Stephen Kings "Es": Ein schauderhaftes Remake - im besten aller Sinne
Eine Neuverfilmung, die die Welt gebraucht hat? Das hat es schon lange nicht mehr gegeben - bis jetzt! Stephen Kings "Es" und Horror-Clown Pennywise sei Dank.
Die kunterbunte Halbglatze nach oben drapiert, eine rote Nase im schneeweißen Gesicht, die blutroten Lippen umspielt ein manisches Grinsen. Wer auch immer dachte, dass Clowns die perfekte Frühunterhaltung für Kinder seien, für den muss ein besonderer Platz in der Hölle reserviert sein. Für Menschen mit sogenannter Coulrophobie, der Angst vor Clowns, gibt es jenen Platz im Fegefeuer hingegen ab dem 28. September für rund 135 Minuten im Kinosaal. "Schuld" daran ist eine ausgesprochen gelungene Neuverfilmung des Stephen-King-Klassikers "Es".
Etwas ist faul im Staate Maine
Was ist nur los in dem beschaulichen Städtchen Derry im US-Bundesstaat Maine? Immer wieder verschwinden Menschen, zumeist Kinder, und keiner der Erwachsenen scheint sein Herzblut darin zu stecken, nach den Vermissten zu suchen. Als auch Bill Denbroughs (Jaeden Lieberher) kleiner Bruder Georgie auf spurlose Art und Weise verschwindet, macht sich der Junge gemeinsam mit seinen sechs Freunden Richie (Finn Wolfhard), Eddie (Jack Dylan Grazer), Beverly (Sophia Lillis), Ben (Jeremy Ray Taylor), Stanley (Wyatt Oleff) und Mike (Chosen Jacobs) auf, das Geheimnis zu lüften - und wünscht sich schon bald, dass er es nicht getan hätte...
Denn bei ihren Nachforschungen stoßen die Kids rasch auf ein grausiges Wesen, das im Kanalisationssystem unter der Stadt haust und die Form der schlimmsten Alpträume seiner Opfer annehmen kann. Zumeist jedoch tritt das Monstrum in Gestalt des grauenhaften Clowns Pennywise (Bill Skarsgård) auf, der seine Beute auf sadistische Weise erst um den Verstand und schließlich um die Ecke bringt. Doch mit einem hat das Scheusal nicht gerechnet: der Zusammenhalt der als "Club der Loser" verschrienen Freunde kann es doch glatt mit seiner puren Boshaftigkeit aufnehmen.
Clownschuhgroße Fußstapfen
Viele Fans der Romanvorlage werden sich noch nostalgisch an den Fernseh-Zweiteiler aus dem Jahr 1990 erinnern, in dem der Horrorclown herrlich überzeichnet von Schauspieler Tim Curry (71) verkörpert wurde. In einer - wenn man besagte Nostalgiebrille kurz ablegen kann - aus heutiger Sicht teils unfreiwillig komischen Verfilmung, war es Curry, der ohne Wenn und Aber den Reiz des Films ausmachte und die Rolle auf ewig für sich gepachtet zu haben schien. Würde ein blutjunger Nachfolger wie Bill Skarsgård (27)diesem ikonischen Filmmonster auch nur im Ansatz gerecht werden können?
Die Antwort darauf ist ein durch Mark und Bein dringendes "Ja"! Vielleicht noch nicht in der allerersten Szene, in der bei alteingesessenen Fans die Skepsis noch überwiegen mag, da Pennywise das Potenzial seiner Fratze nicht voll ausspielt. Doch das soll sich im Verlauf des Streifens noch eindrucksvoll ändern.
