Harald Lesch: "Dieser offensichtliche Wahnsinn macht mir Angst"
Sprachlos ist Harald Lesch eigentlich selten. Ganz im Gegenteil findet der beliebte Professor in seinen TV-Sendungen doch meist so passende wie unterhaltsamen Worte, sei es zu Klimawandel und Energiewende, Mobilität und KI oder Smartphones und Haustieren. Nach dem Ende seines "Kosmos" im vergangenen Jahr arbeitet sich der 64-Jährige in seinem neuen "Terra X"-Format weiter unermüdlich durch die gesamte Bandbreite der Forschung - und klärt mit der Macht der Fakten darüber auf, wie unsere Welt funktioniert und was sie gefährdet. Neben gesellschaftlich und alltagsrelevanten Themen widmet sich der Naturphilosoph immer wieder auch den existenziellen, so wie nun im zweiten Teil von "Terra X: Die großen Fragen". In drei Episoden ergründet Lesch, ob es die Seele, das Schicksal und Aliens wirklich gibt (ab 18. Mai, sonntags, 19.30 Uhr, ZDF) . Und auch wenn es dem Astrophysiker angesichts des Lebens nach dem Tod und auf anderen Planeten manchmal die Sprache verschlägt: So wirklich sprachlos machen ihn bisweilen nur die grassierende Wissenschaftsskepsis und weltweite politische Irrationalität.
teleschau: Herr Lesch, woran denken Sie, wenn Sie morgens aufwachen: an Ihr Frühstück, an die politische Lage oder manchmal auch an die großen existenziellen Fragen?
Harald Lesch: Ich denke morgens meistens an meine Familie. Der erste Gedanke ist oft: Wie schön, dass alle gesund sind - und mal schauen, was der Tag bringt. Zur Weltlage kann man inzwischen nur noch "Ballaballa" sagen, das brauche ich da gar nicht zu erörtern. Man kann nur hoffen, dass viele von den Verrückten, die gerade auf der Welt agieren, irgendwie verschwinden.
teleschau: Was macht diese zugespitzte politische und gesellschaftliche Lage mit Ihnen?
Lesch: Als jemand, der im rationalen Denken sehr trainiert ist, fühlt man sich auf dem Planeten Erde gerade etwas fremd. Es ist deshalb so schwierig geworden, weil man nicht mehr wirklich analysieren kann, was aktuell passiert. Es ist verborgen in der Irrationalität, hinter einem merkwürdigen Nebel aus sehr viel Kränkung. Psychologie spielt eine große Rolle - und damit kenne ich mich nicht aus. Ich kann nicht mehr bewerten, warum Menschen das tun.
teleschau: Können Sie ein Beispiel nennen?
Lesch: Ich kann beispielsweise nicht verstehen, dass Putin die Ukraine angegriffen hat. An seiner Stelle hätte ich eine Charmeoffensive Richtung Europa gestartet. Ich verstehe auch nicht, was Trump mit seinen Zöllen macht. Und ich finde es beunruhigend, wenn Fachleute für US-Politik nur noch mit den Schultern zucken und nicht wissen, was sie dazu noch sagen sollen. Wenn Experten nicht mehr erklären können, was geschieht. Das bereitet mir Sorgen. Dieser offensichtliche Wahnsinn macht mir Angst und beunruhigt mich.
"Diese Naivität gönne ich mir einfach"
teleschau: Wie blicken Sie auf die Situation in Deutschland? Hat es Sie geärgert, dass im Bundestagswahlkampf das Thema Klimaschutz praktisch nicht vorkam?
Lesch: Man kann das natürlich auch anders bewerten. Hinter dem Schweigen der Politik steckt eine second story: Dass nämlich richtig viel passiert. Sonst hätten wir nicht immer mehr Erneuerbare im Stromsektor. Man sieht auf allen möglichen Dächern plötzlich Voltaik-Anlagen, man sieht Balkonkraftanlagen und Windräder, wo man vorher gar keine sah. Ganz unabhängig von dem ganzen Geschwafel passiert etwas.
teleschau: Was denn?
