Frei stehen in Europas wildem Südosten: Mit dem Campervan nach Albanien

Es gibt sie noch: Regionen in Europa, wo motorisierte BesucherInnen auf kleinen Straßen und Wegen in wilder Natur unterwegs sind, ohne überall auf Verbotsschilder und strenge Reglementierungen zu stoßen.
Kein Land im Süden Europas, das sich so schnell verändert wie Albanien: Waren gestern noch die Hochgebirgstäler im Norden mutigen Allrad-Kraxlern vorbehalten, können Reisende heute auf geteerter Straße den himmelhohen Thorepass erklimmen und hinab ins Tal von Theth rollen. Das ändert vieles in dieser einst stillen Bergbauern-Siedlung.
Ganz anders weiter im Süden. Dort soll alles bleiben, wie es ist. Denn die Regierung hat beschlossen, die Vjosa, den letzten Wildfluss Europas, als Nationalpark zu deklarieren. Ob die Natur wirklich sich selbst überlassen bleibt, auch wenn künftig keine Staudämme, keine Hotels gebaut werden dürfen, ist allerdings fraglich.
Der Norden Albaniens
Wer Albanien von Norden her ansteuert, fährt zuerst am riesigen, azurblauen Shkodrasee entlang. Nach wenigen Kilometern taucht das Städtchen Koplik auf. Von dort geht es für uns auf einspuriger Landstraße nach Osten, hinauf ins gewaltige Prokletije-Gebirge. Wir werden sehen, ob es ein Vorteil für alle ist, über glatten Asphalt auf den gewaltigen, 1.600 Meter hohen Thorepass und in hundert Serpentinen ins Tal des wilden Shala-Flusses fahren zu können. Atemberaubend allemal, wenn man tief unten die Streusiedlung Theth mit ihren wenigen, sich in die Steilhänge krallenden, uralten Häusern auftauchen sieht.
Drumherum erheben sich die Gipfel der Radohima (2.568 m) im Westen, des markanten Arapi (2.217 m) im Norden und der Jezerca (2.694 m) im Osten. Hier stößt Albanien mit Montenegro und dem Kosovo zusammen. Das Prokletije-Gebirge verliert heute seinen einst trennenden Charakter. Internationale Förderprojekte haben die Regionen unter dem euphorischen Namen "Balkan-Peace-Projekt" erschlossen und verbunden, ein System sehr gut markierter Wanderwege und ein Netz von Guest Houses eingerichtet. Neue Zeiten, denn lange wohnten hier nur wenige, in konkurrierenden Familienclans ums Überleben kämpfende Menschen.
Für uns ist es kein Problem, hier mit dem Allrad-Campingbus einen abgelegenen Platz für die Nacht zu finden: Im Zentrum, wo sich viele Wohnmobile den Platz auf der Wiese am Fluss teilen, wollen wir nicht bleiben. Also arbeiten wir uns nördlich der einzigen Dorfbrücke auf steiniger Piste das wilde Flusstal hinauf – und finden eine schöne, ruhige Stelle.
Das Chaos der weißen Steine strahlt im Dunkeln die Helligkeit von Mond und Sternen zurück, rundherum recken sich schwarze Felswände über unseren Köpfen. Auch der Fluss hat keine Einwände gegen unseren Besuch und ergänzt die Romantik durch sein mildes Rauschen. Am Morgen kommen ein paar Bauern vorbei, einige mit ihren Maultieren, andere hocken in uralten Pick-ups. Sie grüßen freundlich und lassen uns Camper unbehelligt die bizarre Landschaft genießen. Was aber, wenn immer mehr BesucherInnen das Wildcampen gut finden?
Nicht nur diese Gedanken drängen uns dazu, diesen tollen, einsamen Standplatz zu verlassen: Heute geht es zu Fuß ins Gebirge, und da ist es nicht angesagt, den Bus ohne Aufsicht in der Gegend stehenzulassen. Also rumpeln wir auf schroffer Piste das Flusstal der Shala hinauf, durchqueren mehrmals das wilde Gewässer und erreichen kurz vor der Siedlung Okol die Bujtina Zemra.