Jeder der beiden Schauspieler hat die Rolle auf unterschiedliche Weise interpretiert, was dem Remake nur noch eine größere Daseinsberechtigung einräumt. Ähnlich wie Heath Ledger, der bei der "Batman"-Reihe bekanntlich auf Jack Nicholsons Joker folgte, hat Skarsgård seinen ganz eigenen Ansatz gefunden, der ebenfalls das Potenzial hat, Filmgeschichte zu schreiben. Denn bei ihm wirkt Pennywise wie eine tollwütige, hungrige und knurrende Bestie, was Currys zuweilen bewusst alberne und auf seine Art nicht minder furchteinflößende Darstellung geschickt konterkariert.
Die Schrecken lauern überall
Doch wie schon in der umfangreichen Romanvorlage von King ist es eben nicht nur das offensichtliche Monstrum, das die Protagonisten quält. Auf jeden der sieben Freunde lauert im eigenen Zuhause, jenem Ort, der eigentlich für Geborgenheit und Sicherheit stehen soll, ein ganz persönlicher Schrecken. Die hypochondrische Übermutter, der zu fordernde oder zu teilnahmslose Familienpatriarch - oder im Fall von Protagonistin Beverly ein grapschendes Scheusal von einem Vater. Ob in symbolhafter oder tatsächlicher Form, "Es" schafft es wie seine Buchvorlage noch einmal all die Kindheitsängste aus dem Unterbewusstsein zu kramen, die man in all den Jahren so gekonnt verdrängt hat.
Das mag in Fällen wie dem Gang in den düsteren Keller mit all seinen lauernden Schatten zwar keine Innovationspreise gewinnen. Regisseur Andrés Muschietti inszeniert aber selbst derart stark abgedroschene Horrorszenarien so geschickt, dass auch erfahrene Grusel-Aficionados sich in ihren Kinosessel krallen. Immer vorausgesetzt, sie erwarten keinen stumpfsinnigen Splatter oder eine lieblose Aneinanderreihung von Jump-Scares. Auf beides setzt zwar auch "Es" in feinen Dosen, aber eben nicht nur. Was die Freigabe ab 16 Jahren hierzulande erklärt.
Die Sonderlinge sollen es richten
Nicht minder wichtig wie das Filmmonster ist aber auch die tapfere Gruppe an Sonderlingen, die sich ihm in den Weg stellt. Wer auch immer für das Casting der Kinder verantwortlich war, er oder sie darf sich lobend selbst auf die Schulter klopfen. Gleich sieben Kids zu finden, die nicht nur ihren Romanvorlagen gerecht werden, sondern in einem Film mit Überlänge nicht eine Sekunde nerven - das ist große Castingschule.
Jetzt kann in einem Film mit etwas über zwei Stunden natürlich nicht annähernd so ein Tiefgang wie im Roman erwartet werden - der erschlug einen je nach Taschenbuchausgabe immerhin mit über 1.500 Seiten an Details zu den Charakteren. Mehr als genug Fleisch an die Knochen hat ihnen das Drehbuch aber verliehen, dass man um einen jeden der liebenswerten Außenseiter bangt. Selbst, wenn man doch eigentlich die Vorlage und damit das Schicksal der Protagonisten kennt. Bei der Interaktion der Kinder untereinander werden Erinnerungen an die Serie "Stranger Things" wach. Oder, für ältere Semester, an "Die Goonies". Auf den zweiten Teil von "Es" müssen die Grusel-Fans allerdings noch eine Weile warten. Der soll erst 2019 in die Kinos kommen. Als US-Starttermin wurde der 6. September 2019 bekannt gegeben.
Fazit:
Erscheint ein Remake zu einem Kultklassiker, tut es im Optimalfall zumindest keinem Fan der Vorlage weh. Selten jedoch erarbeitet es sich durch tolle Jung-Schauspieler, eine clevere Weiterentwicklung des Bösewichts und eine generelle Frischzellenkur so eindrucksvoll seine Daseinsberechtigung, wie Stephen Kings "Es". Wer kein Problem damit hat, in Zukunft die Straßenseite zu wechseln, sollte einem ein Clown entgegenkommen - "Es" ist diesen Umstand allemal wert.