety-Car-Wahrscheinlichkeit: 50 Prozent
Setup:
Wegen der langen Geraden wird in Sachen Abtrieb spürbar zurückgerüstet. Ganz flache Flügel sind aber auch nicht der richtige Weg. Der Zeitverlust im engen, kurvigen Teil wäre einfach zu hoch. Dazu hilft mehr Anpressdruck auch dabei, die Reifen im richtigen Arbeitsfenster zu halten. Die Ingenieure müssen also schon im Training versuchen, einen guten Kompromiss zwischen Abtrieb und Top-Speed zu finden.
Vorne dürfen die Flügel ebenfalls nicht zu flach gestellt werden. In den eckigen Kurven droht Untersteuern, wenn nicht genügend Grip beim Einlenken vorhanden ist. Generell müssen die Piloten in Baku immer mit begrenzter Haftung kämpfen. Der Asphalt wird in einigen Abschnitten jedes Jahr neu verlegt und ist deshalb rutschiger als auf permanenten Kursen.
Das wirkt sich auch auf den Reifenverschleiß aus, der sich trotz Hitze und hohen Geschwindigkeiten zumeist in Grenzen hält. Im Vergleich zum letzten Formel-1-Gastspiel in Baku um Jahr 2019 geht Pirelli bei den Reifensorten eine Stufe tiefer. Mit den Mischungen C3, C4 und C5 kommen wie schon in Monaco die drei weichsten Slicks zum Einsatz. Bei Temperaturen um die 25°C-Marke darf man gespannt sein, ob die Maßnahme die Teams mehr als ein Mal an die Boxen zwingt.
Upgrades:
Wie bereits erwähnt werden in Baku etwas kleinere Heckflügel angeschraubt als in den ersten fünf Rennen des Jahres. Hier erwarten wir vor allem bei den größeren Teams komplett neu entwickelte Modelle. Weil Abtrieb in Baku nicht so wichtig ist und sich die Erprobung neuer Teile auf dem rutschigen Asphalt schwierig gestaltet, gehen wir in Baku ansonsten nicht von einem Technik-Feuerwerk aus. Die Ingenieure nutzen die begrenzte Trainingszeit lieber für die Setup-Arbeit. Auf einer permanenten Rennstrecke wie Le Castellet sollte es dann wieder mehr neue Teile zu entdecken geben.
Favoriten:
In Monaco schlug das Pendel relativ klar in Richtung Red Bull aus. In Baku dürfte Mercedes nun wieder deutlich konkurrenzfähiger sein. Der schwarz lackierte Silberpfeil ist immer dann stark, wenn Allrounder-Qualitäten gefragt sind. Die gute aerodynamische Effizienz sorgt für viel Anpressdruck bei verhältnismäßig wenig Luftwiderstand. Bei den kleinen Unterschieden, die wir in den ersten Rennen gesehen haben, kommt es am Ende wohl wieder darauf an, wer für das Rennen das bessere Setup findet und die Reifen konstanter im Arbeitsfenster hält.
Auch im Mittelfeld erwarten wir ein anderes Bild als in Monaco. Ferrari hatte das Verfolger-Duell gegen McLaren im Fürstentum noch klar für sich entschieden. In Baku dürften Lando Norris und Daniel Ricciardo dank des guten Top-Speeds der Papaya-Rakete wieder stark zurückschlagen. Norris könnte in seiner aktuellen Top-Form vielleicht sogar Mercedes und Red Bull in Bedrängnis bringen, wenn bei ihm alles perfekt läuft.
Ferrari muss wegen des PS-Defizits wohl eher in den Rückspiegel schauen. Alpha-Tauri-Pilot Pierre Gasly sehen wir als den ersten Gegner der Scuderia. Aber auch die zuletzt stark verbesserten Renner von Aston Martin muss man auf der Rechnung haben, wenn es um die Vergabe der Punkte geht. Ein Fragezeichen schwebt über Alpine. Die Formkurve der blauen Rennwagen gleicht dieses Jahr einer Achterbahn.
Weil Abtrieb keine große Rolle spielt, darf man auch Williams und Alfa Romeo nicht ganz abschreiben. Die ersten vier Rennen auf dem verrückten Stadtkurs in Baku haben schon einige Überraschungen hervorgebracht. Wenn aber auch die beiden Haas-Piloten erste Punkte sammeln wollen, müsste es schon ganz verrückt zugehen.
So lief das letzte Rennen – Aserbaidschan 2019
Im vergangenen Jahr fiel das Baku.Rennen wegen der Corona-Pandemie bekanntlich aus. Beim letzten Auftritt der Königsklasse in Aserbaidschan in der Saison 2019 hatte Mercedes kurzen Prozess gemacht. Der Sieg wurde damals im internen Duell zwischen Valtteri Bottas und Lewis Hamilton ausgefochten. Die Entscheidung fiel schon am Start. Obwohl Hamilton Pole-Setter Bottas in den ersten drei Kurven hart attackierte, musste der spätere Weltmeister zurückstecken und sich am Ende 1,5 Sekunden hinter dem Schwesterauto mit Rang zwei zufrieden geben.
Sebastian Vettel versuchte erfolglos die Silber-Party an der Spitze zu stören. Am Ende blieb dem damaligen Ferrari-Piloten aber nichts anderes übrig, als den dritten Podiumsplatz gegen Max Verstappen abzusichern, was mit einem Vorsprung von 5,7 Sekunden auf dem Zielstrich auch gelang. Bis auf eine kurze virtuelle Safety-Car-Phase nach dem Ausfall von Pierre Gasly blieb das Baku.Rennen 2019 relativ ereignisarm. Offenbar hatten die Chaos-Rennen in den ersten Jahren des Grands Prix zu etwas mehr Vorsicht im Feld geführt.