Bugatti 51, Maserati 8CM und Miller 122 GP
Acht Zylinder hintereinander aufgereiht waren in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren State of the Art im Rennmotorenbau. Zum AvD-Oldtimer-Grand-Prix trafen sich Vertreter aus dem goldenen Zeitalter.
Morgens um halb sieben ist die Welt noch in Ordnung. Selbst am Oldtimer- Grand-Prix-Wochenende liegt das alte Fahrerlager um diese Zeit im Tiefschlaf. Bis Ingo Grimm in Box 27 den Maserati 8CM zündet und wegen des Vorwählgetriebes mit aufgebockter Hinterachse bei erhöhter Drehzahl warmlaufen lässt. Sekunden später erweckt Stephan Rettenmaier nebenan den Reihenachtzylinder des Miller 122 GP. Dann biegt schon Peter Altenbach im Bugatti 51 um die Ecke und hält mit laufendem Motor vor der Box. Jetzt schläft garantiert niemand mehr. Machen wir uns besser schnell aus dem Staub, bevor jemand pampig wird.
Söhne deutscher Einwanderer
Quer durch den Ort Nürburg röhren die drei Vorkriegs-Rennwagen Richtung Einfahrt Nordschleife, wo wir zwischen zwei Regenschauern und Nebelschwaden auf ein paar halbwegs trockene Runden hoff en. Auf der 20,8 Kilometer langen Eifelbahn übernimmt der 1923 gebaute Miller zunächst die Führung, was aus maschinenbau- historischer Sicht in Ordnung ist: „Im Prinzip diente der Miller-Motor mit seinen obenliegenden Nockenwellen ja als Vorbild für die anderen“, erklärt Rettenmaier. Tatsächlich hatten Harry Arminius Miller und sein Motorenchef Frederick H. Offenhauser, beide Söhne deutscher Einwanderer, mit dem Reihenachtzylinder in Los Angeles einen für damalige Verhältnisse unerhört modernen Antrieb gebaut: Eine Zahnradkaskade trieb zwei obenliegende Nockenwellen an, die im Typ 183 zunächst vier, später im Typ 122 zwei Ventile je Brenraum direkt über Tassenstößel betätigten. Aus 122 cubic inches (rund zwei Liter) resultierten 120 PS, mit Kompressor stieg die Ausbeute auf 235 PS – bei 675 Kilogramm Leergewicht. Das genügte für serienweise Siege in Indianapolis.
Lahmt: Der erfolgreichste Rennwagen aller Zeiten
Das Motorendesign wiederum war so genial, dass Fred Offenhauser daraus nach Harry Millers Pleite im Sommer 1933 seinen legendären Vierzylinder entwickelte, der die amerikanischen Ovale bis in die sechziger Jahre dominierte und bis in die Achtziger konkurrenzfähig war. Ähnlich dominant wie Miller in Amerika waren in den zwanziger Jahren auch Ettore Bugattis Kreationen auf europäischen Rennstrecken, der Typ 35 gilt mit 1851 dokumentierten Triumphen zwischen 1924 und 1927 als erfolgreichster Rennwagen aller Zeiten. Sein Reihenachtzylinder begnügte sich mit einer obenliegenen Nockenwelle – der Ästhet Bugatti mit seiner Vorliebe für quaderförmige, glattflächige Motoren hasste den Gedanken an zwei obenliegende Nockenwellen. Ende der zwanziger Jahre aber gerieten die Bugatti 35 vor allem gegen die Alfa Romeo leistungsmäßig ins Hintertreff en. Praktischerweise konnte der Patron 1929 dem in Europa gescheiterten amerikanischen Fahrer Leon Duray zwei Miller abkaufen, die er sofort in Molsheim zerlegen ließ. Bald darauf hatten die blauen Bugatti zwei obenliegende Nockenwellen, hießen nun 51, und das Siegen ging weiter wie gewohnt. Die Gebrüder Maserati dagegen setzten bereits bei ihrer ersten Eigenkonstruktion, dem Tipo 26, auf zwei obenliegende Nockenwellen – Kopfzerbrechen bereitete ihnen eher die Lagerung der langen Kurbelwelle.
Die Lösung fuhr eines abends in Gestalt von Bugatti-Werksfahrer Bartolomeo Costantini auf den Hof: Alfieri Maserati hakte seinen alten Freund unter und führte ihn in die Via Indipendenza in Bologna – und während die beiden zechten, nahm Ernesto Maserati den Bugatti auseinander. Ab 1928 hatte auch der Tipo 26RAchtzylinder aus Bologna eine teilweise rollengelagerte, drehzahlfeste Kurbelwelle. Wer nun mit dem Finger auf Bugatti und Maserati zeigt, sei gewarnt: Bevor Miller und Offenhauser ihren Achtzylinder bauten, zerlegten sie einen Peugeot Grand Prix-Wagen von 1912 – das erste Rennauto mit zwei obenliegenden Nockenwellen und vier Ventilen je Brennkammer. Und den Tassenstößel hatte Offenhauser bei einem Ballot von 1916 abgeschaut. Was der Faszination an den drei Vorkriegs- Rennwagen keinen Abbruch tut, die nun Kurs auf das Karussell nehmen und bald darauf zum Brünnchen stürmen – wo ein einsamer Frühaufsteher neben seinem Wohnwagen gähnt und sich verwundert die Augen reibt. Hätte der zufällige Zeuge das absolute Gehör, würde er möglicherweise bemerken, dass die Zündreihenfolge beim Miller-Motor modifiziert wurde.
