Leslie Mandoki: "Meine Generation hat voll versagt"
Mit "Living in the Gap + Hungarian Pictures" erscheint am heutigen 11. Oktober ein Doppelalbum der Mandoki Soulmates. Über die Entstehung, den Mauerfall vor 30 Jahren und seine Tochter Julia spricht Musiklegende Leslie Mandoki im Interview.
Leslie Mandoki (66) führt seit vielen Jahren das Jazzrock-Projekt Mandoki Soulmates an. Sechs Jahre nach der letzten Veröffentlichung folgt nun mit dem Doppelalbum "Living in the Gap + Hungarian Pictures" ein zweistündiges Progressive-Rock-Album, mit dem er aufrütteln will. Über sein neues Werk, die Spaltung der Gesellschaft, seinen Nachbarn Peter Maffay (70) und seine Tochter Julia (25), die 2018 im Hambacher Forst von einer Leiter fiel, sprach der ungarisch-deutsche Musiker mit spot on news im Interview.
Heute erscheint das neue Doppelalbum "Living in the Gap + Hungarian Pictures" der Mandoki Soulmates. Worin unterscheiden sich die beiden Teile?
Leslie Mandoki: Es gibt eigentlich keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Album. Das Doppelalbum ist vom Titelsong "Living In The Gap" bis hin zum letzten Song "The Torch" ein zweistündiges progressives Gesamtwerk. "Hungarian Pictures" ist eine ProgRock-Suite basierend auf Themen und Volksliedern, die der ungarische Komponist Béla Bartók gegen den damals aufkeimenden Nationalsozialismus in der Karpatentiefebene gesammelt hatte. Freddie Mercury kam 1980 zu meinem Geburtstagsfest in ein ungarisches Restaurant in München und wir haben eines dieser Volkslieder, die Bartók gesammelt hatte, gesungen. Er hat sich völlig verliebt, ich habe es für ihn in Lautschrift aufgeschrieben und er hat es dann in Ungarn gesungen. Ich durfte ja nicht hin, weil ich als musikalisches Sprachrohr der studentischen Opposition politisch verfolgt war.
Auf "Hungarian Pictures" gibt es die Textstelle "the city just closed down the bar, where I used to play guitar". Welche Geschichte steckt da dahinter?
Mandoki: Das ist bezogen auf alle Münchner Clubs, die es gab, als ich als illegaler Einwanderer und junger Asylbewerber dort ankam. Die Stadt war unglaublich "bohemian". Deep Purple waren hier, die Stones und Elton John. Freddie Mercury lebte sogar hier. Der "Munich Sound" war noch ein weltberühmtes Phänomen. Es gab drei Clubs, die maßgeblich waren. Sie sind alle zu, wie das Domicile. In Budapest ist der Club, in dem ich quasi aufgewachsen bin, auch fast weg gewesen. Ich habe gehört, dass er abgerissen werden soll, und versuche das noch irgendwie zu retten. In München werde ich auch alles tun, damit eines Tages wenigstens einer dieser ehrwürdigen Clubs wieder da ist. In Hamburg sind diese Clubs von damals noch da.
Die Gestaltung des Covers von "Living in the Gap" ist im Vergleich zu "Hungarian Pictures" sehr düster. Wieso?
Mandoki: Düster deswegen, weil es so konzipiert ist. Es ist die Generationskritik an meiner eigenen Generation und sagt aus, was ich denke: Meine Generation hat voll versagt. Vor 30 Jahren regnete Glück vom Himmel, als die Mauer fiel. Als gebürtiger Budapester bin ich natürlich unfassbar dankbar, dass die Ungarn den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen haben, als sie die Grenzen öffneten. Als Deutscher bin ich sehr glücklich, dass dies ohne einen einzigen Schuss passiert ist. Das war ein wunderbarer Moment meines Lebens, was hätte man daraus alles machen können?!
Heute geben wir aber mehr Geld für Rüstung aus als damals. Wir haben die Gier, die Spekulation und den Casinokapitalismus in die Mitte der Gesellschaft eingeladen. Wir, als politische Mitte, haben uns in unseren bildungs-aristokratischen Elfenbeinturm zurückgezogen und uns der Sorgen eines großen Teils der Bevölkerung nicht angenommen. Die Menschen haben Probleme, und dadurch sind wir in eine Spaltung der Gesellschaft geraten. Dies können nur noch zwei Gruppen überwinden: Künstler oder Journalisten.
Finden Sie, dass die Rockmusik mit der jungen Generation ausstirbt?
Mandoki: Progressiver Rock ist nur deshalb tot, weil die Plattenfirmen das nicht mehr veröffentlichen wollten. In den Siebzigern haben Bands wie Emerson, Lake & Palmer, Cream oder auch Jethro Tull mit progressiver Rockmusik große Stadien gefüllt. Wie käme ich also dazu zu behaupten, diese Musik könnte ich der jungen Generation von heute nicht mehr zumuten? Mit dem Doppelalbum-Projekt richte ich mich als Vertreter der älteren Generation gerade an die "young rebels": Wir haben versagt. Lasst uns jetzt gemeinsam den Diskurs starten, um Lösungen zu finden. Wir kehren mit der Platte dahin zurück, was Rockmusik in den Siebzigern ausgemacht hat. Rebellisch zu sein und renitent.
Ihre Tochter Julia Mandoki ist auch bei den Soulmates dabei. Letztes Jahr ist sie im Hambacher Forst allerdings von einer Leiter gestürzt. Wie geht es ihr heute?
Mandoki: Es geht ihr wunderbar. Wir haben unfassbares Glück gehabt. Der liebe Gott, das Schicksal und 700 Engel waren dabei. Der Augenblick, wenn deine Tochter vom Notarzt abgeholt wird und das Schlimmste passieren kann, verändert alles. Innerhalb von Sekunden verändert das einen und man wird ganz schnell nachdenklich.
Peter Maffay hat auch an der neuen Musik mitgewirkt und ist gleichzeitig auch Ihr Nachbar. Kommen Sie oft in Ihrem Studio zusammen?
Mandoki: Ja, wie waren heute zusammen frühstücken. Wir sind seit Jahrzehnten eng befreundet, wie mit Udo Lindenberg auch. Ich bin ja stolzer Bürger der "bunten Republik" meines Freundes Udo. Er war, als ich nach Deutschland kam, quasi mein Einbürgerungsbeamter, während Klaus Doldinger der Integrationsbeauftragte war (lacht).
Udo Jürgens hat einst gesungen: "Mit 66 Jahren fängt das Leben an". Können Sie das bestätigen?
Mandoki: Ja. Wenn ich mit dem Kanu quer über den See fahre, wenn ich meine drei Kinder um mich herum habe und wenn ich im Studio bin, dann habe ich dieses Gefühl.