Optimierung nur im Detail
Der Kostendeckel, beschränkte Windkanalzeiten und neue Regeln für 2022 schränkten die Ingenieure in ihrem Spielraum ein. Deshalb fand die Entwicklung an den 2021er Autos nur an begrenzten Stellen statt. Wir haben Alfa-Romeo-Technikchef Jan Monchaux gefragt, was noch möglich war.
Es gibt sie immer mal wieder, diese Jahre, in denen eine Ära ausläuft und die neue schon ihre Schatten wirft. Wenn sich die Ingenieure entscheiden müssen, wie viel Arbeit sie noch in die aktuellen Autos stecken und wann sie den Absprung auf das neue Projekt terminieren. Der Neustart 2022, den Designer-Legende Adrian Newey als den größten Einschnitt seit 1983 einstuft, verlangt maximale Entwicklungszeit.
Doch da gibt es auch noch das aktuelle Auto, das optimiert werden muss, weil eine kleine, aber doch einschneidende Regeländerung im Bereich des Unterbodens und der Bremsbelüftungen die Strömungsverhältnisse verändert und damit in der Theorie zehn Prozent Abtrieb gekostet hat. Die Budgetdeckelung und die eingeschränkte Windkanalzeit verhindern, dass die Teams zwei Entwicklungsprogramme parallel laufen lassen. Irgendwann muss man sich für die eine oder andere entscheiden.
Windkanalzeit ist ein teures Gut
Windkanalzeit ist mittlerweile ein teures Gut. Die Teams dürfen – verteilt auf sechs Testperioden – den Kanal 400 Stunden im Jahr belegen, allerdings nur 80 Stunden davon bei mehr als 15 m/s Windgeschwindigkeit testen. Den Rest der Zeit läuft die Uhr für die Einrichtung der Testsektion und die Umrüstarbeiten von Modell zu Modell. So standen alle vor der Frage: Wie mache ich das Beste aus dieser Saison, ohne mir für den Neustart und die Jahre danach zu schaden?
Jedes Team hat seine individuelle Antwort für das Problem gefunden. Haas ist das eine Extrem. Die Amerikaner schalteten von Anfang an voll auf das 2022er Auto um. "Was soll ich da 30 Millionen Dollar ausgeben, nur damit ich am Ende der Saison Vorletzter bin? Nach unserem Plan können wir den Sprung ins Mittelfeld nur dann schaffen, wenn wir uns voll auf das neue Auto konzentrieren", erklärt Teamchef Guenther Steiner. Red Bull und McLaren dagegen brachten noch in Spa neue Teile ans Auto. Für den einen geht es um den Titel, für den anderen um den dritten Platz.
Wer es geschickt anstellt, kann immer noch beide Programme im Windkanal laufen lassen. Upgrades an den 2022er Autos betreffen große Flächen und verlangen lange Umbauzeiten im Windkanal. Die aktuelle Aerodynamik ist Detailarbeit. Eine zusätzliche Finne da, ein neuer Slot im Unterboden dort sind auch am Windkanal.odell schnell adaptiert.
Der Trick mit der Parallelentwicklung
Alfa Romeo-Technikchef Jan Monchaux erklärt, mit welchem Kunstgriff man schon am 2022er Auto arbeiten und trotzdem noch das 2021er Modell auf Schmalspur entwickeln kann: "Die Belegzeit im Windkanal ist limitiert. Das ist die Zeit für Umbauten plus die Zeit im Wind. Wer es nicht schafft, alle Versuchsläufe inklusive der Umbauten für das 2022er Modell in der erlaubten Testperiode fertigzukriegen, kann die kleinen Lücken, die in den einzelnen Testsektionen entstehen, mit Tests für das 2021er Auto stopfen und so sicher stellen, dass er in jedem Intervall auf die erlaubte Quote kommt."
So ein Verfahren muss aber vorher genau geplant sein, verrät Monchaux. "Viel hängt davon ab, wie dein Windkanal.odell gebaut ist, wie schnell man es von einer Konfiguration zur anderen umbauen kann, wie flott die Modellbauer sind, und wie man überhaupt seine Teststrategie auslegt."
Die Entwicklung an den 2021er Autos zeigt, dass anders als in den Jahren davor der Bereich der Optimierungsmaßnahmen stark eingeschränkt ist. So sind zum Beispiel in dieser Saison kaum Eingriffe im vorderen Bereich des Autos erkennbar.