Die Reise des Millers
„Bei einem Rennen in England kam tatsächlich einmal ein Zuschauer im Fahrerlager vorbei und fragte, ob wir die Zündfolge geändert hätten, der Achtzylinder klänge so außergewöhnlich“, erzählt Vorkriegs- Spezialist Ingo Grimm, der den 122 GP vor einigen Jahren mit Motoren-Magier Eckart Berg restauriert hat. Dabei vergrößerten die beiden den Hubraum auf 2,7 Liter und änderten zugleich die Zündfolge, um die Vibrationen des 160 PS starken Saugmotors zu mildern. Ausgeliefert wurde der Miller, einer von drei gebauten GP-Wagen, im Jahr 1923 an den amerikanischen Millionärssohn Graf Louis Vorov Zborowski, der damit im Folgejahr im spanischen Sitges auf den zweiten Platz fuhr. Kurz darauf verunglückte Zborowski in Monza tödlich in einem Mercedes. Der Miller ging zunächst nach England und dann nach Neuseeland, wechselte häufig den Besitzer und endete schließlich in Deutschland; seit rund einem Jahr wird der letzte überlebende Miller GP-Wagen von Stephan Rettenmaier bewegt.
„Er fährt sich im Grunde katastrophal“, sagt der Sammler aus Süddeutschland, „aber auch sehr schön: Der Motor hat im unteren Drehzahlbereich viel Kraft, damit ist der Zweisitzer beinahe stadttauglich – das Fahrwerk aber ist nicht besonders, und die Bremsen sind ziemlich schlecht.“ Auf der stark gefluteten Nordschleife hat Rettenmaier mit dem Miller sichtlich zu kämpfen, die vergleichsweise schmalen Räder schleudern meterhohe Wasserfontänen in die Eifelluft. Dennoch ist es gerade die archaische Technik samt zugehörigem, leicht störrischen Fahrverhalten, die der Vorkriegs-Fan schätzt: „Ein Rahmen, ein Motor, etwas Aluminium drumherum, vier Räder – mehr braucht ein Auto nicht.“ Mehr bietet auch der Maserati 8CM nicht, das allerdings in deutlich verfeinerter Form. Erster Besitzer des dunkelroten Monoposto war 1934 der spanische Adlige Jose de Villapadierna, eher ein Herrenfahrer als ein draufgängerischer Pokal-oder-Spital- Pilot. Zum Glück, denn durch die sporadischen Einsätze befindet sich der 8CM auch nach mehr als 70 Jahren weit gehend im Originalzustand.
Bugatti mit einmaligem Klangteppich./strong> „Als der Motor zur Revision geöffnet wurde, war innen noch fast alles original“, sagt Rettenmaier, der mit dem Maserati seit gut zehn Jahren auf der Rennstrecke unterwegs ist. Wichtigster Unterschied zum Auslieferungszustand ist das Viergang-Vorwählgetriebe, das bereits in den Dreißigern eingesetzt wurde: Vor der Kurve wählt der Fahrer mit einem kleinen Hebel den passenden Gang, der beim Tritt auf das Kupplungspedal eingerückt wird. Das erspart nicht nur zeitaufwendiges Herunterschalten mit Zwischengas – angesichts von 280 Kompressor-PS im Methanolbetrieb und 750 Kilogramm Renngewicht ist man froh, beide Hände am Lenkrad zu haben. „Es braucht schon beide Hände zum Gegenlenken, schließlich steuert man im Prinzip mit dem Gaspedal“, erklärt Rettenmaier. Und beschwichtigt: „Insgesamt ist der 8CM sehr gutmütig, man kann ihn immer wieder leicht einfangen.“ Gleiches gilt im Prinzip auch für den Bugatti 51 von Peter Altenbach, auch wenn der blaue Zweisitzer einen etwas giftigeren Ruf hat. Ein genaues Baujahr lässt sich dem Wagen nicht zuordnen, weil er einst aus Teilen zusammengefügt wurde – einem 37er-Rahmen und einem 51er-Motor.
„Das Chassis des Typ 37 ist praktisch identisch mit dem des Typ 35 und 51, der einzige Unterschied sind die Bohrungen für die Bremsseile“, erläutert Peter Altenbach. Das Ganze wurde ordungsgemäß vom englischen Bugatti-Club registriert, und die Marriage bekam die Seriennummer 51. Den Achtzylinder aus Molsheim hat Altenbach vor sieben Jahren erworben, weil, so der 67-Jährige, „ ich bereits einen vierzylindrigen 37A kenne und wissen wollte, wie es es ist, doppelt so viele Zylinder und Nockenwellen zu haben.“ Sein Fazit: „Der Achtzylinder lässt sich deutlich schwerer fahren.“ Noch etwas reizte Altenbach am kompressorgeladenen, 160 PS starken Typ 51: „dieses einmalige Geräusch.“ Tatsächlich webt der Bugatti mit dem Maserati und dem Miller einen einmaligen Klangteppich. Am schönsten klingt es, wenn alle drei gleichzeitig vor engen Kurven wie Aremberg oder Kallenhard zurückschalten und anschließend wieder voll beschleunigen. Für ein paar Runden leben so auf der Nordschleife die wilden zwanziger und dreißiger Jahre wieder auf; als wir zurück ins alte Fahrerlager kommen, wird gerade der erste Kaffee aufgebrüht. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt.