Zum Tode von Ferdinand K. Piëch
Ferdinand Karl Piëch ist mit 82 Jahren gestorben. Wir erinnern an ihn, indem wir uns erinnern: an die Begegnungen mit ihm.
Er war keiner, der leicht zu fassen war oder einfach zu begreifen oder rasch einzuordnen, nein. Ferdinand K. Piëch – auf das K für Karl legte er erst in den späteren Jahren Wert – war von sehr komplexer Persönlichkeit. Wer sich ein Bild von ihm machen wollte, musste es aus einzelnen Teilen zusammensetzen, und bitte mit geringem Spaltmaß. Hier einige der Szenen, die wir miterlebten:
Piëch, der Leitwolf
Piëchs Untergebene waren Eisenspäne, und er war ihr Magnet. Sie richteten sich nach ihm aus, manchmal auf fast peinliche Weise. Einmal, Piëch saß am Ehrentisch bei unserer Veranstaltung „Die besten Autos“, wurden auf der Bühne Marktforschungs-Zahlen vorgetragen: Welche Marke baut nach Meinung der auto motor und sport-Leser die fortschrittlichsten Autos, die sportlichsten, die schönsten? Und irgendwann während dieses Vortrags nahm Piëch einen Kugelschreiber vom Tisch und fing an, zu schreiben.
Die VW-Manager an den umliegenden Tischen merkten auf. Wenn „der Alte“, wie sie ihn nannten, mitschrieb, musste das wichtig sein. Es könnte Thema der nächsten Vorstandssitzung werden. Wehe, man war nicht präpariert. Also schrieben sie ebenfalls mit, eifrig, Zahl für Zahl. Zehn Minuten später baten wir den VW-Konzernchef für ein Grußwort auf die Bühne. Piëch stand auf, nahm den soeben beschriebenen Zettel in die Hand, ging ans Mikrofon, und las Wort für Wort ab: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, bei der Veranstaltung Die besten Autos zu sein...“ Alle VW-Manager zerknüllten in diesem Moment kleine Notizzettel.
Piëch, der Ungnädige
Bernd Ostmann, der langjährige auto motor und sport-Chefredakteur, hat Piëch häufig getroffen und interviewt. Zwei dieser Gespräche verliefen etwas einseitig. Beim ersten wollte Piëch als VW-Konzernchef unbedingt über den neuen Passat reden. Ostmann stellte zwar Frage um Frage, doch noch immer keine zu diesem VW-Modell. Als ihm die nächste Frage wieder nicht passte, erhob sich Piëch vom Tisch in seinem Wolfsburger Büro und ging hinüber zum Fenster. Von dort war der Blick weit. „Der Mittellandkanal“, murmelte er. „Jede Stunde ein Schiff.“ Mehr sagte er nicht mehr.
Bei einem anderen Interview zeigte Piëch eine Variante dieser Gesprächstaktik. Er antwortete auf die erste Frage, die ihm nicht passte, mit dem Satz: „Das werden wir Ihnen zu gegebener Zeit mitteilen.“ Und auf alle weiteren Fragen das Gleiche.
Piëch, der Abservierer
Er war ein Meister darin, mit wenig Worten maximale Wirkung zu erzielen, eiskalt. Bernd Pischetsrieder, seinen von ihm selbst ausgesuchten Nachfolger als VW-Konzernchef, servierte er mit der Bemerkung ab, man könne eben erst beurteilen, ob jemand etwas tauge, wenn er seinen Job erledige.
Auf die Frage, ob Porsche-Chef Wendeling Wiedeking sein Vertrauen genieße, sagte Piëch: „Zurzeit noch. Das ‚noch‘ können Sie streichen.“ Für eine gewaltige Fehlzündung sorgte der Satz, mit dem er eine jahrzehntelange, enge Beziehung zu seinem Protegé Winterkorn. itemprop="name" />Martin Winterkorn./span>, innerhalb von drei Sekunden zurück auf Null setzte: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“
Ferdinand Piëch war immer ein sehr langsamer und sehr leiser Redner, hatte sich schon als Kind mit der Sprache schwer getan – „ was vielleicht mit Legasthenie zu tun hatte“, vermutete er selbst, nachdem seine Kinder auf dieses Handikap hin untersucht worden waren.