Lesch: Dass die erneuerbaren Energien mit Blick auf Effizienz und Kosten so viel besser sind. Klar: Es gibt die großen Schreier, die das nicht wollen, und die leisen Meckerer, die das hässlich finden. Und dann gibt es die, die es machen. Das geschieht, ohne dass die Gesellschaft viel davon mitbekommt. Ich zum Beispiel habe seit einiger Zeit ein Elektroauto und bin vom Netz an Ladestationen überrascht. Wenn man denkt, dort gibt es gar keine, sind doch welche.
teleschau: Was bedeutet das für hitzig geführte Debatten wie jene über den Klimawandel?
Lesch: Vielleicht wäre es gut, wenn Sachthemen aus der Politik verschwänden.
teleschau: Wirklich?
Lesch: Ja, weil sie eigentlich durch Fachleute geklärt werden müssen. Und nicht durch Politiker, die im Wesentlichen mit Interessen zu tun haben und nicht mit Inhalten.
teleschau: Für wie realistisch halten Sie solche Experten-Kommissionen? Aktuell scheint ja weltweit eher das Gegenteil der Fall zu sein ...
Lesch: Daran sehen Sie natürlich, wie naiv ich rangehe. Aber diese Naivität gönne ich mir einfach. Das kann ja auch mal eine Position sein, aus der man etwas mehr sieht. Anstatt immer im Sumpf des Praktischen zu bleiben. Das Naive ist eine Art Flugposition: Was wäre möglich, wenn es schöner und besser wäre? Ich glaube: Es ist besser für die Gesellschaft, wenn wir uns in den Wissenschaften diese politische Naivität bewahren.
teleschau: Was wäre daran besser?
Lesch: Wenn wir zu Inhalten beraten wollen, dann können wir uns nicht gleichzeitig einschränken, weil wir glauben, dass uns der eine oder andere Politiker sowieso nicht zuhört. Ich geh' da einfach hin wie der Narr am Hof des Königs (lacht). Und dann sage ich: "Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt für dich genauso wie für deinen politischen Gegner." Die Natur ist kein Parteimitglied. Dabei bleibe ich - zumal es auch ein bisschen lustig und provozierend ist, so als Fremdkörper in diesen politischen Meinungsdiskursen.
"Die Bezeichnung Aktivist ist für mich ein Lob"
teleschau: Müsste sich die Wissenschaft denn angesichts der aktuellen Debatten nicht mehr politisch einmischen?
Lesch: Wenn ich ein Paper darüber veröffentliche, warum Kernkraft zu teuer und ineffizient ist, dann ist das schon ein Einmischen in die politische Diskussion. Aber, auch wenn ich immer wieder verdächtigt werde, eine grüne Agenda zu fahren: Ich fahre nur die Agenda der Thermodynamik. Energie hat keine Farbe. Und wenn, dann wäre sie wahrscheinlich regenbogenfarben.
teleschau: Sie wurden schon öfter als Aktivist bezeichnet ...
Lesch: Die Bezeichnung Aktivist ist für mich ein Lob. Wenn mich jemand fragt, ob ich einer sei, frag' ich immer zurück: "Warum Sie denn nicht?" Eigentlich müssten wir doch alle Aktivisten sein, wenn die Welt so ist, wie sie ist. Wir müssten ein erhebliches Interesse daran haben, dass sie besser wird. Oder aber es liegt an meiner Art, dass man mich so nennt ...
teleschau: Sie meinen ihr zugewandtes Auftreten?
Lesch: Vielleicht komme ich zu sympathisch rüber. Ich bin nicht verhärmt und bin um keinen Kalauer verlegen. Und ich habe so viele verschiedene Verfahren, dass das sogar manche Leute nett finden, die mich gar nicht mögen (lacht). Aber ich strebe das auch an: großzügig sein, fröhlich sein. Einfach ein angenehmer Zeitgenosse zu sein. Mehr will ich gar nicht.
teleschau: In Ihren Sendungen lassen Sie immer wieder auch eigene Erfahrungen einfließen und betten das in Ihre Erzählungen ein, ein wenig wie am Lagerfeuer ...
