Vier Supersportwagen im Vergleich
Bei Porsche Carrera GT, Mercedes SLR McLaren, Ferrari Enzo und
Pagani Zonda S geht es nicht ums Geld, sondern um die Kohlefaser,
aus der sie gemacht sind. Ein Blick unter die Carbonhaut der vier
Supersportler.
Endlich! Die heisernen Schreie des Porsche-V10 hauchen der spröden Atmosphäre in der Industriehalle Leben ein. Dann bollert der bullige V8 des SLR auf seinen Platz, gefolgt von dem im Leerlauf blechern rasselnden V12 des Ferrari. Und als der sonore Bariton des mächtigen Zwölfzylinders aus dem Zonda S verebbt, hellt sich trotz der strengen Kälte auch der Gesichtsausdruck von Dr. Schiefer. itemprop="name" />Ulrich Schiefer./span> auf. Stelldichein mit 2.453 PS Der studierte Luft- und Raumfahrttechniker – lange Jahre bei BMW und später auch bei Aston Martin für die Entwicklung unterschiedlichster Straßensport- und Rennwagen zuständig – war anfangs skeptisch. Auf was hat sich der 45-jährige Schwabe eingelassen? Auf ein Stelldichein mit 2.453 PS. Auf eine Gegenüberstellung mit der automobilen High-Tech- Kunst des 21. Jahrhunderts. Auf einen Technikplausch mit dem Hochadel der Supersport-Szene. Ein exotisches Kaffeekränzchen Ergo: auf ein exotisches Kaffeekränzchen mit Ferrari Enzo, Mercedes SLR McLaren, Pagani Zonda S und Porsche Carrera GT. Die vier absoluten Hochprozenter verwandeln durch ihre bloße Anwesenheit jene etwas heruntergekommene Industriehalle in einen Prunksaal und durchziehen die frostige Umgebung mit wohliger Wärme.
Der Enzo ist die radikalste Lösung
Und das heißeste Eisen im Bunde? „Die vier sind nicht so einfach über einen Kamm zu scheren. Jeder Typ verfolgt eine eigene Philosophie, jeder bietet seine eigenen technischen Highlights. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser vier höchst aufwendig konstruierten Supersportler ist das Kohlefaser- Monocoque“, so Dr. Ulrich Schiefer. Das Ziel, höchste Steifigkeit bei möglichst wenig Gewicht zu generieren, verfolgt das Quartett also in einträchtiger Musketier-Manier. Im Gegensatz zu einer Stahlkonstruktion ergibt sich durch den Einsatz von Carbon immerhin ein Gewichtsvorteil von bis zu 40 Prozent. Eines steht für Schiefer bereits nach der ersten Kontaktaufnahme fest: „Der Enzo ist die radikalste Lösung. Er ist ein Rennwagen mit Straßenzulassung – geradezu rücksichtslos konstruiert.“ Das meint der gebürtige Stuttgarter keineswegs abfällig.
Unvernünftiger Italiener
Genauso wenig wie das Statement „unvernünftiger Italiener“. Viel mehr ist es eine tiefe Verneigung vor der konsequenten Ausrichtung des Enzo. Und die beginnt bereits mit der prägnanten Nase. „Hier wird die Führung des Kühlluftaustritts über die Haube hinweg zum Erzeugen von Abtrieb genutzt – Merkmale aus dem Rennwagenbau. Die hinteren Öffnungen der vorderen Kotflügel verfolgen das gleiche technische Ziel: Dadurch wird der Radhausüberdruck abgebaut, was ebenfalls den Auftrieb minimiert“, diagnostiziert Schiefer. Eine technische Raffinesse, die den Enzo mit dem Porsche Carrera GT verbrüdert. Auch der schwäbische Überflie- ger umschifft diesen 2Balloneffekt2 mit rücklinks geöffneten Radhäusern. Obwohl dies nicht der einzige Grund ist, warum Schiefer dem Carrera GT viel aerodynamischen Feinschliff und Ingenieurskunst attestiert. Schließlich ist neben der Front auch der Heckbereich absolut effizient ausgerichtet. Wie beim Ferrari wirken der Diffusor und der ausfahrbare Flügel zusammen und beschleunigen so die Luft unter dem Auto.
