Mercedes CLK 430

Ein Achtzylinder ist keine Grundvoraussetzung für genussreiches Offenfahren. Luft und Leistung - passt diese Kombination im Mercedes CLK 430 zusammen?
Die Ouvertüre macht noch nicht so recht glücklich. Die Türen des bei Karmann in Osnabrück gebauten CLK Cabrios fallen schwer ins Schloss, genauer gesagt schwer schließend. Man muß, instinktiv einen heftigen Tür-Knall vermeidend, meist zwei Mal ansetzen.
Auch das Fingern nach dem Gurt, der sich gekonnt zwischen Rückenlehne und Türverkleidung versteckt hält, ist nicht die richtige Einstimmung auf jenen Cabrio-Luxus, den die Erwartungshaltung vorgibt. Die altmodischen, per Elektromotor in Gang gesetzten Gurtbringer der alten Coupés fallen dem Tester ein, die nun – bauartbedingt – nicht einmal mehr in einer Aufpreisliste stehen. Doch dann sitzt und passt alles. Der wie eine Dörrpflaume geformte und ähnlich gefärbte Zündschlüssel deaktiviert die Wegfahrsperre und lässt jenes motorische Juwel sanft murmeln, das üblicherweise erst in den oberen Regionen der S-Klasse eine Rolle spielt.
Hier, in dem auf der C Klasse basierenden Viersitzer- Cabrio, ist der große V8 mit seinen 4,3 Litern, den 279 PS und dem Büffel-Drehmoment von 400 Newtonmetern die ganz große Ausnahme über dem 320er-Sechszylinder und den beiden Vierzylindern: dem 2,3-Liter mit Kompressor und 193 PS und dem Basis-Zweiliter und dessen 136 Pferdestärken. Schon mit ihm, so vermerkte auto motor und sport in Heft 11/98, komme man trotz des hohen Wagengewichts gut zurecht, doch Musik liegt da noch nicht in der Luft. Die Verdoppelung der Zylinderzahl schafft zwar nicht das doppelte Vergnügen, wohl aber einen ganz speziellen Genuss. Er macht sich zunächst nur akustisch bemerkbar, durch ein dezentes Wummern im Leerlauf, das den Vierzylinder im Ohr zu dem abstempelt, was er ja weltweit auch ist: ein Brotund- Butter-Antrieb. Auch das Anfahren mit dem großen V8 und der serienmäßigen Fünfgang- Automatik hat einen speziellen Reiz. Selbst mit wenig Gas lässt der Schub auf den ersten Metern nach der Ampel ohne große Fantasie erahnen, dass es noch ganz anders geht.
Der V8-Tiger im Cabrio fährt seine Krallen sanft aus, und man fühlt sich erinnert an den berühmten Spruch von der Ruhe, in der die Kraft liegt.
Mit offenem Verdeck ist das Murmeln des Dreiventilers, dessen oben liegende Nockenwellen mercedestypisch per Kette angetrieben werden, gerade in den unteren Tempobereichen sehr deutlich, aber eben keineswegs störend zu vernehmen. Zu viel Gas geben möchte man eigentlich in diesem stärksten CLK Cabrio nie. Man benutzt das Drehmoment, weniger die Leistung.
Auf der Mess-Strecke in Hockenheim zählen solche Empfindungen nicht. Hier zeigt der jüngste Mercedes-Spross, was er wirklich kann und was vermutlich selten von ihm gefordert wird: null auf 100 km/h in nur 7,4 Sekunden, null auf 160 km/h in 17,5 Sekunden. Es sind gute Sportwagen-Werte, ein Dragster ist aber auch der 430 in Offenversion nicht. Dazu ist sein Gewicht mit 1736 Kilogramm eindeutig zu hoch und nicht so weit entfernt vom Niveau der leichter gewordenen neuen S-Klasse. Hoher Antriebskomfort also, nicht zuletzt auch wegen der perfekt schaltenden Fünfgang- Automatik, die jedweden manuellen Eingriff per Tippfunktion zur Spielerei oder Unterbrechung möglicher Langeweile werden lässt.
Man schätzt die Reserven des großen Motors wie die eines üppigen Bankkontos. Man könnte jederzeit, aber es muss nicht immer sein. Mit einer solchen Gangart, die zügig, aber nicht pressant ist, nimmt nicht einmal der Verbrauch erschreckende Züge an. Ein 200er braucht weniger, gewiss, aber mit zwölf Litern pro 100 Kilometer lässt sich der große V8 durchaus abspeisen, auch wenn sein Appetit bei voller Ausnutzung der Leistung über 15 Liter ansteigt. Fährt man so? Vom Charakter dieses Cabrios her eher nicht, obwohl schnelles Fahren nicht nur des potenten Motors wegen möglich ist. Auch der akustische Komfort mit einem nur geringe Windgeräusche verursachenden Stoffverdeck lässt rasante Autobahn-Etappen zu einem Genuss ohne Reue werden. Noch bei 160 km/h kann man sich ohne Mühe unterhalten oder Musik hören, und selbst bei Tempo 200 entsteht keinesfalls das Gefühl, in einem selbstgemachten Hurrikan zu verkehren.
Wenn man so will, ist hier ein offener Gran Turismo entstanden, dem allerdings zur ganz großen schnellen Reise auch einige wenige Dinge fehlen. Mit 62 Litern ist das Tankvolumen knapp bemessen, und für den Komfort der elektrohydraulischen Verdeckbedienung samt automatischer Versenkung in einem dem Kofferraum zugeschlagenen Abteil bezahlt man mit einem gemessen am Wagenformat spärlichen Volumen.
Bei offenem Verdeck fasst die Heckpartie gerade einmal 237 Liter, geschlossen passen nötigenfalls 350 Liter hinein. Hinzu kommt die schlechte Nutzbarkeit der Luke, die ja keine Liter, sondern meistens eckige Gegenstände zu schlucken hat. Damit hat es sich schon ausgeklagt, denn der Rest der offenen Mercedes-Pretiose hält die unausgesprochenen Versprechen, die in der 100 000- Mark-Klasse im Raume stehen. Die verwindungssteife Karosserie gehört mit zum Besten, was der Markt an viersitzigen Cabrios zu bieten hat. Und auch das stärkste Viersitzer-Cabrio von Mercedes hat eine ungewöhnlich leistungsfähige und standfeste Bremsanlage, die kaum jemals ihre Leistungsgrenze erreichen dürfte. Dabei sind die Möglichkeiten, heiße Bremsscheiben zu bekommen, grundsätzlich gegeben.
Das schwere Auto lässt sich ohne Probleme sehr sportliche bewegen, wobei die Anwesenheit des großen und schweren V8 von den Fahreigenschaften her nicht negativ in Erscheinung tritt. Was bleibt an Kritik, ist eine zu schwergängig ausgelegte Servolenkung. In schnell gefahrenen Kurven wird zusammen mit dem serienmäßigen ESP sehr hohe Sicherheit geboten, die möglichen Geschwindigkeiten liegen auf beträchtlichem Niveau. Auch der Federungskomfort ist vom Feinsten, das Abrollen geschieht ungewöhnlich geschmeidig. Auch deshalb macht das Langsamfahren im CLK Cabrio den größten Spaß. Von den 279 stämmigen Pferden werden dann, an dem lauen Sommerabend in Lugano oder auch nur in Waldhilsbach, 79 gebraucht. Der Rest ist stille Reserve.