Die neue Wahrheit über Steve Jobs
Die deutsche Fassung der Steve-Jobs-Biografie "Becoming Steve Jobs" ist seit dem heutigen Montag im Handel. Die bereits zweite Biografie über den Apple-Gründer beschreibt den kalifornischen Computer-Visionär als versöhnlichen Hitzkopf.
Wie viele Wahrheiten gibt es über Steve Jobs, den legendären Apple-Gründer? Wie war er wirklich? Am Abbild des kalifornischen Computer-Visionärs, der nur 56 Jahre alt wurde und 2011 an Krebs starb, haben sich zahlreiche kluge Köpfe abgearbeitet. Heute erscheint in Deutschland eine neue Biografie, "Becoming Steve Jobs" (Siedler-Verlag, 513 Seiten, 21,99 Euro). Geschrieben haben das Buch die beiden amerikanischen Tech-Journalisten Brent Schlender (Wirtschaftsmagazin "Fortune") und Rick Tetzeli (Technologie-Magazin "FastCompany"). Doch warum jetzt eine neue Jobs-Biografie?
Walter Isaacsons "Steve Jobs"
Bereits vor vier Jahren war das Buch "Steve Jobs" erschienen, verfasst vom renommierten Schriftsteller Walter Isaacson. Er wurde von Jobs persönlich als Biograf ausgesucht und hatte ihn innerhalb von zwei Jahren über 40 Mal getroffen und interviewt, vor und nach seinem krankheitsbedingten Rücktritt als Apple-CEO. Isaacson sprach nicht nur mit Jobs, sondern auch mit Freunden, Weggefährten und Familienangehörigen. Das Manuskript hatte Jobs noch kurz vor seinem Tod autorisiert. Isaacsons Werk und seine Skizzen des Apple-Gründers waren also in dessen Sinn.
Der Schriftsteller lieferte jedoch keine willfährige Auftragsarbeit ab, sondern zeichnete das überaus spannende Bild eines widersprüchlichen Charakters. Genial, aber schwierig. Fantasievoll, doch egoistisch und bisweilen brutal im Umgang mit anderen. Von brillanter Intelligenz, doch esoterisch veranlagt, stur und uneinsichtig, selbst als es darum ging, seine Krebserkrankung mit allen Mitteln der Schulmedizin zu behandeln, Jobs zeitweise aber nur eine Akupunktur-Therapie und eine obskure Gemüsediät zuließ.
Dieses Image hatte sich in den letzten Jahren verfestigt, und das erschien den Apple-Oberen als ein zu negatives Bild: Genialer Visionär und ein schrecklicher Chef.
Schlender und Tetzeli zeichnen ein etwas anderes Bild
In Schlenders und Tetzelis neuem Buch heißt es wörtlich: "Steve, der aufgeblasene Mistkerl, der in seinem starrköpfigen Perfektionswahn jeden anderen verachtete; Steve, der sich für smarter hielt als alle anderen und keinen Ratschlag annahm; der, kurz und gut, von seinem ersten bis zum letzten Tag halb Genie, halb Arschloch gewesen war. Nichts davon stimmt mit meiner persönlichen Erfahrung des Menschen Steve Jobs überein. Mir kam er viel komplexer, viel menschlicher, viel sentimentaler und auch viel intelligenter vor als der Mann, den ich in den vielen Berichten und Nachrufen beschrieben fand."
Apple-Designchef Jony Ive urteilte vernichtend über das Buch von Isaacson: Seine Achtung für dieses Werk "könnte nicht geringer sein". Auch Jobs Nachfolger Tim Cook äußert in dem neuen Buch freimütig seinen Ärger über die Isaacson-Biografie. Sie habe dem Verstorbenen einen "enorm schlechten Dienst erwiesen"; sie sei ein Zusammengeschreibsel bekannter Sachverhalte gewesen und habe sich nur auf einen kleinen Teil von Jobs Persönlichkeit fokussiert. "Man bekommt das Gefühl, dass er ein gieriger, selbstsüchtiger Egomane war." Und: "Die Person, über die ich dort gelesen habe, ist jemand, für den ich nicht so lange hätte arbeiten wollen."