Auch der Zonda S generiert nach dieser Formel Abtrieb – wenngleich mit einem starren Flügelwerk. Und natürlich wie bei allen Kandidaten mit einem Unterboden, der so glatt ist wie ein Baby-Hintern. Beim Mercedes SLR McLaren sind die aerodynamischen Verhältnisse schon aufgrund des konstruktiven Aufbaus anders geartet. Der Front-Mittelmotor-Sportler muss wegen des weit nach hinten auslaufenden Daches Auftrieb am Heck abbauen, während die reinrassigen Mittelmotor-Boliden mehr zu Auftrieb an der Vorderachse neigen. „Deshalb wurde die Lösung mit der stufenweise ausklappbaren Luftbremse gewählt. Auch die wirkt wiederum zusammen mit einem flachen Unterboden, der in einem Diffusor endet2, so Schiefer.
SLR mit Sonderstellung./strong>
Schon seine Proportionen geben dem SLR eine Sonderstellung. Wenngleich nicht der Größte, tritt er wuchtig auf. Dabei trägt er seine ellenlange Haube keineswegs als Statussymbol. Viel mehr verdeckt die markante Front einige Raffinessen – wie zum Beispiel eine Crashbox aus Carbonelementen. Dahinter zwängt sich der aufgeladene Achtzylinder bis unter die Windschutzscheibe, flankiert von der auf engstem Raum arrangierten Auspuffanlage. Aus dieser Konstellation ergibt sich ein thermischer Schmelztiegel, dem es Herr zu werden gilt. Demnach haben die Haifischkiemen in den vorderen Kotflügeln ihre technische Daseinsberechtigung und sind keineswegs nur optische Reminiszensen an historische SLR-Zeiten. “Es ist natürlich zwingend notwendig, die Auspuffabhitze abzuleiten„ – sagt Schiefer. Und ergänzt: “Dafür werden bei dieser extremen Lösung, wo alles vor der Windschutzscheibe passiert, auch alle Heißteile vom hitzeempfindlichen Monocoque ferngehalten und keine Auspuffanlage nach hinten durchgeführt.„
Alle wuchern mit Leistung
Der Frontmotor bietet noch weitere Vorteile: Durch die direkte Frischluftanströmung kann der Staudruck zu einer besseren Leistungsausbeute genutzt werden. Wenngleich alle vier angetretenen Exoten keineswegs mit zu wenig Leistung hadern, sondern viel mehr oppulent mit ihr wuchern. Nur in welcher Form sie wuchern, das ist der springende Punkt. Pagani und Ferrari vertrauen hierbei der fraglos imposantesten Lösung – der eines Zwölfzylinders im Heck. Der Carrera GT schöpft seine Power aus einem V10-Aggregat. Und der Mercedes baut auf die Gewalten eines mechanisch aufgeladenen V8-Triebwerks. Doch damit sind die Prioritäten noch lange nicht geklärt. Obwohl Zonda S und Ferrari auf eine identische Zylinderanzahl vertrauen, ist das Layout ihrer Treibsätze gänzlich unterschiedlich. Der wuchtige, 7,3 Liter große AMG-Motor, der im Pagani sein Unwesen treibt, setzt weniger auf herausgekitzelte Spitzenleistung als viel mehr auf massiges Drehmoment. Mit maximal 750 Newtonmeter bei knapp über 4.000 Touren spricht der konservative Vierventiler eine deutliche Sprache.