Piëch, der Ehrgeizige
Enkel des legendären Firmengründers Ferdinand Porsche zu sein – Hypothek und Lebenschance zugleich. Mit neun Jahren fuhr er das erste Mal selbst Auto (und blieb mit der Stoßstange an der Garagentür hängen). Bei Porsche wurde er Entwicklungschef, schuf den Monster-Rennwagen 917, sicherte sich den Chefsessel bei Audi, wo er mit Quattro-Antrieb, TDI-Motoren und Leichtbau den Vorsprung durch Technik herbeikonstruierte. Er wurde Regent des VW-Konzerns, zahlte 100 Millionen Dollar Lehrgeld für die Verpflichtung des GM-Chefeinkäufers Lopez und lieferte bei seinem Abschied 2002 Rekordzahlen ab.
Nur eines konnte der Mann, der VW wie kein anderer geprägt hat, auch danach nie: verlieren. 2009, Sonntagvormittag in Le Mans. Nicht Audi wird diesmal das 24-Stunden-Rennen gewinnen, sondern Peugeot. Die Piëchs haben sich mit ihrem Sohn in eine abgelegene Lounge zurückgezogen. Ferdinand Piëch läuft wie ein Löwe im zu engen Zoo-Gehege an der Glaswand auf und ab. Seine Frau sieht auto motor und sport-Redakteurin Birgit Priemer und lädt sie zum „Frust-Champagner-Trinken“ ein – mittags, gegen 11.30 Uhr. „Ich hab‘ mir extra ein Kostüm in den französischen Nationalfarben schneidern lassen. Aber das zieh ich lieber nicht an, wenn wir hier verlieren.“ Ihr Mann läuft weiter wie ein Löwe im zu engen Zoo-Gehege auf und ab, auf und ab. Keiner spricht ihn an.
Piëch, der Detailbesessene
Arvidsjaur, Lappland, minus 14 Grad. VW-Testfahrten des gesamten Vorstands plus Ferdinand und Ursula Piëch im Januar 2013. Erst probieren die beiden den neuen E-Up aus, danach den E-Golf. Piëchs Diagnose: „Der Up ist zu laut, Herr Winterkorn.“ Sein Vorstandschef nimmt dies hin. Und am nächsten Morgen zur Kenntnis, dass Herr Piëch mit dem großen Ordner der Konstruktionspläne beider Autos die Treppe herunterstapft und verkündet: „Ich habe die Lösung. Nehmen Sie Dämmungsmaterial für fünf Euro beim Golf raus und stecken Sie es dafür in den Up hinein!“
Piëch, der Mensch
Piëch über Piëch: „Im Berufsleben Distanz zu wahren, hat bei mir nichts mit Hierarchie zu tun. Der Einzige aus dem Unternehmen, der mir das Du anbot, war mein Vorgänger Dr. Hahn. Ich habe ihn gebeten, die Ehre ausschlagen zu dürfen.“
Auch privat, im großen Familienclan der Porsches und Piëchs, hatten alle stets großen Respekt vor ihm. Nähe? Schwierig. Nur zusammen mit Ursula, seiner zweiten Ehefrau, wirkte er nahbar. Und ungewohnt locker: „Wissen Sie, ich sehe nicht mehr gut und sie hört nicht so gut“, sagte er selbstironisch, wenn es an der Garderobe mal etwas länger dauerte, bis die beiden sich sortiert hatten.
Ein Letztes noch: Kurz vor Weihnachten 2016 kam Post in die Redaktion, aus Salzburg. Ferdinand Piëch war wohl angetan von unserem Sonderheft mit den besten Geschichten aus 70 Jahren auto motor und sport, das wir ihm zukommen ließen. Also hat er beim Konditor Ratzka vier kleine Sachertörtchen besorgen lassen, sie in einen großen braunen Umschlag gesteckt und die Adresse von Hand darauf geschrieben. Ein Gruß, ohne Worte. Und doch so vielsagend.
So war er.