"Paterson": Der große Traum des kleinen Mannes
Kult-Regisseur Jim Jarmusch bringt mit "Paterson" ein wenig schnöden Alltag ins Kino - und zeigt gewohnt charmant dessen Sonnenseiten auf.
Adam Driver kann weit mehr, als den intergalaktischen Miesepeter-Teenager zu spielen, den es auf die "Dunkle Seite der Macht" treibt. Der "Star Wars"-Bösewicht kann auch Bus fahren. Und Gedichte schreiben... Beweisen darf er das in Jim Jarmuschs charmanten Film "Paterson", der vor allem auf den zweiten Blick eine wichtige Botschaft enthält, die einst schon Shia LaBeouf mit drei Wörtchen zu plärren vermochte: "Just do it!"
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Zu Größerem geboren?
"Paterson" erzählt die Geschichte des Busfahrers Paterson (Adam Driver), der genauso heißt wie der Ort, in dem er lebt. Die Kleinstadt in New Jersey und ihre eigentümlichen Bewohner sind die Inspiration für seine Gedichte, die er Tag für Tag in der Mittagspause auf einer Parkbank verfasst. Die Welt seiner Frau Laura (Golshifteh Farahani) dagegen ist im ständigen Wandel. Fast täglich hat sie neue Träume, jeder einzelne von ihnen ein anderes, inspirierendes Projekt.
Paterson, auf der anderen Seite, scheint sich mit dem ewig steten Trott des Alltags arrangiert zu haben. Jeden Morgen wacht er um Viertel nach 6 von alleine auf, ehe ihm sein Wecker zuvorkommen kann. Ein Kuss für seine Liebste, ein kurzes Frühstück - dann ab in seinen Bus. Jeden Abend wird dann der unliebsame Hund bis vor die örtliche Bar mitgenommen, ein Bierchen getrunken und darin mit den skurrilen Nachtschwärmern über dies, das und jenes palavert. Und danach? Da beginnt der ganze "Spaß" von vorne.
Der moderne Sisyphos
Sieht man sich Jim Jarmuschs ruhige, kleine Charakterstudie an, schlängelt sich der Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" ins Bewusstsein - mit dem feinen Unterschied, dass Adam Driver, anders als Bill Murray, in keiner übernatürlichen Zeitschleife gefangen ist. Er steckt im zuweilen unerträglich normalen und sterbenslangweiligen Alltag fest. Er lebt ein Leben, das so festgefahren ist, dass es Spurrillen zu haben scheint. Nur die Poesie ist seine Flucht aus diesem Trott - und wie fragil dieser Kompromiss ist, den er unbewusst mit sich selbst geschlossen hat, muss Paterson bald feststellen.
Das Gefühl, dass man sich von Arbeitstag zu Arbeitstag hangelt, kennt wohl jeder Berufstätige, der nicht gerade für Hugh Hefner auf der Playboy-Mansion arbeitet. Und selbst an Nackedeis soll sich manch einer schon sattgesehen haben. Paterson ist das Sinnbild für jedermann, der lieber auf Nummer sicher geht, als ein Risiko einzugehen. Versuchen, sein Hobby zum Beruf zu machen und riskieren, unterzugehen... oder lieber mit dem unliebsamen Job den Kopf gerade so über Wasser halten?
Charmant bis melancholisch
Bevor nun ein falscher Eindruck entsteht: "Paterson" von Jim Jarmusch ist keine bierernste, knochentrockene Suche nach dem Sinn des Lebens. Jeder Tag von insgesamt einer gezeigten Woche in Patersons Leben und das seiner schrulligen, aber nicht unsympathischen Frau gleicht der Folge einer TV-Serie: Immer nach demselben Schema aufgebaut und mal mit Drama, mal mit Spaß und mal mit Liebe versetzt. Ein normales Leben eben, das nur in den seltensten Fällen eine filmtypische Klimax zu bieten hat. Und genau deshalb verzichtet "Paterson" auch darauf. Ohne jeden Zweifel wird das von vielen Zuschauern mit Langweile gleichgesetzt. Ebenso vielen könnte "Paterson" aber auch aus der Seele sprechen.
Fazit:
Adam Driver als poetischer Busfahrer (oder doch eher busfahrender Poet?) spricht wie alle Jarmusch-Filme ein ganz spezielles Publikum an. Wer auf nervenaufreibende Höhepunkte und schallende Pointen hofft, wird unweigerlich enttäuscht. Für Grübler hingegen, die vielleicht, eventuell, möglicherweise, irgendwann aus ihrem Alltagstrott ausbrechen wollen, kann er ein Weckruf sein. Und wann kann man das schon von einem Film behaupten?