Übernachtung beim Bauern
Ein Bauernhaus wie aus dem Bilderbuch, mit schöner, eingezäunter Wiese, Holzterrasse unter Bäumen und einigen freundlichen, alten Herren, die schon frühmorgens beim Raki sitzen. Ob wir den Bus hier stehen lassen und nach der Wanderung am Abend duschen können? Klar, geht in Ordnung. Was das kostet? Zahlt, was ihr für richtig haltet! So viel Völkerverständigung gelingt, auch ohne Albanisch zu können.
Dann ist es vorbei mit der Gemütlichkeit: Vor uns die atemberaubenden Steilwände des Arapi, mehr als 1.400 Höhenmeter stellt der Berg in Rechnung. Unklar, ob das heute zu schaffen ist. Noch weniger, wie ein Weg ohne Seilversicherung durch diese himmelhohen Flanken führen kann. Aber es geht: Nach zweieinhalb Stunden stehen wir auf der 1.700 Meter hohen Qafa e Pejes, dem Pass, der die Grenze zwischen Albanien und Montenegro markiert.
Graue, riesige Felsen türmen sich zu allen Seiten, tief unten arbeitet sich das weiß glänzende Schotterbett der Shala nach Süden. Schnell ist klar, dass der weitere Verlauf des Weges zum Arapi nur schwer zu finden ist. Keine Markierungen mehr im steilen Felsgelände, noch 500 Höhenmeter wären das – dunkle Wolken beginnen, den Gipfel einzuhüllen –, und es ist viel zu spät am Tag. Also geht es erleichtert zurück, bergab sind die vielen Höhenmeter schnell geschafft. Wir begrüßen den unversehrten Bus unter den Bäumen der Bujtina, trinken noch einen Türken-Kaffee, duschen und lassen 10 Euro beim freundlichen Aufpasser Ildo.
Verlassener Strand im Süden Albaniens
Am nächsten Tag rollen wir gemächlich nach Süden, etwa 220 Kilometer weit. Bis kurz vor Durres auf Landstraßen, irgendwann auf der tollen, neuen Autobahn bis vor Vlore. Dann geht es rechts ab an den Zvernec Beach. Der liegt mitten im Delta des Vjosa-Flusses. Einige wenige Campingbusse am bildschönen Sandstrand, vereinzelte Fischerboote und AnglerInnen. Wir wandern im Abendlicht über die Felsen an der Küste entlang. Und genießen den letzten Strand Albaniens ohne touristische Fruchtbarmachung, wo kein Geschäft sich breitmacht, wo kein Sonnenschirmverleih, keine Kette von Bars und kein Parkplatz die Küste ziert.
Von einheimischen Anglern erfahren wir später, warum diese Bucht sich selbst überlassen bleibt und noch kein Hotelkomplex den Hippiefrieden stört: Regierungschef Edi Rama hat das Zentrum von Vlora in ein supermodernes, gepflegtes Seebad umbauen lassen und will die neu geschaffene Retortenstadt durch einen schicken Flughafen mit der Welt verbinden. Der Landeplatz soll das Vjosa-Delta genau an dieser Stelle durchschneiden. Und bis die Bagger anrücken, hat Zvernec Beach dann Schonfrist.
Über Tepelene nach Përmet an der Vjosa
Es geht weiter nach Osten und später nach Süden, über Tepelene nach Përmet: eine Stadt am Ufer der Vjosa, das Tor zum Canyon. Links und rechts türmen sich die Felsen zu massiven Barrieren, mittendurch hat der Fluss sein Bett gegraben. Das Westufer wird beherrscht von der 2.480 Meter hohen Maja e Dritës, die Ostwand ragt als kompakte Rampe in den Himmel.
Beste Bedingungen für ganz viel Fortschritt: Ramas umtriebige Regierung hatte geplant, hier oben mehr als vierzig Staudämme zu errichten. Energiegewinnung im großen Stil, europäische Firmen wittern das große Geschäft. Und freuen sich vielleicht zu früh: Nicht nur internationale Naturschutz-Organisationen, auch große Teile der ansässigen Bevölkerung protestieren.
Sie wollen die Umgebung des Flusses mit seinen ausgedehnten Kiesbetten, Altwassern, seinem Schwemmland, seinen Felsdurchbrüchen und seinem reichen, vielfältigen Fischbestand erhalten. Es gibt Demonstrationen vor Ort, Professor Schiemer, bekannter Experte aus Wien, schaltet sich ein und hilft, das internationale Projekt "Save the Vjosa, the blue heart of Europe" zu gründen. Und, kaum zu glauben, der Protest hat Erfolg: Im Frühjahr 2022 wechselt Präsident Edi Rama das Narrativ und ernennt die Region zum Nationalpark – was immer das heißt.
Wir sind bezaubert von der Schönheit des weiten Canyons. Lassen den Camper über eine steile, sehr geröllige Piste ins Bett der Vjosa rollen: Kaludh heißt der stille Ort und ist auf Google Maps als "free camping" ausgezeichnet. Hier steht man ganz nah am Wasser, hört das Rauschen und Klackern im Kiesbett, die Berge spiegeln sich im blauen Wasser. Der richtige Platz zum Baden und Chillen in freier Natur. Bis zum Morgen stört nichts die Idylle, dann wird es laut: Einige, mit Gummibooten beladene Jeeps brummen die steile Piste zu uns ins Flussbett herunter. Und es gibt Ärger, denn wir versperren die Einlassstelle.
Nicht nur Platz machen sollen wir, sondern verschwinden, der Zugang zum Fluss sei Privateigentum. Klar, die Rafter durchlassen wollen wir gerne, aber dem kruden Besitzanspruch nachgeben? Uns gegen die frechen Locals aufzulehnen und auf das neue Nationalpark-Gesetz zu verweisen, lassen wir lieber – dem neuen Status "Nationalpark" zufolge wären auch wir hier sicher fehl am Platz.
Robert aus der Region bringt die Lösung. Nachdem die RafterInnen verschwunden sind, trifft er mit Jeep, Gummiboot und zwei Touristen im Flussbett ein. Er kennt sich bestens aus, betreibt das kleine, nahe gelegene Albturist Ecocamp, grinst breit und klärt die Lage: Wir können bleiben – nennt seine Rafting-Kollegen Angeber, hat noch Platz im Boot und lädt uns ein, mit ihm den blauen Fluss hinabzufahren. Ein tolles Angebot, wir schlagen gerne ein. Und rauschen alsbald unter fachkundiger Anleitung durch die staatlich geschützten Stromschnellen, wild, nass, rau und wahnsinnig intensiv, so geht es bis Përmet hinunter. Was ein Abschluss.
Albanien – Tipps und Infos für CamperInnen
- Anfahrt: Wer wenig Zeit hat, nimmt die – in der Nebensaison sehr günstige – Fähre und schippert bequem von Venedig nach Igoumenitsa. Das gibt’s auch als Camping a Bordo, eine ganz tolle Sache, wenn man früh einklariert und den Campervan direkt an der Reling des Oberdecks parken kann: Dann sitzt man vorm eigenen Auto im Campingstuhl, legt die Beine hoch und schaut unterwegs aufs tiefblaue Wasser. Preise bei directferries.de
- Reisezeit: An der Küste am besten nicht im Juli und August, dann ist es dort zu heiß und zu voll. In den Bergen allerdings sind die Nächte auch im Sommer kühl, da bist du in der Hauptsaison sehr gut unterwegs.
- Mit dem Camper auf der Straße: Von München nach Shkodra sind es 1.200 Kilometer, da braucht man dann doch ein bisschen Zeit, um entspannt zu reisen. Die Straßenverhältnisse auf dem Weg nach Albanien sind mittlerweile passabel, durch Slowenien und Kroatien rollt der Bus durchweg auf teils brandneuen Autobahnen durchs Land. 100 km vor Dubrovnik sogar über die 2,4 Kilometer lange, tolle, von einem chinesischen Staatskonzern errichtete Peljesˇac-Brücke.
- Straßenverhältnisse: Fahrer von Allradbussen kommen in Albanien erheblich weiter: Es gibt eine ganze Reihe von landschaftlich sehr interessanten Pisten, wo man noch unterwegs ist wie hierzulande in den 1960er Jahren. Infos z.B. unter wikiloc.com. Allerdings werden gerade die touristisch attraktiven Pisten nach und nach entschärft, asphaltiert oder zumindest stabilisiert. Was natürlich für die ortsansässige Bevölkerung ein Riesenvorteil ist: Nun müssen sie nicht mehr ihre gebrauchten Mercedes-Autos ruinieren. Auch Besucher mit herkömmlichen Camper-Bussen freuen sich darüber. Tankstellen gibt es im Überfluss.
- Für alle Fälle: grüne Versicherungskarte mitnehmen.
- Gasversorgung: passende Adapter für Autogas besorgen.
- Dokumente/Geld: PA und Fahrzeugpapiere.
- Verpflegung: Geldautomaten, die die Landeswährung Lek (0,80 € sind 100 Lek) ausspucken, gibt es in allen mittelgroßen Städten. Diesel kostet in etwa so viel wie in Deutschland, derzeit 1,85 € bis 1,90 € (Stand 8/22). Lebensmittel sind sehr billig, Mini-Supermärkte gibt es an jeder Kreuzung.
- Handy-Netz, WLAN: Vor Ort kannst du an jedem Kiosk Prepaid-Karten kaufen (zweites, altes Handy zum Aufbau des Hotspots mitnehmen).
- Sicherheit: Angst vor Kriminalität ist sicher einer der Gründe, warum sich immer noch relativ wenig Campervan-Reisende nach Albanien trauen. Da spielen viele Vorurteile mit. Denn wer sich an ein paar – eigentlich überall in Südeuropa gültige – Regeln hält, sollte unbehelligt durchs Land kommen: Den Camper nicht tagsüber an einsamen Plätzen unbeaufsichtigt stehen lassen. Lieber bei Bauern, bei den vielen kleinen Cafés, Restaurants oder mit Schildern gekennzeichneten Pensionen nachfragen, ob man das Auto parken kann. Gegen ein kleines Entgelt von 5 Euro machen das fast alle gern.
- Übernachten: Es gibt tolle Plätze in wilder Landschaft, wo man ohne Probleme die Nacht verbringen kann – bitte nicht im Campingplatz-Stil! (Die App park4night ist mittlerweile auch in Albanien ein brauchbarer Helfer.) Wenn Häuser oder Bauernhöfe in der Nähe sind, auf die Bewohner zugehen, das kommt immer gut an. Nur an den belebten Stränden und Küstenorten sowie in der Nähe der Großstädte sollte man lieber die Campingplätze ansteuern. Derer gibt es – vor allem an der Küste – mittlerweile viele.
- Verständigung: Etliche Albaner können ein paar Brocken Englisch, fast alle Jugendlichen sprechen es passabel. Italienisch ist weit verbreitet. Hände und Füße tun gute Kommunikationsdienste. Merke: Fast alle Bewohner des sehr armen Landes haben Verwandte im Ausland, wo es mittlerweile mehr Albaner gibt als vor Ort. Von deren Überweisungen leben auf dem Land ganze Familienverbände.
- Gesundheit: Bei Bergwanderungen beachten: Im Vergleich zu den Verhältnissen in den meisten Alpenländern ist der albanische Rettungsdienst unterentwickelt. In den Nationalparks wird er von örtlichen, jungen Feuerwehrleuten erledigt (Notrufnummern bei Gaststätten und Hotels nachfragen). Auf dem Land gibt es kleine Krankenstationen, in den Städten große Krankenhäuser nach südeuropäischem Standard. Medikamente nach Euro-Standard sind in den vielen Apotheken erhältlich.
Campen in Albanien
- Theth: Bauernhaus und Hostel Bujtina Zemra Tradites+355 67670801842°24‘34.7"N, 19°45‘53.9"E
- Zvernec Beach: Frei stehen40°31‘21.3"N, 19°23‘18.7"EBitte vorher auf park4night nachschauen, ob es neue Meldungen gibt(evtl. Sperrung wegen Flughafenbau?)
- Albturist Ecocamp: Robert Camping und RaftingPërmet, Vjosatal+355 69981245840°13‘09.6"N, 20°22‘50.8"E
- Frei stehen KaludhVjosa-Ufer40°11‘23.9"N, 20°26‘42.8"E