Lesch: Ich bin ein Geschichtenerzähler. Wenn Sie mich im Mittelalter getroffen hätten, ich hätte auf dem Marktplatz gesessen und erzählt (lacht)!
teleschau: Wenn Sie nun aber auf die letzten Jahre und die steigende Skepsis gegenüber der Forschung zurückblicken: Hat sich Ihre Art verändert, Wissenschaftsfernsehen zu machen?
Lesch: Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich dasitze und nichts sagen kann. Wenn ich völlig blank bin angesichts der Vorwürfe, der Härte des Gesprächs und der Unbeugsamkeit der Positionen. Der wissenschaftliche Grundsatz lautet: Wenn eine Tatsache die Theorie nicht bestätigt, dann ist die Theorie eben falsch. Ende der Durchsage. Und dann halten die Leute trotzdem noch daran fest ...
teleschau: Da kann man nur sprachlos bleiben?
Lesch: Neulich hatte ich eine Begegnung mit einem U-Bahn-Fahrer, der sagte mir: "Herr Lesch, schön, dass wir uns sehen, ich liebe Ihre Sendungen. Aber bei einer Sache sind wir uns nicht einig: Kugel oder Scheibe?" Natürlich ist die Erde eine Kugel, antwortete ich. Er verneinte das. Da war ich fassungslos. Und das ist noch ein lustiges Beispiel, es gibt natürlich diese ganz harten und unangenehmen Varianten. Und das hat sich im Laufe der Jahre verstärkt.
teleschau: Was verwundert Sie daran am meisten?
Lesch: Wie viele Persönlichkeiten ein Mensch enthalten kann! Sie nutzen die Technologie und damit die Wissenschaft in Grundform. Und gleichzeitig glauben sie an irgendwelche magischen Dinge. Rosenquarz, Globuli und so ein Zeug. Das hat zugenommen. Ich bin sprachloser, aber ich muss auch mehr schmunzeln.
"Ich würde gern wissen, ob es eine Seele gibt"
teleschau: In Ihren Sendungen klären Sie dennoch unermüdlich auf. Richten Sie die Themenwahl auch nach aktuellen relevanten Debatten?
Lesch: Relevante Themen oszillieren natürlich immer stark. Auf das eine folgt gleich das nächste. Mir ist als Wissenschaftsjournalist wichtig, möglichst die gesamte wissenschaftliche Landschaft zu durchforsten und das im Medium Fernsehen respektive Online zugänglich zu machen. Neben mir steht immer Aristoteles mit dem Satz: "Der Anfang von Wissenschaft und Philosophie ist das Staunen." Das ist, was mich umtreibt: Das Bemerkenswerte - also: dass es wert ist, bemerkt zu werden.
teleschau: Ist es für Sie noch einmal eine andere Stufe, wenn Sie sich wie nun in Ihren aktuellen drei "Terra X"-Folgen den "großen Fragen" widmen anstatt politischen und lebensweltlichen Themen?
Lesch: Die großen Fragen sind ja eigentlich anthropologische Konstanten. Die können wir nicht wirklich beantworten. Sie werden in jeder Generation und in jeder Zeit immer wieder neu gestellt. Und dann gibt es wieder neue Hinweise auf das eine oder das andere. Und wir zeigen auch Dinge, die wirklich unglaublich sind - und trotzdem im wissenschaftlichen Experiment nachgewiesen. Ich hab' es nicht fassen können!
teleschau: In den Sendungen widmen Sie sich den Fragen nach der Existenz von Seele, Schicksal und Außerirdischen. Wenn Ihnen jemand eine der Fragen sofort beantworten könnte, welche würden Sie gerne stellen?
Lesch: Ich würde gern wissen, ob es eine Seele gibt. Für das individuelle Schicksal - das steckt da nämlich auch schon drin - wäre das sicherlich die größte Sache: Wenn es wirklich eine menschliche Seele gäbe - wow! Die Außerirdischen hingegen sind weit weg, davor sind wir sicher. Außerdem: Wenn die uns lang genug beobachtet haben, kommen die sowieso nicht her. Da wird gerade durch die ganze Milchstraße telefoniert, wie Ballaballa wir sind (lacht) ...