"Für eine einzige Saison nimmt keiner die Zeit und das Geld in die Hand, ein neues Frontflügel-Konzept mit dem entsprechenden Leitblech-Arrangement zu entwickeln. Das dauert zwei Monate. Deshalb werden wir die optimale Antwort auf die Regeländerungen nie kennenlernen. Hätten wir eine Standardsaison gehabt, hätten wir den Rückstand bis zur Halbzeit oder zwei Drittel der Saison wettgemacht", glaubt Monchaux.
Der theoretische Verlust von zehn Prozent wurde nach Meinung des Technikchefs von Alfa Romeo fast wieder komplett kompensiert. "Ich gehe von einer Größenordnung von einem Prozent Verlust aus. Das kann von Team zu Team schwanken, weil die einen länger entwickelt haben als die anderen."
Überrascht ist der ehemalige Audi-Ingenieur nicht: "Die Formel 1 ist eine Optimierungsmaschine. Jedes Mal, wenn das Reglement geändert wird, holen wir das normalerweise wieder ein. Es geht schneller als früher, weil alle Teams inzwischen ein viel detaillierteres Verständnis von der Aerodynamik als vor 15 Jahren haben. Das Einzige, was uns bremst, sind die Restriktionen bei Windkanal und CFD."
Frontflügel war tabu
Das Spielfeld der Aerodynamiker konzentrierte sich in diesem Jahr auf die Leitbleche und Vorflügel rund um die Seitenkästen, die Bodenplatte, den Diffusor und die Heckflügel-Endscheiben. Also die Bereiche, die in unmittelbarer Nähe der Komponenten liegen, die das Reglement seit diesem Jahr beschneidet.
Monchaux erklärt: "Der Verlust an Unterbodenfläche vor den Hinterrädern war schwer wieder reinzuholen. Die zwei anderen Änderungen am Diffusor und den Bremsbelüftungen haben die Kontrolle über den Nachlauf der Hinterräder und der Strömung im Diffusor reduziert. Das wiederum erschwert die Hausaufgaben."
Im Prinzip ging es den Konstrukteuren darum, die durch die Regeln zwangsweise geänderte Strömung rund um die Hinterräder wieder auf die Zeit davor zu trimmen. "Die Strömung war für die alten Unterböden optimiert und wurde nun durch die nach innen geneigte Bodenplatte gestört. All die Artefakte, die man vor diesem Winkelschnitt sieht, sind dazu da, diese Verluste aufzufangen. Man versucht quasi die alte Topologie der Strömung mit neuen Mitteln nachzubauen um sie näher an das zu bringen, was einmal war", klärt Monchaux auf.
Bei fast allen Autos ist ein Z-förmiger Einschnitt in der Bodenplatte zu sehen. Er hilft, die Strömung, die durch das neue Reglement nach außen gerichtet wurde, wieder nach innen Richtung Diffusor zu zwingen. Dazu wird rund um die Seitenkästen ein Geflecht an gefächerten Leitblechen aufgebaut, die die Turbulenzen hinter den Vorderrädern daran hindern unter den Boden zu strömen.
Detail-Entwicklung ohne CFD unmöglich
Manche Teams wie Mercedes oder Aston Martin versuchen durch einen wellenförmigen Boden oder mehrere Etagen auf der Bodenplatte noch eine Art Auftrieb zu erzeugen, der die schädlichen Vorderrad-Wirbel nicht nur zur Seite, sondern auch nach oben drängt. Prinzipiell gilt laut Monchaux: "Die ganzen Lamellen und Verschachtelungen sind dazu da, die negativen Seiteneffekte, wie zum Beispiel mehr Widerstand, zu reduzieren. Oder gewünschte Effekte zu unterstreichen, so dass schlechte Luft nicht in den Diffusor gesaugt wird."
Das gleiche gilt für das höchst komplexe Gewirr an Leitblechen vor den Seitenkästen. "Ursprünglich bestanden Leitbleche aus einer durchgehenden Fläche. Sie erzeugen eine Druckmauer, eine Blockade, die dazu dient, den Nachlauf der Vorderreifen von den Seitenkästen fernzuhalten. Mit der Zeit wurden die immer komplexer und raffinierter."
Ohne die Sichtbarmachung des Strömungsverlaufes dank CFD-Software wäre eine solche Entwicklung nach Meinung von Monchaux undenkbar gewesen. "Diese Formen sind das Produkt von unzähligen Iterationen. An jeder Verbindung entsteht ein Verlust. Das kann kein Mensch mit dem Augenmaß oder Erfahrung erkennen. Das muss man am Computer sichtbar machen."