Nach Jan Böhmermanns "Schmähkritik": Angela Merkel in Erklärungsnot
Der Ball liegt nun bei Angela Merkel: Stimmt sie dem Antrag der Türkei auf Strafverfolgung von Jan Böhmermann zu, oder nicht? In der Bundespressekonferenz fand Regierungssprecher Steffen Seibert deutliche Worte...
Der Druck auf die Bundesregierung war in der jüngsten Bundespressekonferenz in Berlin förmlich zu spüren. Regierungssprecher Steffen Seibert (55) ging energisch und vor allem ungewohnt ausführlich auf die heikle Situation ein. Dank des Verlangens der Strafverfolgung von Jan Böhmermann (35, "Ich hab Polizei") hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (62) nun geschickt den Ball nach Berlin gespielt. Angela Merkel (61) steht nun vor einer schwierigen Entscheidung: Lässt sie das Strafverfahren nun zu, oder eben nicht?
Man wolle sich Zeit lassen mit der sorgfältigen Prüfung. Dies würde zwar keine Wochen dauern, zumindest aber mehrere Tage, gab Seifert zu verstehen. Die Kanzlerin wolle unmissverständlich deutlich machen, dass Artikel fünf des Grundgesetzes über die Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst und Wissenschaft selbstverständlich höchstes Gut sei. Dies wäre weder nach innen noch nach außen verhandelbar und gelte darüber hinaus unabhängig von der Frage, ob die Kanzlerin einen Beitrag für gelungen, geschmackvoll oder geschmacklos hielte.
Merkel in der Schusslinie
Zuvor ließ die Kanzlerin nach einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu (57) ausrichten, dass sie Jan Böhmermanns "Schmähkritik"-Gedicht als einen "bewusst verletzenden Text" einordne. Für diese Aussage erntete Merkel harsche Kritik von Seiten der Medien und ihrer politischen Gegner: Sie habe sich womöglich durch das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei erpressbar gemacht und schlage sich nun aus diplomatischen Gründen auf die Seite von Erdogan, der auch in seinem eigenen Land harsch gegen ihm nicht wohlgesonnene Medienvertreter vorgeht.
Wie überdies die "Bild"-Zeitung berichtet, wird der Fall Böhmermann mittlerweile von der Bundesregierung als "sehr ernste außenpolitische Krise" eingestuft. Auch ein Sprecher von Erdogan meldete sich unterdessen zu Wort und sprach davon, dass der Satiriker nicht nur den Präsidenten, sondern auch das türkische Volk angegangen hätte. "Überall auf der Welt ist das eine Beleidigung und eine Straftat", sagte der ranghohe Beamte in Ankara.
Warum ist ein Zustimmen zum Verfahren überhaupt notwendig?
Nun wird mit Spannung erwartet, ob die Bundesregierung dem Verlangen der Türkei nachgibt und ein Strafverfahren ermöglicht, oder ob sie sich schützend vor Jan Böhmermann stellt. Dieses Dilemma entsteht aufgrund einer Besonderheit des einschlägigen Paragraphen 104a Strafgesetzbuch, der die Voraussetzungen für eine Verfolgung der möglichen Straftat definiert.
Neben intakten diplomatischen Beziehungen zum anderen Staat benötigt es außerdem ein Strafverlangen. Beides liegt in diesem Fall bereits vor. Zusätzlich verlangt 104a allerdings eine Ermächtigung der Bundesregierung, damit eine Verfolgung und später ein Prozess überhaupt möglich wird.
Zahlreiche Juristen meldeten sich unterdessen bereits zu Wort und gaben Entwarnung: Obwohl es bei Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB) eine theoretische Höchststrafe von drei Jahren Haft gäbe, sei eine Verurteilung selbst beim Zustandekommen eines Prozesses eher unwahrscheinlich. Da Böhmermanns "Schmähkritik" in einen satirischen Kontext eingebettet war, würde das zuständige Gericht ihn womöglich freisprechen. Selbst bei einer Verurteilung käme Böhmermann als Ersttäter ziemlich sicher mit einer relativ milden Geldstrafe davon.