Tim Cook und sein großzügiges Angebot
Cook hatte Jobs angeboten, einen Teil seiner Leber für das von Metastasen befallene Organ des Chefs zu spenden. Laut Isaacson sei Steve dabei völlig ausgerastet. "Er ist hochgeschossen im Bett... Und das war in einer Zeit, als die Dinge wirklich schlimm standen. Steve hat mich in den 13 Jahren, in denen ich ihn kannte, nur vier- oder fünfmal angeschrien und das war eine der Situationen." In Schlenders und Tetzelis Buch liest sich das etwas anders. Demnach habe Jobs auf Cooks Angebot beherrscht aber entschieden reagiert: "Nein, das machen wir nicht."
"Wissen Sie überhaupt etwas über Computer?"
Auch die beiden Journalisten kannten Jobs gut und haben ihn und seine atemberaubende Karriere über Jahre hinweg begleitet und ihn mehrmals interviewt. Sie kannten seine Ungeduld, vor allem mit Reportern. "Wissen Sie überhaupt etwas über Computer?", habe Jobs einen der beiden angemacht. "Keiner, der für die großen nationalen Magazine schreibt, hat auch nur eine Scheißahnung von Computern. Der letzte Mensch, der für das Wall Street Journal über mich schrieb, kannte nicht mal den Unterschied zwischen einer Festplatte und einer Diskette."
Auch Schlender und Tetzeli beschreiben einen unbeherrschten Jobs, der allerdings dann wieder einsichtig wird und sich sogar entschuldigen kann. Sie lassen als Zeugen den langjährigen Apple-Marketing-Chef Regis McKenna zu Wort kommen: "Er hatte ein schnelles, reaktionsfreudiges Temperament, aber er hat mich nie angeschrien. Er war auch nie sauer auf mich. Waren wir manchmal unterschiedlicher Meinung? Ja. Haben wir gestritten? Ja. Aber wir haben uns auch sehr, sehr gut verstanden. Ich hatte eine Assistentin, die mir erzählte, dass Steve sie angerufen hatte, weil er etwas wollte, und sie angeschrien und dabei eine Menge Wörter mit vier Buchstaben genutzt habe. Als ich Steve das nächste Mal sah, sagte ich zu ihm: 'Hey, mach das nie wieder.' Sie erzählte mir, das nächste Mal als er sie traf, sei ihm das alles sehr peinlich gewesen, und er habe sich entschuldigt."
Und der Microsoft-Gründer Bill Gates, der Apple besucht hatte, wird wie folgt zitiert: "Steve zog sich einen Mitarbeiter aus der Gruppe heraus und sagte: 'Deine Arbeit ist eine solche Scheiße, und du bist so ein Idiot.' Die Gruppe musste dann entscheiden, okay, lassen wir ihm das durchgehen, oder mögen wir den Typen wirklich? Die konnte durchaus später zu Steve gehen und sagen: 'Hey, komm schon, es gibt nicht viele Leute, die wir einstellen können und die auch nur ansatzweise so gut sind wie der Typ. Geh zurück zu ihm und entschuldige dich.' Und das tat er dann."
Aufbrausend, aber auch versöhnlich
So präsentiert die neue Biografie einen Jobs, der zwar aufbrausend, aber auch versöhnlich ist, was wesentlich besser zu dem Image passt, das Apple über sich und seinen Gründer für die Welt bereithält. Jobs habe gegen Ende seines Lebens bei der Absage eines Termins zu Schlender gesagt: "Sagen Sie denen einfach, dass ich mal wieder das Arschloch spiele. Das werden sie ohnehin denken, dann können Sie's auch gleich als Ausrede nehmen."
Der einsichtige Jobs ist so recht nach dem Geschmack der Apple-Manager. Softwarechef Eddy Cue trommelt für die neue Biografie von Schlender und Tetzeli: "Becoming Steve Jobs" sei das beste Porträt des Apple-Schöpfers und das erste, das den Nagel auf den Kopf treffe. Und auf dem iBooks-Account twitterte der Konzern, "'Becoming Steve Jobs' ist das einzige Buch über Steve, das von den Menschen empfohlen wird, die ihn am besten kannten."
Bei so viel Unterstützung beeilen sich die Autoren zu versichern, das Buch sei keine Auftragsarbeit. Apple habe sie zwar mit Informationen und Fakten unterstützt, aber keine finale Version des Buches zur Abnahme bekommen. Und Steve Jobs wird endgültig, so scheint es, zum Heiligen von Cupertino gekrönt. Ein weiteres, fast makelloses Produkt auf der makellosen Apple-Palette.