Dortmund-Tatort "Hydra": Politisch korrekt gibt es schon genug
Tatort "Hydra": Kommissar Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt) und ihr Team haben ein Mord im Dortmunder Nazi-Milieu zu lösen. © WDR/Thomas Kost
Ein aktuelles, relevantes Thema im Tatort? Für viele ist das schon ein Grund, nicht einzuschalten. "Hydra" aus Dortmund hingegen zeigte gestern, wie man sich einem Problem adäquat annähert, eine spannende Geschichte drumherum aufbaut und auch die Figuren überzeugend im Spannungsfeld agieren lässt. Das Dortmunder Nazi-Problem ist nicht erst seit sich braune Hooligans unter die BVB-Fans mischen überregional bekannt.
In der Ruhrgebiets-Stadt gibt es, wie im Tatort, zwei große Nazi-Gruppierungen - Skinheads und optisch unauffälligere, aber nicht minder gefährliche Rechtsradikale. Hier einen Tatort zu drehen, der offen und ungeschönt mit dem Thema umgeht, das hätten sich nicht viele Sender getraut. Dadurch, dass Pegida-Demonstranten seit Wochen rechtes Gedankengut grölend durch deutsche Städte marschieren, bekam der Tatort noch eine zusätzliche Aktualität. Dass das Film-Team teilweise massiv bedroht wurde und öffentliche Vorführungen von "Hydra" gestern und hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfanden, zeigt die Brisanz.
Politisch korrekte Ermittler gibt es genug
Doch auch erzählerisch ist der Dortmunder Tatort ein Glanzstück der Reihe. Gut gezeichnete und spannende Figuren, überzeugende Dialoge und schlüssige Geschichten sind dem angemessen, wofür die Marke Tatort steht. Jörg Hartmann als Peter Faber gehört zum Besten, was die Reihe je hervorgebracht hat: Auch nachdem der (mutmaßliche) Mörder seiner Familie hinter Gittern sitzt, bleibt der Charakter glaubhaft. Faber ruht in "Hydra" zwar ein wenig mehr in sich selbst, doch die Schlagfertigkeit und die Grundspannung bleiben erhalten. Seine Provokationen sind teilweise harte Kost, doch sie führen zu Ziel - und sind höchst unterhaltsam. Politisch korrekte Ermittler gibt es schon genug.
Ebenfalls eine Glanzleistung lieferte Aylin Tezel als Nora Dalay ab. Nach der Abtreibung und dem Beziehungs-Aus mit Daniel Kossik (Stefan Konarske) noch angeschlagen, nutzt Faber ihren türkischen Hintergrund, um die Nazis aus der Reserve zu locken. Ein wenig überflüssig waren in "Hydra" nur die einsame Martina Bönisch (Anna Schudt) und überraschenderweise auch die Figur von Kossiks Bruder Tobias (Robert Stadlober). Gut gespielt, keine Frage - doch die Geschichte hätte auch ohne die persönliche Verbindung funktioniert.
Selten sind Tatort-Drehbücher so durchdacht wie in Dortmund
Wie überlegt und durchdacht der Dortmund-Tatort ist, wurde am Ende ganz besonders deutlich. Robert Schupp als Hauptkommissar Krüger, der Interna an die Nazis weitergibt, war in allen fünf Folgen zu sehen. Statt einer neuen Figur wird also ein etablierter Charakter geopfert, das machte "Hydra" zusätzlich spannend und hebt diesen Tatort wohltuend von anderen Schauplätzen ab. Die behutsame Entwicklung der Figuren und ihrer Geschichten und die großartigen Dialoge sind das Verdienst von Drehbuchautor Jürgen Werner, der alle bisherigen Fälle aus Dortmund schrieb. Der nächste Tatort "Im freien Fall" kommt nun von jemand anderem, der in extrem große Fußstapfen tritt.
Auch bei Facebook und Twitter war die Reaktion auf " Hydra" nahezu ausschließlich positiv. Die realitätsnahe Darstellung und die gute Aufbereitung ernteten großes Lob, ebenso die Darsteller Aylin Tezel und Jörg Hartmann. Auch die Quoten stimmten: Mit 9,11 Millionen Zuschauern und einem Anteil von 25% (14-49: 3,07 Mio.; 22,2%) war "Hydra" der bislang erfolgreichste Tatort aus Dortmund.
Die besten Twitter-Kommentare zum Dortmund-Tatort "Hydra"
Zunächst heiß es: 15 Minuten warten, der Brennpunkt arbeitete noch einmal die Geschehnisse in Paris auf.
Verwirrung: Die Nazis im Tatort kamen nicht nur als dumpfe Glatzköpfe daher, sondern auch als eloquente Redenschwinger mit Uni-Hintergrund oder als schwangere Kindergärtnerin.
Mittendrin: Peter Faber. Mit harten Sprüchen und grenzwertigen Aktionen wie "mit der Türkin vor der Nazi-Nase rumwedeln". Aber: Saugut!
Wenn Nazis auf einmal in bürgerlicher Verkleidung daherkommen, "Das wird man doch mal sagen dürfen"-Propaganda vor sich hertragen und sich um "ihr" Land fürchten - dann muss man unweigerlich an die Pegida-Horden denken.