Ein klassisches Eigentor
Das Duell zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen in Brasilien hatte genauso ein Nachspiel wie das von Silverstone. Das muss aufhören, findet Michael Schmidt. Wenn das Resultat offiziell ist, sollte auch das Urteil der Sportkommissare stehen. Alles andere ist ein Eigentor.
Da hat sich die Formel 1 keinen Gefallen getan. Ein Rennen muss mit dem offiziellen Resultat beendet sein. Was auch immer die Sportkommissare entscheiden, es sollte danach nicht mehr angefechtet werden können. Tut es aber, und leider immer öfter. In diesem Jahr hatten wir schon zwei Fälle, in dem ein Team mit neuen Beweisen versucht, einen Zwischenfall im Rennen neu aufzurollen. Weil es nicht zufrieden mit dem Schiedsrichter-Urteil war. Weil es Klarheit über die Anwendung von Regeln wollte.
Red Bull ist abgeblitzt. Die angeblich neuen Beweise zum Silverstone-Crash zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen waren weder neu noch relevant. Hamiltons Zehnsekunden-Strafe hatte Bestand. Mercedes hat nach dem GP Brasilien den Spieß umgedreht. Hamilton hatte als Sieger zwar keinen Schaden wie Verstappen in England, und doch war Mercedes der Meinung, die rustikale Verteidigung des Red Bull-Piloten verdiene eine Bestrafung. Am besten eine, die den WM-Gegner Punkte oder Startplätze kostet. Auch die neuen Beweise wurden zurückgewiesen. Allein, dass Stunden darüber verhandelt wird, ob die Beweise neu und relevant sind, ist ein schlechter Witz. Leute, es geht nur um ein Überholmanöver.
Harte Gangart oder lockere Leine?
Die meisten Zuschauer haben schon Mühe mit der Diskussion, ob es eine Strafe geben soll oder nicht. Da gibt es die Puristen, die fordern, dass bei Zweikämpfen nur im äußersten Notfall eine Strafe ausgesprochen werden muss. Zum Beispiel, wenn ein Fahrer mit voller Absicht einen Konkurrenten von der Strecke rammt wie Ayrton Senna 1990 in Suzuka Alain Prost oder Michael Schumacher 1997 in Jerez Jacques Villeneuve.
Schon damals gab es keine einheitliche Linie. Senna kam davon. Schumacher verlor alle WM-Punkte. Die Hardliner dagegen predigen, jeder Vorfall gehöre individuell untersucht, egal ob er einen Einfluss auf das Ergebnis hat oder nicht. Ich bin für die lockere Hand. Wer zu viel bestraft, verhindert Zweikämpfe. Was ist in Brasilien schon groß passiert? Hamilton brauchte drei Anläufe, um an Verstappen vorbeizukommen. Man stelle sich vor, er hätte es einfach im ersten Versuch geschafft. Keiner würde heute mehr darüber sprechen.
Egal auf welcher Seite man steht: Das Urteil der Sportkommissare muss Gesetz sein. Es ist keine Raketen-Wissenschaft, sich über den Vorfall anhand der Beweise eine Meinung zu bilden. Ich brauche keinen zusätzlichen Kamera-Blickwinkel, um zu erkennen, dass Verstappen viel zu spät auf der Bremse steht, dass er von seinem Einlenkpunkt nie einen so engen Radius hätte fahren können, um die Kurve auf der Rennstrecke noch zu schaffen. Der Holländer hat nicht absichtlich die Lenkung aufgemacht. Er hat sie nie zugemacht, weil er sich sonst gedreht und vermutlich Hamilton mitgerissen hätte. Das kann man so oder so sehen. Wenn vier Tage später vier Sportkommissare geschlagene fünfeinhalb Stunden immer noch darüber diskutieren, dann ist das eine Bankrotterklärung.
Bitte keine Einladung für Einsprüche
Nachträgliche Entscheidungen haben immer einen Beigeschmack, egal ob sie richtig oder falsch sind. Von außen entsteht der Eindruck, dass die Regeln nicht klar sind. Dass die Sportkommissare den einen oder den anderen bevorzugen. Das kann man sich wirklich sparen. Die Möglichkeit der Neuaufnahme des Verfahrens garantiert nicht, dass es dann zu konstanteren oder gerechteren Urteilen kommt. Und wenn man einmal damit anfängt und einer dieser Einsprüche Erfolg hat, ist es eine Einladung, es immer wieder zu tun. Dann korrigieren wir in Zukunft nur noch nachträglich Ergebnisse oder erfahren, dass sich doch nichts geändert hat. Man stelle sich vor, der Weltmeister wird wegen eines Einspruchs eine Woche nach dem Finale in Abu Dhabi am grünen Tisch gekürt. Das würde eine grandiose Saison mit einem Schlag kaputtmachen.
Nehmen wir den Fußball. Auch da gibt es Grenzfälle wie das Handspiel. Absichtlich oder doch nicht. Mit oder ohne Einfluss auf das Spiel. Neuerdings diskutiert der Schiedsrichter strittige Fälle mit den Video-Assistenten, die man durchaus mit den Sportkommissaren vergleichen kann. Sie haben ein paar Hilfsmittel mehr in der Hand als der Referée. Doch irgendwann kommt das Gremium zu einer Entscheidung. Die steht dann auch. Auch die kann immer noch falsch sein. Das muss man aber auch akzeptieren. Im Fußball kann kein Club hinterher neue Beweise auf den Tisch legen. Das nenne ich ein klares System.
Im Motorsport muss man vielleicht eine Ausnahme machen. Technische Verstöße sind nicht immer sofort zu erkennen und schlüssig zu beurteilen. Dazu ist die Technik heute zu komplex. Siehe die DRS-Affäre um Mercedes. Man denkt ein einfacher Fall. Dann liest man die Begründung der Sportkommissare durch und merkt, dass auch dieser Fall seine Tücken hat. Aber für einen Vorfall auf der Rennstrecke reichen die Beweise aus, die den Sportkommissare vorliegen. Videos, Telemetriedaten, Aussagen der Fahrer. Wenn man sich dann noch auf eine klare Linie einigt, wäre vieles einfacher.