Gregor Gysi: "Als seriös giltst du nur, wenn du kotzlangweilig bist"

Sein Abschied aus der Spitze der Linken wird Gregor Gysi wohl noch zu schaffen machen. Im Interview spricht er über den Rückzug, den Preis für seine Karriere und seine Vergesslichkeit.
Vor Kurzem hat Gregory Gysi (67, "Was bleiben wird: Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft" ) angekündigt, dass er sich aus der Spitze der Linksfraktion zurückziehen wird. Dass dieser Schritt dem ehemaligen Workaholic nicht leichtgefallen sein dürfte, das schimmert auch in einem Interview für die aktuelle Ausgabe des Magazins "stern" durch: "Sagen wir mal so. Ich habe sehr viele SMS erhalten, die waren alle sehr berührend. Das geht nicht spurlos an mir vorbei."
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Schlechtes Namensgedächtnis
Natürlich hätte er noch weitermachen können, erklärt Gysi, doch "man muss den richtigen Zeitpunkt finden, um aufzuhören. [...] Der beste Zeitpunkt ist, wenn man auf dem Zenit seines Ansehens steht" - das ist anscheinend jetzt der Fall. Er spüre nun auch sein Alter: "Früher konnte ich mir Namen schlecht merken, heute überhaupt nicht mehr. Außerdem bin ich nicht mehr so sicher, ob ich Ihnen die Geschichte schon erzählt habe oder nicht. Da war ich früher sicherer."
Auch über seine Herzinfarkte spricht der Linken-Spitzenpolitiker. "Nach meinem ersten Infarkt sagte mein Arzt: Wenn Sie denken, das hört jetzt auf, täuschen Sie sich, das geht ein Jahr so weiter. Danach gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sterben. Oder Sie sind 20 Jahre lang pflegefrei. Da habe ich gesagt: Ich entscheide mich für die zweite Variante."
Zu wenig Zeit
Doch nicht nur die Infarkte, sondern auch zwei geschiedene Ehen waren augenscheinlich der Preis für seine Karriere. "Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich es höchstwahrscheinlich nicht gemacht", erklärt Gysi. "Ich habe Freundschaften vernachlässigt, die man nachher nicht einfach so reparieren kann. Ich hatte viel zu wenig Zeit für meine Angehörigen. Das werfe ich mir vor. Das bezahlt man teuer. Wenn man in der ersten Reihe steht, nimmt man sich zu wichtig. Ich habe mich auch zu wichtig genommen."
Ein Pensionär wolle Gysi aber nicht werden. "Ich bin nicht der Typ, der in ein schwarzes Loch fällt. Ich bin ja nicht weg, ich bin ja nicht völlig aus der Welt. Erst mal bin ich ja noch im Bundestag." Außerdem wolle er in Zukunft seinen Anwaltsberuf ausbauen - und seinen Humor, den lasse er sich sowieso nicht nehmen. "Als seriös giltst du in Deutschland nur, wenn du kotzlangweilig bist. Ich finde, das ist ein Irrtum. Man kann doch auch in der Politik unterhaltsam sein und trotzdem die Sache sehr ernst nehmen."
Zudem habe Gysi vor, eine Autobiografie zu schreiben, was sich allerdings als schwierig erweisen könnte: "Das wird sicher anstrengend, ich habe nie Tagebuch geführt." Mit etwas Glück bekommt man ihn aber auch noch irgendwann auf der großen Leinwand zu sehen - besser gesagt, zu hören. Als Kind wurde er als Synchronsprecher eingesetzt und auch in Zukunft könnte er sich diese Rolle vielleicht sogar vorstellen: "Es müsste natürlich ein Schauspieler sein, bei dem die Frauen dahinschmelzen. Robert Redford wäre nicht schlecht. Aber ich fürchte, die guten Rollen sind alle schon vergeben."