SLR: Mit Wucht aus dem Keller
Mehr Wucht aus dem Keller vermag lediglich noch der aufgeladene Achtzylinder des SLR auf die Kurbelwelle zu stemmen. In diesem Punkt verblassen Porsche und Ferrari – andererseits bieten sie sportliche Höchstdrehzahlen. Beide geben ihre maximale Leistung von 660 PS (Ferrari) und 612 PS (Porsche) bei rund 8.000 Touren frei. Auch Ulrich Schiefer zieht den Hut vor der Motorenbaukunst dieser Extremsportler: “Sie bieten Hochdrehzahlkonzepte mit fantastischen Literleistungen. Der Sechsliter-Motor des Ferrari weist einen typischen V12-Zylinderwinkel von 65 Grad auf, was einen vibrationsarmen Lauf garantiert, und ist extrem tief montiert. Dazu bietet der Vierventiler Feinheiten wie hydraulisch betätigte, variable Ansaugtrompeten.„
Der Charme des Zehnzylinders
Dass der Porsche mit zwei Zylindern weniger auskommt, sieht Schiefer keineswegs als Nachteil: “Der Zehnzylinder bietet für ein Mittelmotorauto aus technischer Sicht einen schönen Charme. Er ist leichter und baut kürzer als ein Zwölfzylinder. Nicht umsonst setzt das komplette Formel 1-Feld auf V10-Motoren.„ Hinzu kommt, dass das Porsche-Triebwerk geradezu künstlerisch in Szene gesetzt wird. Schmackhaft von einem Motorrahmen aus Kohlefaser drapiert. 2Da hat man sich wirklich etwas getraut und mit viel Know-how umgesetzt“, so Schiefer. Er fügt hinzu: „Beim Ferrari dominiert auch im Motorraum Typisches aus dem Rennwagenbau – ein Alu-Hilfsrahmen mit einer Abstützung aus Stahl. Mercedes setzt vorn einen Alu-Gussrahmen ein – nach der Philosophie: Der richtige Werkstoff an der richtigen Stelle. Wohingegen sich der an das Monocoque angeflanschte Stahlrahmen des Zonda S mehr an eine Prototypenlösung anlehnt.“ Was aber keineswegs abschätzig gemeint ist. Ulrich Schiefer zollt den Detaillösungen des italienischen Kleinstserienherstellers höchsten Respekt: „Das Auto ist mit einer Menge Herzblut gemacht. Sicherlich ist manches, wie beispielsweise die Konstruktion der Radaufhängung, nicht unbedingt die neueste und leichteste Lösung, deswegen ist sie aber zweifelsohne nicht schlecht. Zudem ist der Zonda S immerhin schon seit vier Jahren auf dem Markt. Und im Supertest von
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hat der Wagen ja bereits eindrucksvoll bewiesen, was in ihm steckt.“ Eine stumpfe Waffe ist das Pagani-Kunstwerk also keineswegs. Auch wenn der avantgardistisch gestylte Italiener gegen technische Highend-Lösungen antritt, mit denen sein Landsmann nur so um sich wirft. Immerhin ist der Enzo der Einzige im Bunde, der über eine elektronisch geregelte Dämpferverstellung verfügt. Der Ferrari ist schlichtweg ein Portfolio des Machbaren, ein prägnantes Beispiel des technisch Möglichen. Bei der Anlenkung der Dämpferelemente gehen Carrera GT und Enzo aber weit gehend identische Wege: Die liegenden Dämpfer werden über Pushrods angesteuert. Schiefer analysiert: „Es ist eigentlich zweitrangig, ob die Federelemente längs (Porsche) oder quer (Ferrari) verbaut sind. Das ist mehr eine Frage der Platzverhältnisse oder der Servicefreundlichkeit. Wichtiger ist, dass sie nicht direkt starker Hitze ausgesetzt und über Streben angesteuert wird. In dieser Einbaulage nimmt er natürlich keinen störenden Einfluss auf die Gestaltung des flachen Unterbodens.“ Fasziniert zeigt sich der mittlerweile selbständige Schwabe auch von den Bremskomponenten des Mercedes. „Der Einsatz der elektrohydraulischen Bremse im Schulterschluss mit den Carbon- Scheiben ist eine konsequente Verknüpfung von Innovationen aus Serie und Motorsport“, erläutert Schiefer. Dass auch Ferrari und Porsche auf faserverstärkte Keramik-Scheiben vertrauen, versteht sich in diesem Umfeld wohl von selbst. Und um der fahrdynamischen Konsequenz noch mehr Nachdruck zu verleihen, kommen beim Carrera GT Magnesium-Räder zum Einsatz. „Mir fallen nur noch wenige Punkte ein, wo eine Gewichtseinsparung besser wäre. Eine Reduzierung der drehenden sowie auch der ungefederten Massen ist aus fahrdynamischer