Lasst die Finger von Gimmicks!
Die Geschichte des Sprintrennens ist gerade erst zwei Versuche alt, da denken seine Macher schon wieder über Veränderung nach. Die Idee mit der umgekehrten Startreihenfolge ist nicht totzukriegen. Lasst die Finger davon und bewertet den Sprint, wenn das Experiment zu Ende ist, meint Michael Schmidt.
Ich gebe zu, dass ich den Sprintrennen von Anfang an skeptisch gegenüberstand. Als Hardliner ist mir alles suspekt, was künstlich Spannung erzeugen soll, nur um das eigentliche Problem nicht bei der Wurzel packen zu müssen.
Wir haben in den letzten 30 Jahren immer wieder über solche Spannungsmacher diskutiert. Den Sinn und Unsinn von Tankstopps und erzwungenen Reifenwechseln. Von diversen Qualifikationsformaten. Von Sprintrennen. Von doppelten Punkten oder umgekehrter Startreihenfolge.
Viele Maßnahmen, die sich alle um ein und dasselbe Problem drehen. Die Berechenbarkeit des Sports. Dass immer die gleichen gewinnen. Dass im Rennen zu wenig Bewegung im Feld herrscht, weil das Überholen so schwer ist und die Schnellen vorne starten und die Langsamen hinten.
Schlechtes Formel-1-Produkt?
Im Grunde sind die Korrektive, die sich die Formel-1-Macher von Bernie Ecclestone und Max Mosley bis Jean Todt und Ross Brawn ausgedacht haben, Ablenkungsmanöver. Und auch ein bisschen Hysterie. Wir erleben gerade eine der besten Saisons der Formel-1-Geschichte. Ohne irgendwelche Gimmicks.
Statt sie zu zelebrieren werden einzelne Programmpunkte eines GP-Wochenendes schlechtgeredet. Wer an den drei Tagen von Monza über zu wenig Action jammert, soll sich einen anderen Sport suchen. Ich halte es da mit Fernando Alonso, der sich wundert, dass ohne Not ständig die Show hinterfragt wird. Würde sich der Fußball nach gleichen Maßstäben kannibalisieren, gäbe es in jedem Spiel fünf Plicht-Elfmeter, 20 Meter breite Tore und keinen Torwart mehr.
Die Ursachen für das Überholproblem sind bekannt. Es sind die Aerodynamik und Reifen, die sofort überhitzen, wenn das Auto mal rutscht. Das soll 2022 mit einer neuen Fahrzeuggeneration und neuen Reifen korrigiert werden. Lasst uns doch erst einmal schauen, ob das funktioniert, bevor wir jetzt schon wieder das Haar in der Suppe suchen.
Das starke Gefälle zwischen armen und reichen Teams soll mit der Budgetdeckelung und Restriktionen bei Windkanal und Prüfständen nivelliert werden. Beides wirkt gerade einmal neun Monate. Lasst uns doch abwarten, wie das Ergebnis ausfällt, bevor wir das Ergebnis durch irgendwelche Notlösungen verfälschen.
Sprint besser als gedacht
Das gleiche gilt für den Sprint. Ich muss sagen, dass er mir besser gefällt als gedacht. Er ist ein logischer Baustein auf dem Weg zwischen erstem Training und Hauptrennen. Er ist sportlich fair. Wer im Sprint Mist baut, wie Hamilton beim Start in Monza, wird bestraft. Wer zwei Plätze gewinnt, wie Daniel Ricciardo, wird belohnt. Beide haben auf der Rennstrecke ihr Schicksal bestimmt und nicht durch einen Eingriff von außen.
Meine einzige Kritik ist der Zeitplan. Qualifikation und Sprint finden viel zu spät statt und schaffen es kaum in die Zeitung am nächsten Tag bzw. viel zu spät am Abend in das Internet. Am Samstag ist das alles Schnee von gestern, weil, schon wieder ein nächstes Highlight folgt.
Okay, die beiden Sprint. in Silverstone und Monza waren keine Thriller, aber immer noch besser als ein x-beliebiges Freies Training, das sonst stattgefunden hätte. Immerhin hat sich in beiden Fällen die Startreihenfolge von Samstag auf Sonntag in einigen entscheidenden Punkten geändert. Und es hat Geschichten kreiert. Der schlechte Start von Hamilton, der Unfall von Gasly, der Sieger Bottas, der am nächsten Tag von hinten starten muss.
Vielleicht hätte die Formel 1 die Strecken für die Sprintrennen besser auswählen sollen. Dass in Silverstone und Monza das Überholen schwer ist, wusste man vorher. Dass die 100-Kilometer-Distanz zu kurz ist, um die Reifen ans Limit zu treiben, auch. 20 Kilometer mehr würden da schon helfen.
Künstliche Action durch Reversed Grid
Aber was soll das jetzt bitte, eine alte Idee neu aufzuwärmen und wieder dieses unsägliche Mini-Rennen mit umgekehrter Startreihenfolge ins Spiel zu bringen. Das ist ein künstliches Element, das uns der Großteil der Fans nicht verzeihen wird. Weil es im Prinzip unser Produkt schlecht aussehen lässt. Als Außenstehender würde ich sagen: Die sind von ihrer eigenen Show nicht überzeugt. Warum murksen sie sonst daran herum?
Gebt dem Format eine Chance und lasst den dritten Versuch in Interlagos ins Land gehen. Das ist eine Strecke, auf der überholt werden kann. Dann kann man immer noch entscheiden, wie es weiter geht. Die Nummer mit dem losgelösten Sprint in umgekehrter Reihenfolge des WM-Standes ist sicher die schlechteste Option.
Wir brauchen auch nicht jedes Wochenende ein Sprintrennen. Ganz im Gegenteil. Drei bis maximal fünf reichen. Es soll ein Alleinstellungsmerkmal bleiben und die Teams aus ihrer Routine bringen. Genauso wie die Nachtrennen.
Ich finde, wir haben schon genug. Lasst euch lieber etwas anderes einfallen, das aus dem Rahmen fällt. Zum Beispiel pro Jahr ein Joker-Rennen auf einer spektakulären Rennstrecke, die normalerweise nicht im Kalender steht. Mugello letztes Jahr und Zandvoort in dieser Saison haben gezeigt, welche Aufmerksamkeit das generiert. Beide waren medial ein großer Erfolg.