Wie rassistisch ist Hollywood?
Spike Lee ist der Kragen geplatzt: Die großen Hollywood-Studios agierten rassistisch, findet der Regisseur - und boykottiert die Oscars. Tatsächlich bestätigen Statistiken und Erfahrungsberichte seine Meinung.
Manchmal bringt eine kleine, eher symbolische Geste das Fass zum Überlaufen. Oder zumindest eine kurzfristige Lawine der Empörung ins Rollen. Am Donnerstag hatte die Academy die Nominierten für die Oscars 2016 bekannt gegeben - und zum zweiten Mal in Folge fanden sich nur weiße Künstler in der Liste für die Schauspieler-Awards. Auch die Darsteller von hochgelobten Filmen wie "Straight Outta Compton" gingen leer aus.
Ein Making-Of zu "12 Years A Slave" können Sie bei Clipfish sehen
Nun wollen unter anderem Jada Pinkett Smith (44) und Star-Regisseur Spike Lee (58, "Summer of Sam") die Award-Nacht boykottieren. Lee aus sehr grundsätzlichen Erwägungen. Nicht die Oscars seien das Problem, sondern die "Gatekeeper" in den Chef-Büros der Studios - jene Menschen, die Aufträge erteilen, Scripte und Casts absegnen, erklärte er. "Die Wahrheit ist, dass wir in diesen Räumen nicht vertreten sind. Bis Minderheiten es dorthin schaffen, werden die Oscar-Nominierten blütenweiß bleiben", schrieb Lee in einem Instagram-Post. Das ganze Filmgeschäft sei eben weiß.
Weiße Männer scheinen Hollywood am lukrativsten
Tatsächlich lässt sich die These des Regisseurs zumindest nicht rundheraus von der Hand weisen. Die Oscars sind dabei die Spitze des (weißen) Eisbergs: So weisen die Annalen der Academy Awards etwa gerade mal 15 Oscar-Gewinner dunkler Hautfarbe in den Kategorien Beste/r Haupt- und beste/r Nebendarsteller/in aus - von Sidney Poitier im Jahr 1963 bis Lupita Nyong'o (32) im Jahr 2013. Den Oscar für die Beste weibliche Hauptdarstellerin hat gar nur einmal eine afroamerikanische Mimin gewonnen: Halle Berry (49) war es, 2001, für ihre Rolle als Leticia Musgrove in "Monster's Ball".
Tiefer in die Strukturen Hollywoods zu blicken ist schwieriger. Aber es gibt Statistiken, die Spike Lees Bauchgefühl bestätigen. So hat die Webseite "fusion.net" im vergangenen Sommer 120 erfolgreiche US-Biopics nach Hautfarbe ihrer Protagonisten ausgewertet. Das Ergebnis: 99 handelten von Weißen, nur 21 von farbigen Menschen - inklusive Afroamerikanern, Latinos oder Menschen asiatischer Herkunft. Heldengeschichten weißer Männer scheinen Hollywood offenbar am lukrativsten. Filme wie "12 Years A Slave" - der Nyong'o ihren Oscar bescherte - sind Ausnahmen.
Einen anderen Anhaltspunkt gibt auch eine Studie aus dem Jahr 2015. Das Papier der San Diego State University untersuchte eigentlich, wie oft Frauen in den erfolgreichsten US-Filmen des Jahres 2014 auftauchten. Aber es liefert auch ein paar Seitenerkenntnisse: Etwa, dass 30 Prozent aller Figuren mit Sprechrolle Frauen waren - und von diesen wiederum 74 Prozent Weiße. Elf Prozent der Schauspielerinnen mit Sprechrolle waren dunkler Hautfarbe. Ein Rückgang von vier Prozent im Vergleich mit dem Jahr 2002. Durchaus plausibel also, dass wenige Oscar-Nominierungen auch mit wenigen Auftritten in Zusammenhang stehen.
Johnny Depp als Indianer? Ein Flop!
Dann gibt es natürlich auch noch prominente Fälle, in denen selbst den ethnischen Minderheiten Hollywoods offensichtlich auf den Leib geschriebene Rollen an die üblichen Verdächtigen vergeben wurden: Jake Gyllenhaal als "Prince of Persia", Keanu Reeves als halb-japanischer Schwertmeister in "47 Ronin", Johnny Depp als Indianer "Lone Ranger". Das freilich könnten auch "Sicherheitsentscheidungen" der Studios für bekannte Namen gewesen sein. Die übrigens alle nach hinten losgingen und an den Kassen floppten.
Auch bekannte Stars nicht-weißer Hautfarbe erzählen gerne von ihren Schwierigkeiten. Benicio del Toro (48, "Sicario") berichtete unlängst, man habe ihm vor seinen ersten Castings in den USA dazu geraten, seinen Namen zu ändern: "Vielleicht ist es einer der größten Fehler die ich begangen habe, meinen Namen nicht zu ändern", klagte er. Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong'o erzählte der "Elle", sie habe als Teenagerin darunter gelitten, sich im Fernsehen und in Magazinen nicht repräsentiert gesehen zu haben: "Wenn du den Fernseher anschaltest und in diesem Programm nicht repräsentierst wirst, wirst du unsichtbar für dich selbst."
Nicht viel Arbeit für farbige Schauspieler
Ob Quoten weiterhelfen würden, bleibt gleichwohl fraglich: Auch Kino ist Kunst und sollte nach künstlerischen Maßstäben auf die Leinwand gebracht werden, genauso wie Oscars nach diesen Maßstäben verliehen werden sollten. Aber möglich scheint es doch, dass Hollywood vor allem einem vergleichsweise kleinen Teil des Publikums und eingefahrenen Sehgewohnheiten hinterher eilt. Und zwar schon lange. Der Blogger Dylan Marron schneidet in seinem Blog "Every Single Word Spoken By A Person Of A Colour In..." alle Sätze farbiger Schauspieler in Filmen jeweils in kleine Youtube-Clips. Viel kommt dabei meist nicht zusammen.
Auch Marron hatte sich früher als Schauspieler bei Castings versucht. Seine persönliche Wahrnehmung dieser Termine fiel ernüchternd aus, wie er der Webseite "attn.com" erzählte. "Aus diesen Castings kam es manchmal zu Treffen mit Agenten, und die Agenten erklärten mir mit verschiedenen Codes oder manchmal auch ganz offen, dass es da draußen nicht viel Arbeit für mich geben werde und dass ich niemals eine Rolle als romantischer Held bekommen würde." Aufmerksamkeit erhält Marron mittlerweile zumindest: Sein Blog wurde 2015 zur Nummer 1 der "viralen Blogs" auf der Plattform Tumblr gekürt.