Sicht sehr wichtig“, erklärt Schiefer und schwingt sich ins puristische Cockpit des Enzo. Der Einstieg in die Kommandozentrale des Ferrari gestaltet sich durch die ins Dach reichenden Türen erstaunlich einfach. Nur mit der Kopffreiheit ist es bei geschlossener Pforte nicht allzu weit her – von der Rundumsicht ganz zu schweigen. Aber wer dieses Pferd zähmen will, legt seinen virtuellen Fokus besser auf das, was vor ihm passiert. Der Carrera GT hingegen präsentiert sich trotz seiner ausgewiesenen Sportlichkeit erstaunlich wohnlich. „Vor allem die leicht ausgeformten Dachhälften sorgen für ein gutes Raumgefühl“, zeigt sich Schiefer überrascht. Und zieht Vergleiche zum SLR: „Die nach oben schwenkenden Türen erlauben einen guten Zugang. Das Cockpit ist eng geschnitten. Und der SLR zeigt eine Mercedes.typische Qualitätsanmutung beim Interieur – sachlich und funktionell.“ Von einer sachlichen Gestaltung ist der Zonda S hingegen so weit entfernt wie Stuttgart-Untertürkheim vom oberitalienischen Modena. In der weit nach vorn versetzten und luftigen Glaskuppel des Pagani herrscht ein wahres Feuerwerk an Designelementen – von Türverkleidungen in Carbon mit Lederbeschlag bis hin zur aufwendig aus Aluminium gefrästen Pedalerie. Schiefer. itemprop="name" />Ulrich Schiefer./span> betont: „Das Auto lebt von seinen Styling-Features. Die Carbon-Motorhaube ist beispielsweise aus zwei Hälften gestaltet. Derart weist sie sogar auf der Innenseite eine hoch glänzende Class A-Oberfläche auf.“ Die technischen Komponenten sind wiederum mehr konventioneller Natur. Wie beispielsweise das manuelle Sechsganggetriebe. Damit steht der Zonda S allerdings nicht allein in der Halle. Auch im Carrera GT werden die Gänge nach herkömmlichem H-Schema gewechselt, was auch Dr. Schiefer. itemprop="name" />Ulrich Schiefer./span> teilweise grübeln lässt: „Eine normale H-Schaltung wirkt in diesem hoch entwickelten Umfeld etwas fremd. Sie dürfte aber dennoch von vielen Kunden bevorzugt werden. Das Getriebe selbst liegt allerdings transversal zum V10, was natürlich eine sehr kurze Baulänge gewährleistet.““Scheint dann nicht auch das Automatikgetriebe des SLR in einem Boliden dieser Güte befremdlich? „Ganz und gar nicht“, so die Meinung des Experten. „ Der SLR verkörpert kühle Noblesse und Sportlichkeit. Er ist in seiner Gesamtheit eine klare Mercedes.Botschaft. Ein Supercar ohne große Komfortabstriche. Er ist schon wegen des relativ hohen Gewichts nicht der Typ für die schnellste Runde. Viel mehr verkörpert er den Langstreckensportler – 100 Runden, aufs Zehntel genau gleich. Der Fahrer wird durch die technischen Features optimal unterstützt.“
Runde Sache: der GT ist ausgewogen
Nach dieser Schablone ist dann auch die Botschaft des Enzo so klar wie das Quellwasser aus San Pellegrino: Er ist die Ausgeburt eines Supersportlers, ohne Kompromisse und mit allen möglichen technischen Spielereien wie dem elektrohydraulisch unterstützten Getriebe. Design? Zweitrangig. Hier übernimmt die Kohlefaserhaut primär die Funktion, die Technik zu umhüllen. Der Carrera GT tritt mit deutlich leiseren Tönen auf, zumindest was die Formensprache betrifft. Gerade deshalb attestiert ihm Schiefer jedoch höchste Ingenieurskunst: „Eine runde Sache. Der GT ist stilistisch ausgewogen, bietet eine gute aerodynamische Performance, was der
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Supertest bereits bewiesen hat – und das bei moderaten Ausmaßen.“ Und der Zonda S? Schiefer bricht eine Lanze für den Exot unter den Exoten: „Der Zonda ist schwer mit dem Produkt eines Großserienherstellers vergleichbar, denn die können natürlich viel mehr Resourcen nutzen. Er ist der zu Carbon gewordene Traum des Horacio Pagani, mit vergleichsweise technisch einfachen Mitteln, aber im Detail toll in Szene gesetzt.“ Und solche herzerwärmenden Exoten braucht die Szene schließlich. Teils um sie zu befruchten und teils auch, um die Großen der Branche aus ihrem unterkühlten Winterschlaf zu locken.